Tschechisch-deutsches Projekt: Schüler zeichnen Erinnerungen von Zeitzeugen auf

Schülerin der Mittelschule Neunburg vorm Wald im Gespräch mit Zeitzeugin Anna Marie Babel

An tschechischen Schulen gibt es bereits seit einigen Jahren das Zeitzeugenprojekt „Geschichten unserer Nachbarn“. Der tschechische Verein Post Bellum hat dies nun aber auch nach Deutschland gebracht. In den vergangenen Monaten haben daher bayerische Schülerinnen und Schüler nach Zeitzeugen gesucht und ihre Erinnerungen aufgezeichnet. Adéla Břízová koordiniert das Projekt im Freistaat. Martina Schneibergová hat mit ihr darüber gesprochen. 

Schüler der Mittelschule Neunburg vorm Wald bereiten ein Gespräch mit Zeitzeugin Anna Marie Babel vor | Foto: Post Bellum

Frau Břízová, das Schulprojekt des Vereins Post Bellum ist zum ersten Mal nach Bayern ausgeweitet worden. Können Sie erklären, worum es bei den „Geschichten unserer Nachbarn“ geht?

„Bei diesem Projekt beschäftigen sich die Schüler mit den Lebensgeschichten von Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts, deren Schicksale durch die Regime, durch die Geschichte irgendwie beeinflusst wurden.“

Im Februar, als das Zeitzeugenprojekt gerade gestartet wurde, habe ich schon einmal mit Ihnen gesprochen. Ist es inzwischen den Schülerinnen und Schülern gelungen, Zeitzeugen in ihrer Umgebung zu finden? Und kommen die Zeitzeugen aus unterschiedlichen Generationen?

Schüler im Gespräch mit Zeitzeuge Oscar Georg Siebert | Foto:  Post Bellum

„Ja, die Schüler haben verschiedene Zeitzeugen gefunden und eine Vorauswahl gehabt. Sie haben sich entweder selbst auf die Suche gemacht, oder wir haben es gemeinsam gestaltet und Menschen aus der Nachbarschaft, der Verwandtschaft oder dem Nachbarort gefunden. Meist handelte es sich um Personen, die zwischen den Jahren 1930 und 1945 geboren wurden. Wir hatten auch etwas jüngere Zeitzeugen zur Auswahl, die zurzeit etwa 60 bis 70 Jahre alt sind. Aber in der Endauswahl haben sich die Schüler für die älteren entschieden. Beim Projekt hat uns auch die Ackermann-Gemeinde Regensburg geholfen.“

Gab es unter den Zeitzeugen beispielsweise auch tschechische Exilanten?

Zeitzeugenprojekt „Geschichten unserer Nachbarn“ | Foto: Post Bellum

„Wir haben eine ziemliche Mischung, eine gute Kombination aus allen möglichen Lebensgeschichten. Es sind Zeitzeugen, die deutscher Herkunft sind und in der Phase der Vertreibung nach Deutschland abgeschoben wurden. Andere stammen aus Deutschland und haben hier auch gelebt. Wir haben einen Zeitzeugen, der in seinem Leben innerhalb der zwei Länder zweimal umgezogen ist: Er ist von Deutschland nach Tschechien ausgewandert und später dann aus Tschechien zurück nach Deutschland gegangen.“

Wie war das Interesse der Schulen, der Lehrer und der Schüler selbst an dem Projekt, und welche Schulen nehmen teil?

Neunburg vorm Wald,  Gregor-von Scherr-Schule  (Bildmitte hellgelbes Gebäude) und Mittel- und Grundschule  (rechts davon) | Foto: Alois Köppl,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

„Durch die Corona-Situation war die ganze Gestaltung etwas schwieriger. Die Lehrer konnten nicht richtig einschätzen, ob sie Zeit haben und die Schüler dafür begeistern können. Deswegen war die Suche etwas kompliziert. Aber wir haben dann Kooperationspartner gefunden. Es sind drei verschiedene Schulen, die insgesamt fünf Teams gebildet haben. Eine davon ist die Mittelschule in Neunburg vorm Wald. Dort besteht ein richtig großes Interesse. Der zuständige Lehrer, Herr Schreiner, ist begeistert von dem Projekt, engagiert sich sehr und macht alles mit viel Herzblut. Die zweite Schule ist das Privatgymnasium PINDL in Regensburg. Dort wurden zwei Teams mit dem Lehrer Andreas Höcketstaller gebildet. Auch er ist begeistert. Beide Lehrer zeichnet aus, dass sie an den deutsch-tschechischen Beziehungen stark interessiert sind, weil sie spüren, dass es um ihr Nachbarland geht und es wichtig ist, die Beziehungen zu pflegen und weiter zu gestalten. Und die dritte Schule ist die Tschechische Schule in Regensburg. Zwei Lektorinnen begleiten dort ein dreiköpfiges Team. Das sind Kinder, die deutsche Schulen besuchen und an Nachmittagen oder Samstagen in die Tschechische Schule Regensburg kommen. Sie führen das Projekt in Deutschland auf Tschechisch durch und waren stark daran interessiert, einen Zeitzeugen zu finden, der mit ihnen Tschechisch sprechen kann. Und das ist uns gelungen.“

Ich denke, dass die Gespräche mit den Zeitzeugen wegen der Corona-Pandemie vorwiegend telefonisch geführt werden konnten. Oder war es doch möglich, die Zeitzeugen auch persönlich zu treffen?

Zeitzeugenprojekt „Geschichten unserer Nachbarn“ | Foto: Post Bellum

„Erst vor kurzem konnten sie sie treffen. Wir haben uns an die Richtlinien und Vorgaben halten müssen – also auch an die Zahl der Kontakte. Daher haben wir schauen müssen, unter welchen Bedingungen wir drehen oder die Aufnahmen machen können. Letztlich war es für drei Teams möglich, dass sich jeweils ein Schüler persönlich mit dem Zeitzeugen getroffen hat. Der Rest war online bei einer Videokonferenz zugeschaltet und daher aktiv mit dabei. Uns freut sehr, dass dies geklappt hat. Für die Schüler ist es eine andere Erfahrung, die Zeitzeugen persönlich zu treffen. Ein Team ist noch dabei, Gespräche zu führen.“

Sie haben bestimmt schon die Reaktionen der Schüler wahrgenommen. War es für sie etwa ganz Neues, Gespräche aufzunehmen, und fanden sie das spannend?

„Ich hatte den Eindruck, dass es für die Schüler etwas Neues war. Das war für sie eine spannende Erfahrung, überhaupt sich auf das Gespräch vorzubereiten. Es ging um die einzelnen Schritte bis zum Interview: genügend Hintergrundwissen zu haben und dann einen Interviewleitfaden zu entwickeln mit den Fragen. Das haben sie sehr gut gemeistert. Ich denke, dass sie jetzt bereichert sind für den nächsten Lebensweg.“

Das Projekt soll bald abgeschlossen werden. Wird es eine feierliche Präsentation der Ergebnisse geben?

 Schüler der Mittelschule Neunburg vorm Wald bereiten ein Gespräch mit Zeitzeugin Anna Marie Babel vor | Foto: Post Bellum

„Ja. Am Ende von diesem Projekt soll jedes Mal eine feierliche Präsentation stattfinden. Wir planen derzeit schon, wie wir das gestalten möchten. Unser Wunsch ist, dass sich alle Schülerteams gemeinsam mit den Zeitzeugen in einem feierlichen Raum treffen, so wie das üblich ist. Dabei sollen sich auch die deutschen und die tschechischen Teams begegnen. Das war bisher wegen der Corona-Pandemie nicht möglich. Wir hoffen, dass wir dann alle nach Tschechien einreisen dürfen und gemeinsam eine feierliche Präsentation gestalten, bei der die Schüler das Projekt, mit dem sie sich im vergangenen Halbjahr beschäftigt haben, für alle präsentieren. Dabei laufen die jeweiligen Reportagen, und die Schüler wie auch die Zeitzeugen werden gewürdigt. Sie bekommen kleine Preise. Eine Kommission, die sich aus drei Personen zusammenstellt – einem Lehrer, einem Redakteur und einem Historiker – wird eine kurze Rückmeldung geben, was besonders gelungen ist und was vielleicht bei den nächsten Arbeiten anders gestaltet werden könnte. Dies ist jedenfalls geplant.“

Wissen Sie schon, wann und wo die Präsentation stattfinden wird?

„Sie soll im September stattfinden. Da sich deutsche und tschechische Schulferien anders gestalten, ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass auch alle daran teilnehmen können. Und natürlich brauchen wir Corona-bedingt auch einen Plan B. Wir hoffen, dass die Präsentation in der ersten Septemberhälfte stattfinden kann.“

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