Kampf gegen NS-Besatzer und kommunistisches Regime – Ausstellung von „Memory of Nation“ in Brünn

Im Institut von „Paměť národa“ (Memory of Nation) in Brno / Brünn wurde am Montag eine Dauerausstellung eröffnet. Sie beschreibt dramatische Lebensgeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg und von Gegnern des kommunistischen Regimes aus den 1950er Jahren. Im folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte stellen wir Ihnen die neue Schau mit dem Titel „Das stille Heldentum“ vor.

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Das Institut von „Paměť národa“ befindet sich gleich neben dem Alten Rathaus in Brünn. „Paměť národa“ ist ein Zeitzeugenprojekt, das der Verein Post Bellum betreut. Mittlerweile wurden schon die Aussagen von fast 15.000 Zeitzeugen aufgezeichnet. Die Erinnerungen von vier Persönlichkeiten aus dieser Audio-Sammlung stehen im Fokus der neuen Dauerausstellung im Institut. Mikuláš Kroupa leitet die Organisation Post Bellum. Am Eingang zur Schau erzählt er:

„Es handelt sich um ein Digitalmuseum der neuen Generation. Um sich in die Geschichte des 20. Jahrhunderts vertiefen zu können, hat der Besucher ein Tablet und Kopfhörer. Er ist kein passiver Zuschauer. Anhand der realen Lebensgeschichten, die wir aufgezeichnet haben, lernt er mehr über das 20. Jahrhundert.“

Mikuláš Kroupa | Foto: Tomáš Vodňanský,  Tschechischer Rundfunk

In der Ausstellung werden die Lebensgeschichten von vier Persönlichkeiten erzählt. Kurator Viktor Portel hat sie aus mehreren Tausend Zeitzeugenberichten ausgesucht. Im Fokus stehen zwei Epochen: der Zweite Weltkrieg und die 1950er Jahre. Der Kurator:

„Wir haben drei Jahre lang an der Ausstellung gearbeitet. Von Anfang an wussten wir, dass wir die Lebensgeschichten mit Bild und Audio erzählen wollen. Schließlich haben wir uns dafür entschieden, dass die Besucher einzeln oder zu zweit durch die Schau gehen, damit das Erlebnis still und intensiv wird. Am Anfang schaut sich der Besucher in einer Gruppe von maximal 30 Menschen eine einleitende Videoaufnahme an. Anschließend besucht er mit einem Tablet in der Hand die zehn Haltepunkte, an denen er mehr über das Schicksal von vier Persönlichkeiten erfährt.“

Viktor Portel | Foto: Paměť národa

Eine dieser „stillen Helden“, die ihre Lebensgeschichte erzählt, ist Jaryna Mlchová. Ihr Vater war der Dichter und Schriftsteller Karel Krofta. Ende der 1930er Jahre besuchte sie die Industrieschule für Chemie in Liberec / Reichenberg. Kurz nach Kriegsbeginn heiratete sie und schloss sich zusammen mit ihrem Mann recht bald einer Widerstandsgruppe an. Diese schmuggelte Lebensmittelpakete in Konzentrationslager. Ihre Chemiekenntnisse nutzte Mlchová dazu, um Menschen vor der Verschleppung ins KZ zu retten. Vor zehn Jahren erzählte sie davon im Gespräch für „Paměť národa“:

„Ich habe mich damals an der Klinik bei Professor Herfort darüber informiert, welche Symptome bei Gelbsucht auftauchen. Zudem hatte ich gelesen, dass die giftige Pikrinsäure Symptome einer unechten Gelbsucht hervorruft. Ich wusste, dass man damit vorsichtig umgehen muss. Als Chemikerin war mir außerdem bekannt, dass Zitronensäure Durchfall verursacht. Ich habe mir gedacht: Ein Mensch, der gelb wird, also auf den ersten Blick an der Gelbsucht leidet, darf nicht in ein KZ geschickt werden. Und so habe ich Pikrinsäure mit Zitronensäure gemischt und die Päckchen mit der Mischung an Menschen geschickt, denen die Deportation in ein KZ drohte. Sehr viele Menschen wurden dadurch vor dem Transport gerettet, ich weiß aber nicht wie viele.“

Das stille Heldentum | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Jaryna Mlchová erinnerte sich daran, dass sie einmal eine Postkarte von einem Jungen bekam, der sie fragte, wann er endlich dieses Päckchen bekomme. Da musste sie ihm das Päckchen über jemanden anderen zukommen lassen, um nicht enthüllt zu werden. Jaryna Mlchová:

„Ich war beim Forschungsinstitut für Zuckerproduktion angestellt, dort hatte ich Zugang zu Pikrin- und Zitronensäure. In einer großen Bibliothek standen Fläschchen mit Säureproben. Auf diese Weise habe ich die Päckchen zusammengestellt und weitergeschickt.“

Die Wohnung von Jaryna Mlchová wurde einige Mal von der Gestapo durchsucht, aber nie wurden kompromittierende Materialien gefunden. Nach der Geburt der Tochter – kurz vor dem Kriegsende – hörte Jaryna Mlchová auf, mit der Widerstandsgruppe zusammenzuarbeiten. Jaryna Mlchová starb am 9. Januar 2017.

Kriegsveteran im kommunistischen Gefängnis

Tomáš Sedláček | Foto: Post Bellum

General Tomáš Sedláček ist eine weitere Persönlichkeit, deren Lebensgeschichte in der Ausstellung in Brünn erzählt wird. Er kämpfte an beiden Fronten gegen Nazi-Deutschland. Nach dem Krieg unterrichtete der damalige Major Sedláček an der Militärakademie in Prag. 1951 wurde er von den Kommunisten verhaftet. Diese folterten ihn, neun Tage lang durfte er in der Einzelzelle nicht schlafen und musste ständig stehen oder gehen. Sedláček wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach der Amnestie von 1960 arbeitete er als Bauarbeiter. Er starb am 27. August 2012 im Alter von 94 Jahren.

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Vor mehr als 15 Jahren wurden seine Erinnerungen aufgezeichnet. Damals hinterließ der Kriegsveteran eine Botschaft für die jüngeren Generationen:

„Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu werden, dass die Freiheit nicht umsonst ist. Die Opfer und die Leiden waren ungeheuer groß. Freiheit ist nicht garantiert. Es gibt keine Garantie dafür, dass nicht irgendwo wieder ein Idiot auftaucht, der die Menschen verrückt macht und fanatisiert, wie wir es erlebt haben. Die Freiheit muss verteidigt werden. Selbst wenn die Freiheit in einem entfernten Land verletzt wird, betrifft dies in der heutigen globalisierten Welt auch uns. Es ist notwendig, dann etwas zu unternehmen. Wir dürfen diejenigen nicht vergessen, die hierzulande die Freiheit verteidigt und wiederhergestellt haben.“

Retter von Zeitzeugenberichten

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Für die Zeit der 1950er Jahre hat Kurator Viktor Portel aber noch eine weitere Biografie ausgesucht:

„Die Lebensgeschichte von Leopold Färber ist für das ganze Projekt von ,Paměť národa‘ ikonisch. Das ist auch der Grund, warum wir uns für ihn entschieden haben. In seiner Jugend half er den Widerstandskämpfern gegen die Nationalsozialisten in der Gegend von Boskovice, er schmuggelte Nachrichten für sie. In den 1950er Jahren wurde er für eine Tat ins Gefängnis gesteckt, die er gar nicht begangen hatte. Während des Kriegs hatte er zusammen mit weiteren Widerstandskämpfern Flugblätter gedruckt, auf denen ,Tod dem Nationalsozialismus! stand‘. Dies erzählte er nach dem Krieg den Kindern einer Pfadfindergruppe. Die Kinder begannen, von Leopolds Erinnerungen inspiriert, auch Flugblätter zu drucken. Auf diesen stand: ,Tod dem Kommunismus!‘. Leopold wusste aber nichts davon. Dennoch wurde er verhaftet und zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Als er freigelassen wurde, fing er an, die Erinnerungen von Menschen zu sammeln, die ähnliche Erfahrung gemacht hatten wie er. Er stellte ein großes Archiv von Zeitzeugenberichten zusammen, von denen wir ohne ihn nie erfahren hätten. Mich beeindruckt, dass er diese Aussagen ohne jedwede Hilfe durch eine Institution gerettet hat.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Leopold Färbers Vater war Jude, die Mutter war katholisch. Er wuchs in Boskovice in Südmähren auf. Seine Erinnerungen wurden 2009 für das Zeitzeugenprojekt aufgezeichnet. Färber schildert darin unter anderem seine Erlebnisse in den kommunistischen Gefängnissen. Im Gefängnis in Pilsen-Bory wurde er jeden Tag von demselben Aufseher zusammengeschlagen. Leopold Färber:

„Er kam in die Zelle und fragte: Sind Sie hier schon verprügelt worden? Ich nickte und sagte: Ja, gestern von Ihnen‘. Er: ,Wirklich?‘ Und schon fing er an, mich zu schlagen. Plötzlich streifte er mein Gesicht, und mein Glasauge fiel heraus. Das war ein Schock für ihn. Er schaute mich erschrocken an. Sein Gesicht hätten Sie sehen sollen. Dann verschwand er, und ich hatte Ruhe.“

Leopold Färber starb am 27. Oktober 2015 im Alter von 87 Jahren.

Briefe von politischen Gefangengen geschmuggelt

Milena Blatná | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Die vierte ,stille Heldin‘ ist Milena Blatná. Der Kurator:

„Milena begann mit 19 Jahren, als Zivilangestellte in der Buchhaltung bei den Urangruben in Jáchymov zu arbeiten. Sie überlegte, wie sie den politischen Gefangenen helfen könnte. Dann kam der erste Mensch, der sie bat, einen Brief an seine Familie zu schicken. Und auf einmal waren es unzählige Briefe, die sie aus den Urangruben schmuggelte. Als dies aufflog, wurde ihr mit Gefängnis gedroht, falls sie nicht mit dem kommunistischen Geheimdienst StB zusammenarbeiten würde. Sie hatte den Mut, das Angebot abzulehnen. Und es passierte nichts. Schikaniert wurde sie erst später. Sie verliebte sich in einen der politischen Gefangenen, den sie später heiratete. Auch nach der Freilassung betrachteten die Kommunisten die politischen Gefangenen als Feinde. Ihre Familien wurden weiter schikaniert, auch in den 1960er und 1970er Jahren.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Daran, wie sie ihren Mann in Jáchymov kennenlernte, erinnerte sich Milena Blatná vor einigen Jahren im Gespräch für das Zeitzeugenprojekt:

„Es war eher eine Briefbekanntschaft. Aber es gab dort viele Menschen, die uns geholfen haben. Beispielsweise holten  sie Jiří, um eine Maschine zu reparieren, die angeblich kaputt war. Ein Freund, den ich bis heute treffe, bediente dort  ein Gerät und bestellte immer Jiří, um die Maschine wieder in Gang zu bringen. Auf diese Weise konnten wir uns sehen.“

Milena Blatná nahm diese Woche persönlich an der Eröffnung der Ausstellung teil. Sie hatte eine kleine Randbemerkung für die Veranstalter:

„Ich habe in einer Beschreibung der Ausstellung gelesen, dass ich mich in einen ,abgemagerten, schmuddeligen‘ Gefangenen verliebt hätte. Das stimmt aber gar nicht. Unter den gegebenen Bedingungen versuchten sich die Gefangenen möglichst viel um ihre Hygiene, aber  beispielweise auch um ihre Bildung zu kümmern. Ich weiß, dass es dort damals einen jungen Mann gab, der Schlafengehen die Gefängniskleidung zusammenfaltete und unter die Matratze legte – um sie sozusagen zu ,bügeln‘.“

Jeder hat eine Geschichte | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Die Ausstellung „Das stille Heldentum“ ist von Mittwoch bis Sonntag geöffnet. Die Führungen finden um 15, 17 und 19 Uhr sowie am Wochenende um 10.30, 12.30, 14.30 und 16.30 Uhr statt. Bis in einem Monat soll es die Ausstellung auch in englischer Übersetzung geben. Künftig wird zudem mit einer deutschen Fassung gerechnet.