Preise des Nationalen Gedenkens zum 15. Mal in Prag vergeben
Am 17. November wird in Tschechien nicht nur an die Samtene Revolution von 1989 erinnert. Seit 2010 werden an dem Tag außerdem die Preise des Nationalen Gedenkens (Ceny Páměti národa) verliehen – und zwar an Menschen, die den Repressionen in diktatorischen Zeiten standgehalten haben. Wir stellen die diesjährigen Laureaten vor.
Eine Tschechin und ein Tscheche, zwei Slowaken und eine Ukrainerin – dies sind die Laureaten der diesjährigen Preise des Nationalen Gedenkens. Damit ehrt die Organisation Post Bellum Menschen, die sich gegen staatliche Repressionen behauptet und für die Menschenrechte eingesetzt haben. Die Leiterin der slowakischen Filiale von Post Bellum, Sandra Polovková, sagte bei der Zeremonie im Prager Nationaltheater am Sonntag:
„Wir leben in einem Land, in dem die Demokratie derzeit viele Leute stört. Sie tun alles, um sie zu schwächen oder zu zerstören. Wir präsentieren dagegen inspirierende Geschichten des 20. Jahrhunderts, die viel Versagen, Trauer und Leid enthalten. Diese Schicksale sind nicht zu vergleichen mit dem, wie wir heute leben. Sie sind immer noch eine Quelle dessen, was wir nicht noch einmal erleben und wohin wir nicht zurückkehren wollen.“
Eine dieser Lebensgeschichten ist jene von Marta Neužilová. Die heute 92-Jährige wuchs in Bohušovice nad Ohří / Bauschowitz an der Eger auf. Durch diesen Ort fuhren zwischen 1941 und 1943 alle Deportationszüge, mit denen Juden nach Theresienstadt gebracht wurden. Martas verwitwete Mutter hatte sich dem Widerstand gegen die NS-Besatzung angeschlossen und schmuggelte regelmäßig Päckchen und Briefe in die Züge. Die zehnjährige Marta half ihr dabei. 1942 wurde die Familie an die Gestapo verraten und verhaftet. Auch die Kinder wurden verhört und anschließend bei der Großmutter untergebracht. Martas Mutter wurde später in Auschwitz ermordet.
Marta Neužilová konnte am Sonntag aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Preisverleihung teilnehmen. Persönlich war jedoch der 95-jährige Ladislav Szalay nach Prag gekommen. Der Slowake erlebte den Zweiten Weltkrieg in Trnava / Tyrnau. Als 15-Jähriger rettete er einem jüdischen Freund das Leben, indem er ihn zu sich nach Hause mitnahm, als das Haus des Freundes von der Miliz durchsucht wurde. Die Familie Szalay nahm den Verfolgten auf, versteckte ihn bei sich und bewahrte ihn so vor der Deportation ins Konzentrationslager. Mit der Ehrenmedaille in der Hand berichtete Ladislav Szalay:
„Ich habe mein Verhalten nie als heldenhaft empfunden. Die Leute fragten mich später, ob ich traurig sei, dass der Petr mir nie ein Wort des Dankes ausgesprochen hat. Und erst dadurch wurde mir klar, dass es mir selbst niemals eingefallen wäre, dass er mir hätte danken sollen.“
Auf der Bühne stand außerdem der 69-jährige Pavel Záleský. Er war einer der wichtigsten Verbreiter des „Mährischen Aufrufs“, den der Dissident Augustin Navrátil 1988 in Umlauf brachte. In 31 Punkten wurde die Glaubensfreiheit in der Tschechoslowakei eingefordert, und bis zum Ende des Kommunismus 1989 hatten mehr als 500.000 Menschen unterschrieben. An seiner Stelle sollte eigentlich Augustin Navrátil selbst stehen, betonte Záleský und bezeichnete den verstorbenen Dissidenten als einen großen Kämpfer für die Religionsfreiheit:
„Da der Preis nicht in memoriam vergeben wird, habe ich eingewilligt, die Auszeichnung anzunehmen. So haben mit mir auch die weiteren Hinterbliebenen ihren Anteil daran. Schade, dass dies nicht mehr alle Beteiligten erleben. Wäre Augustin Navrátil nicht diese führende Persönlichkeit gewesen, dann wäre die Petition nie entstanden, und auch ich würde nicht hier stehen.“
Ausgezeichnet wurde auch der 70-jährige Karol Dubovan, der aus dem westslowakischen Madunice / Madunitze stammte. Als Student in Bratislava kam er in Kontakt zur Untergrundkirche und unterstützte fortan Bemühungen, den Menschen ein unabhängiges Geistesleben zu ermöglichen. Ebenso half er bei der Verbreitung von Samisdat-Literatur. Dubovan war 1989 dann eine der führenden Persönlichkeiten der Samtenen Revolution in Trenčín / Trentschin.
Die NGO Post Bellum hat inzwischen nicht nur eine Zweigstelle in der Ukraine eingerichtet, sondern auch den Kreis der Preisträger auf dieses Land ausgeweitet. Und so wurde zum Abschluss der Veranstaltung am Sonntag die 71-jährige Olha Heiko auf die Bühne gebeten, um die Medaille in Empfang zu nehmen.
Heiko schloss sich während des Studiums in Kiew der Ukrainischen Helsinki-Gruppe (UHH) an, die die Einhaltung der Menschenrechtsakte von Helsinki einforderte. Die Aktivistin trat aus allen staatlichen Organisationen aus und gab auch ihre sowjetische Staatsbürgerschaft auf. Den Kampf für Meinungsfreiheit bezahlte sie mit sechs Jahren Gefängnis. Gefragt, woher sie ihren Mut genommen habe, antwortete Heiko bei der Preisverleihung:
„Ich habe in den betreffenden Momenten nie vorher gewusst, was ich tun sollte. Die Situationen waren manchmal äußerst schwierig. Der richtige Weg hat sich aber immer gefunden, wenn ich mich entscheiden musste, ob ich nach rechts, nach links oder geradeaus gehe. Tief in mir kam dann immer die Frage auf: Wer, wenn nicht ich.“
Mit Blick auf die aktuelle Lage in der Ukraine rief Heiko das Publikum im Saal und an den Fernsehapparaten auf, nicht aufzuhören, an die Menschen in der Ukraine und ihren Sieg gegen Russland zu glauben.
Bei der Zeremonie im Nationaltheater waren, wie im vergangenen Jahr auch, Staatspräsident Petr Pavel und seine Ehefrau Eva anwesend. Die Preise des Nationalen Gedenkens werden parallel zu dem Projekt Paměť národa (Gedächtnis der Nation) vergeben, mit dem Post Bellum die Diktaturen in der ehemaligen Tschechoslowakei aufarbeitet. Dabei werden Zeitzeugenberichte auf Video aufgezeichnet. Unter den Befragten wählt das Kollegium von Post Bellum sowie der Freundeskreis Paměť národa jedes Jahr die Laureaten aus. Seit dem ersten Jahrgang der Preisverleihung 2010 sind bereits 66 Personen ausgezeichnet worden.