Zusammen.HALT: Deutsch-tschechisches Schülerprojekt zur kommunistischen Diktatur
Wo beginnt die Grenze des Gemeinsamen? Wo wird die Freiheit des Anderen eingeschränkt? Und wie lebten die Oppositionellen in der ehemaligen DDR und der kommunistischen Tschechoslowakei? Nach Antworten auf diese Fragen haben junge Menschen im Rahmen eines deutsch-tschechisch-polnischen Projekts mit dem Titel Zusammen.HALT gesucht. Die Resultate sowie eine Ausstellung zum Thema wurden vergangene Woche in einem Prager Gymnasium präsentiert. Träger der Schule ist die gemeinnützige Organisation Post Bellum.
„Wir haben uns vor allem mit den Erinnerungen von Zeitzeugen beschäftigt sowie damit, was Tschechien und Deutschland verbindet“,
sagt die 17-jährige Lucie Anna über den Besuch in Dresden.
Gemeinsam mit weiteren Jugendlichen vom Prager Gymnasium Paměti národa (Gymnasium von Memory of Nation) nahm sie am Projekt Zusammen.HALT teil. Auch David war dabei, er arbeitete jedoch in einer anderen Gruppe als Lucie:
„Im Fokus stand der Kontakt mit den Zeitzeugen. Wir haben in kleinen Gruppen mit einem der Zeitzeugen fast zwei Tage lang diskutiert.“
Was fand Lucie Anna besonders beeindruckend?
„Wir kennen die Erinnerungen von tschechischen Zeitzeugen aus dem Archiv von Memory of Nation. Aber wir haben erfahren, dass sich auch anderswo während der kommunistischen Zeit grausame Geschichten abspielten. Mir war es wichtig, Menschen persönlich kennenzulernen, die so etwas erlebt haben.“
Initiatorin des Projektes Zusammen.HALT war die Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden. Diese befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Dresdner Bezirksverwaltung der DDR-Staatssicherheit. Die Historikerin Uljana Sieber leitet die Gedenkstätte. Während der Präsentation in Prag entstand das folgende Gespräch:
Frau Sieber, wie ist das Projekt Zusammen.Halt entstanden?
„Wir haben eine Ausschreibung gelesen. Das ist eine Förderrichtlinie von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ,Jugend erinnert‘. Da sie als mehrjähriges Projekt ausgeschrieben war und auch Kooperationen gewollt wurden, haben wir gedacht, dass wir uns da bewerben. Wir haben zusammen mit ‚Kultur Aktiv‘ einen langen Projektantrag geschrieben und waren erfolgreich. Neben ‚Kultur Aktiv‘ hatten wir mehrere Projektpartner wie die Polizei Sachsen, aber auch Post Bellum in Prag und das Europäische Solidarność-Zentrum in Danzig. Wir hatten auch Schulen als Kooperationspartner.
Den Antrag haben wir eingereicht, und er ist gebilligt worden. Zweieinhalb Jahre konnten wir arbeiten. Den Namen ‚Zusammen.HALT‘ für das Projekt haben wir gewählt, weil wir zusammen mit jungen Menschen erforschen wollten, wie Diktatur im Alltag funktionierte. Auf der einen Seite, wie versucht wurde, staatlicherseits Zusammenhalt unter Zwang zu erzeugen – beispielsweise bei den Jungpionieren oder bei der FDJ in der DDR. Und auf der anderen Seite, wie oppositionelle Gruppen Zusammenhalt erzeugten, indem sie sich Freiräume schufen, wobei sie im Untergrund arbeiteten und ‚Mail Art‘ betrieben. Das war diese zweite Seite von Zusammenhalt. Gleichzeitig haben wir gezeigt, dass das Wort Halt, das auch Stopp bedeutet, eine Art Exklusion bedeutet. Man schließt damit andere aus: Beispielsweise waren Menschen, die in der Kirche und in der Opposition waren, nicht zum Studium zugelassen. Auch solche Sachen haben wir uns angeschaut. Das ist die Doppeldeutigkeit des Namens ‚Zusammen.HALT‘.“
Hatten die Schüler aus Tschechien die Möglichkeit, die Gedenkstätte Bautzner Straße und vielleicht auch weitere Gedenkstätten zu besichtigen?
„Ja, wir hatten unter anderem im Juni dieses Jahres eine Jugendbegegnung. Da kamen Schüler aus Prag und aus Danzig zu uns. Wir haben am historischen Ort der Gedenkstätte gearbeitet. Die Gedenkstätte Bautzner Straße ist ein ehemaliges Stasi-Untersuchungsgefängnis. Jugendliche haben die Geschichte dieses Ortes erforscht, erlebt und sie mit Zeitzeugen verbunden. Sie haben auch andere Orte besucht wie beispielsweise die Festung Königstein, die zeitweise ein Jugendwerkhof war. Dort wurden Jugendliche in der DDR unter Zwang eingesperrt, wenn sie nicht so ins System passten, wenn sie nicht konform waren. Diesen Ort haben sie also besucht. Sie haben zusammengearbeitet, gemeinsam Workshops gemacht und Zeitzeugen interviewt – wie zum Beispiel Heidi Boley, die durch ihre Biografie einen Bezug zu Prag hat.“
Welche Fragen stellen die Schüler am häufigsten?
„Die nach der Freiheit: Wie konnte man in Unfreiheit leben, wie war die Jugend damals? Natürlich erfuhren sie, dass es auch in der Unfreiheit freie Räume gab – diese kleinen Nischen, die man sich schuf, und dass man dann versuchte, über die Grenzen zu reisen. Im sogenannten Ostblock konnte man mit Umständen reisen. Die Jugendlichen fragen: Wie sah eure Freiheit aus? Natürlich vergleichen sie es mit der Freiheit von heute. Wenn man über das Thema der politischen Haft spricht, fragen die jungen Menschen, wie man es geschafft hat, das in einer solch schweren Zeit zu überstehen und wie man die Hoffnung behalten konnte. Und sie fragen sich selbst: Was bedeutet Freiheit für mich? Wie lebe ich Freiheit? Wie definiere ich Freiheit?“
Die Resultate des Projekts werden in einer Wanderausstellung gezeigt. Diese ist derzeit im Prager Gymnasium von Post Bellum zu sehen. Wo kann man die Ausstellung ansonsten besuchen?
„Wir haben gemeinsam mit den Jugendlichen Projektergebnisse geschaffen, die wir in der Ausstellung zeigen. Die Ausstellung ist in vier Sprachen entstanden: in Tschechisch, Polnisch, Deutsch und Englisch. Diese Schau wird parallel in Prag, im Solidarność-Zentrum in Danzig und in der Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden gezeigt. Das ist wunderbar, weil es beweist, dass wir über die Grenzen hinaus zusammengearbeitet haben. Diese Zusammenarbeit hat sich so vertieft, dass wir sie auch weiterführen werden. Das ist bei der historischen Erforschung dieses Themas wichtig, weil auch die Staatssicherheiten über die Grenzen hinweg zusammengearbeitet haben. Das haben wir aus den Fluchtgeschichten erfahren und beispielsweise auch aus der Geschichte der Zeitzeugin Heidi Bohley. Gleichzeitig hat ebenso die Opposition über die Grenze hinweg zusammengearbeitet. So weiß ich, dass unsere Mail-Art-Künstler, die in Dresden arbeiteten, sich von Polen haben inspirieren lassen. Der Prager Frühling von 1968 hatte großen Einfluss auf die Opposition in der DDR. Deswegen ist es wichtig, grenzübergreifend zu arbeiten. Wir und die Jugendlichen merken dabei, dass die Geschichten so ähnlich sind. Und dass nun Geschichte des Niedergangs des Kommunismus oder der Überwindung des Kommunismus verstanden und weitererzählt werden kann.“
Im Prager Gymnasium, das von der gemeinnützigen Organisation Post Bellum gegründet wurde, läuft derzeit die Ausstellung über das Projekt Zusammen.HALT. Tereza Meinczingerová ist Direktorin des Gymnasiums. Im Gespräch für Radio Prag International sagt sie:
„Wir sind ein privates Gymnasium, dessen Träger die Organisation Post Bellum ist. Ihr Kernprojekt ist das Online-Archiv Memory of Nation – ein Archiv von Erinnerungen von Zeitzeugen. Post Bellum ist mit der Organisation „Kultur Aktiv“ in Dresden in Verbindung. Darum haben wir die Möglichkeit bekommen, uns am Projekt Zusammen.HALT zu beteiligen. Sechs Schüler sind für eine Woche nach Dresden gereist, um gemeinsam mit Schülern aus Deutschland und aus Polen die Geschichte zu erforschen.“
Wie groß war das Interesse der Schüler an dem Projekt und auch an der neuen Ausstellung?
„Das Interesse ist sehr groß. Denn wir stehen am Anfang – wir sind eine junge Schule, die erst das dritte Schuljahr erlebt. Wir möchten unsere internationale Zusammenarbeit aufbauen, das heißt, wir sind gerade auf Suche nach derartigen Projekten. Das Angebot der Teilnahme am Projekt kam gerade zum richtigen Zeitpunkt. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, die Zusammenarbeit fortzusetzen und sie in einen Austausch zu verwandeln.“
Könnte daraus eine dauerhafte Zusammenarbeit entstehen?
„Das wäre toll. Ich habe mit den Organisatoren darüber gesprochen, dass ich mich darüber sehr freuen würde, wenn wir den Kontakt aufrechterhalten könnten.“
Wie groß ist das Interesse am Gymnasium von Post Bellum?
„Ich glaube, dass es steigt. Das erste Jahr war etwas abenteuerlich. Aber mittlerweile haben wir die Möglichkeit, unsere Schüler auszusuchen. Sie mussten Aufnahmeprüfungen machen, und wir haben die besten aufgenommen.“
Wodurch unterscheidet sich das Gymnasium von anderen Schulen? Wird der Geschichtsunterricht besonders betont?
„Das auch, weil wir ein Fach haben, das ,Paměť národa‘ heißt. Übersetzt heißt das ,Gedächtnis der Nation‘. Da werden die Geschichten von Zeitzeugen erarbeitet. Die Schüler haben die Möglichkeit, mit Menschen zusammenzutreffen, die die kommunistische Ära erlebten. Sie drehen Reportagen und machen ein ganzjähriges Projekt daraus. Sie befassen sich mit der Geschichte also auf eine andere Weise als beim üblichen Geschichtsunterricht. Es gibt aber auch weitere Prinzipien, die unsere Schule besonders achtet. Für uns ist ein Dialog zwischen den Generationen wichtig. Es gibt Projekte, bei denen Senioren zu uns kommen und gemeinsam mit den Schülern arbeiten. Wir finden es zudem wichtig, die gymnasialen Fächer so miteinander zu verbinden, dass eine komplexe Unterrichtslinie entsteht.“