Für den Mut ihrer Jugend geehrt – tschechische Preise zum „Gedächtnis des Volkes“

Foto: ČT24

Am 17. November werden in Tschechien und der Slowakei jene Menschen geehrt, die während der nationalsozialistischen Besatzung oder im Kommunismus ihren Mut bewiesen haben. Die entsprechenden Preise sind nach einem Zeitzeugenprojekt im Internet benannt und heißen „Gedächtnis des Volkes“. Vergeben werden sie vom tschechischen Verein „Post Bellum“.

Jüdischer Friedhof in Sereď  (Foto: Archiv Post Bellum)

Fünf Mutige wurden am Dienstag ausgezeichnet. Alžběta Vargová kommt aus dem slowakischen Städtchen Sereď und war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zehn Jahre alt. Im Zeitzeugeninterview für das Projekt Paměť národa, auf Deutsch „Gedächtnis des Volkes“, erzählt sie von einem jüdischen Gefangenen. Dieser musste auf dem benachbarten jüdischen Friedhof die Menschen begraben, die von der faschistischen Hlinka-Garde erschossen wurden:

„Mein Bruder und ich waren im Hof unseres Grundstücks. Der Mann kam zu meinem Bruder und sagte ‚Junge, lass mich bitte durch Euer Tor!‘ Das Tor war immer verschlossen, aber wir hatten einen Schlüssel.“

Alžbeta Vargová  (Foto: Archiv Post Bellum)

Die beiden Jugendlichen verhalfen dem Gefangenen zur Flucht. Während Alžběta den Hund wegschloss und dann ihre Mutter ablenkte, schloss der Bruder das Tor auf. Der Mann entkam, ging zu den Partisanen, überlebte den Krieg und kehrte später auf den Hof zurück, um der Familie Varga zu danken.

Aber es ist nicht nur diese Tat, für die Alžběta Vargová nun geehrt wurde. Sie hatte auch die Idee, dass die Familie die Namen der erschossenen Juden heimlich aufschrieb und so die Massaker in Sereď dokumentierte.

Mikuláš Kroupa leitet den Verein „Post bellum“. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte er , was die Preisträger in diesem Jahr miteinander verbindet.

Leonid Dohovič  (Foto: Archiv Post Bellum)

„Allen ist gemeinsam, dass sie damals zwischen 15 und 20 Jahre alt waren und vor eine extrem schwere Prüfung gestellt wurden. Und das im Zweiten Weltkrieg oder während der 1950er Jahre. Einige waren im Konzentrationslager, andere in den Gefängnissen der Staatssicherheit oder des KGB“, so Kroupa.

Unter der Verfolgung des sowjetischen Geheimdienstes litt zum Beispiel Leonid Dohovič. Er stammt aus der Karpatenukraine, die zwischen den Weltkriegen zur Tschechoslowakei gehörte. Zusammen mit anderen Gleichaltrigen wollte er einen Aufstand gegen die sowjetische Besatzung seiner Heimat in Gang bringen. Mikuláš Kroupa über Dohovič:

„Es ist die Geschichte eines 15-jährigen Jungen, der Anfang der 1950er Jahre vom NKWD, dem späteren KGB, verhaftet wurde. Für sechs Jahre sperrte man ihn in den Gulag.“

Květoslava Bartoňová  (Foto: Archiv Post Bellum)

Als er 1956 freikam, konnte Leonid Dohovič in die Tschechoslowakei emigrieren. Zunächst lebte er in Böhmen, wohin sein Vater bereits geflohen war. Später zog er in die Ost-Slowakei.

Eine der Preisträgerinnen wurde posthum ausgezeichnet. Květoslava Bartoňová engagierte sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Als 18-jährige Pädagogikstudentin in Olomouc / Olmütz brachte sie zusammen mit Kommilitoninnen eine Hilfssammlung ins sogenannte „Tal des Todes“ im Osten der Slowakei. Am dortigen Dukla-Pass war es gegen Ende des Krieges zu schweren Gefechten gekommen. In dem Tal fielen ihnen die kranken und verwahrlosten Kinder auf. Bartoňová und ihren Mitstreiterinnen ist zu verdanken, dass 45 Kinder in den tschechischen Landesteil gebracht wurden. Die Retterin hat vor einigen Jahren für das Zeitzeugenprojekt Paměť národa die damalige Lage im „Tal des Todes“ geschildert:

„Tal des Todes“  (Foto: Jozef Kotulič,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)

„Die Kinder waren als Waisen zurückgeblieben. Sie schliefen in Hütten zu viert in einem Bett. Die Gegend war total zerbombt, und man konnte nur auf bestimmten Wegen gehen, weil überall sonst Minen lagen. Es gab nur noch ein Haus aus Stein. Mir taten die Kinder damals leid, deswegen habe ich das gemacht.“

Wegen der Corona-Pandemie verlief die Übergabe der Preise anders als sonst. Anstatt bei einem Gala-Abend im Nationaltheater in Prag erhielten die Laureaten die Auszeichnungen zu Hause. Mobile Teams fuhren zu den Zeitzeugen – und überreichten die Preise, dem Alter der Geehrten entsprechend, unter strengen Hygiene-Auflagen.

Autor: Till Janzer
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