Von persönlicher Freundschaft zum gemeinsamen Studiengang: Uni-Kooperation Prag-Düsseldorf
Auf persönlicher Ebene begann vor 30 Jahren ein Projekt, das heute ein gelebtes Beispiel wissenschaftlichen Austauschs zwischen Tschechien und Deutschland ist: Denn der Lehrstuhl für deutsche und österreichische Studien an der Prager Karlsuniversität und der Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf arbeiten seit 1994 zusammen. Im Folgenden mehr über eine fruchtbare Kooperation trotz unterschiedlicher Themenschwerpunkte.
Jedes Jahr sind Studierende und Lehrende von der Prager Karlsuniversität an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und andersherum. Seit 30 Jahren besteht diese Kooperation, die einst durch private Initiative entstand. Die Beteiligten und Ehemalige haben bei einer Zusammenkunft im Goethe-Institut in Prag am Dienstag das Jubiläum gefeiert.
Konkret handelt es sich um die Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für deutsche und österreichische Studien an der Karlsuniversität und dem Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte in Düsseldorf. Letzteren leitet die Professorin Anke Hillbrenner. Im Interview für Radio Prag International erläutert die Historikerin:
„Für uns ist dieser Austausch ungeheuer wichtig. Es gibt ihn jetzt ja schon seit 30 Jahren. Wir bekommen aus Prag immer viele Studierende, Doktorandinnen und Doktoranden sowie Dozierende, die Seminare für uns halten. Dadurch haben wir einen intensiven Blick auf die historischen Debatten, die in Tschechien geführt werden. Und wir schicken auch unsere Studierenden nach Prag. Zum Beispiel veranstalten wir Exkursionen, zudem gibt es ein Fortbildungsstipendium, sodass jedes Semester auch jemand aus Düsseldorf hier in der Stadt ist. Über die Jahre hinweg hat das zu viel fruchtbarer Zusammenarbeit in Wissenschaft und Lehre geführt.“
Aufbauhilfe für neuen Lehrstuhl
Möglich gemacht wurde dies natürlich erst durch den Fall des Eisernen Vorhangs. Zudem war die Prager Karlsuniversität in ihrer Fächerstruktur zu Anfang der 1990er Jahre noch sehr konventionell. Man konnte zwar Germanistik studieren, aber eine interdisziplinäre Beschäftigung mit Deutschland auf wissenschaftlicher Ebene gab es nicht. Der Prager Historiker Jan Křen hob damals aber einen entsprechenden Lehrstuhl für sogenannte Area Studies aus der Taufe. Und er wandte sich an seinen Freund und Kollegen Detlef Brandes in Düsseldorf mit der Bitte um Beratung und Hilfe. Dieser hatte die Idee, dass sich die Prager vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) fördern lassen könnten. Zuzana Lizcová leitet heute den Lehrstuhl für deutsche und österreichische Studien in Prag und sagt:
„Beide hatten die Vision, dass es eine sehr gute Sache sei, zwei Lehrstühle über eine enge Kooperation miteinander zu verbinden. Und dies bedeutete auch enge persönliche Beziehungen. Die Möglichkeit, in Prag deutschsprachige Lehre anzubieten, und die Möglichkeit für tschechische Akademiker, nach Deutschland zu reisen und dort etliche Wochen zu Forschungszwecken zu verbringen – das war vor allem wichtig in einer Zeit, als die entsprechenden Bücher im damaligen Tschechien nicht so zugänglich waren.“
Für den Aufbau ihres Lehrstuhls habe die Kooperation daher auch entscheidende Bedeutung gehabt, fügt Lizcová an…
„Für unseren Lehrstuhl ist es ein zentrales Projekt, das muss ich ehrlich zugeben. Es ist eine sehr wichtige Kooperation, durch die etliche persönliche Kontakte und wissenschaftliche Projekte entstanden sind – und auch das Bewusstsein, dass es irgendwie selbstverständlich ist, mit Deutschland zu kooperieren. Das Projekt hat zudem in Deutschland viel Interesse an Tschechien geweckt“, so die Lehrstuhlleiterin.
Allerdings wurden dabei sozusagen die Enden zweier unterschiedlicher Kabel miteinander verbunden…
„Der Lehrstuhl in Düsseldorf konzentriert sich ausschließlich auf Geschichte. In Prag befassen wir uns aber auch mit Politologie, Kulturwissenschaften oder der Wirtschaft. Wir sind also etwas breiter angelegt, weil über dieses Programm nicht nur Kollegen aus Düsseldorf zu uns als Gastdozenten kommen, sondern auch von anderen deutschen Universitäten, die dank der Förderung des DAAD bei uns lehren können“, erläutert Lizcová.
Anke Hillbrenner ist sich als Leiterin des Lehrstuhls für osteuropäische Geschichte in Düsseldorf dieses Unterschieds ebenfalls bewusst. Für problematisch hält sie ihn aber nicht, im Gegenteil:
„Diejenigen, die aus Prag nach Düsseldorf kommen, belegen manchmal nicht unbedingt Kurse bei uns, sondern zum Beispiel bei den Germanisten. Häufig wollen sie sich auch mit deutscher Literatur auseinandersetzen. Wir beschäftigen uns zudem nicht nur mit dem östlichen Europa, sondern ebenso damit, wie das östliche Europa aus deutscher Sicht wahrgenommen wird. Dies interessiert wiederum auch die tschechischen Studierenden sehr. Dementsprechend haben wir schon so einige Anknüpfungspunkte, bei denen wir gut zusammenarbeiten und ins Gespräch kommen können. Und gerade bei den Doktorarbeiten, für die die Leute in unserer Bibliothek oder in den Archiven sehr viel finden, merken wir auch immer, wie bereichernd der Austausch ist.“
Bekannte Historiker und gut bestückte Bibliotheken
Ab kommender Woche werden erneut zwei Studierende aus Prag in Düsseldorf sein. Es sind Anetta Grögerová und Jan Dvořák. Beide machen an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität ihren Master in deutschen und österreichischen Studien. Anetta kombiniert das mit Medienwissenschaften und Jan mit einem Geschichtsstudium. Für sie ist es jeweils der erste Aufenthalt in Düsseldorf. Beide wollen das Semester im Rheinland nutzen, um ihre Masterarbeit vorzubereiten.
„Ich möchte Vorlesungen von bekannten Historikern wie Christoph Nonn besuchen. Wenn Zeit dafür sein wird, würde ich gerne in das Archiv der CDU in St. Augustin gehen. Und ich möchte die Landesbibliothek Nordrhein-Westfalen nutzen, weil ich gehört habe, dass sie reich ausgestattet ist“, so Jan Dvořák, der für seine Masterarbeit schon ein Thema im Blick hat: die diplomatischen und politischen Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik Deutschland in den 1980er Jahren.
Und Anetta Grögerová berichtet:
„Auch für mich ist der Aufenthalt eine Vorbereitung für die Masterarbeit. Wie ich gehört habe, kann man in Düsseldorf an einem Masterforum teilnehmen. Das bietet mir eine gute Chance, einige Meinungen von Geschichtsstudenten in Deutschland zu hören. Und vielleicht lerne ich neue Konzepte kennen und kann Bücher aus der dortigen Bibliothek verwenden.“
Selbstverständlich ist der Austausch zwischen den beiden Lehrstühlen in Prag und Düsseldorf keine Massenveranstaltung. Pro Jahrgang nehmen auch nur maximal 15 Studierende die deutschen und österreichischen Studien in Prag auf. Das Ziel ist schließlich, in Tschechien Spezialisten für diese beiden Länder auszubilden. Viele der ehemaligen Absolventen dieses Master-Studiengangs sind heute in den grenzüberschreitenden Beziehungen tätig oder engagiert. So ist über die Jahre hinweg eine beträchtliche Zahl an Experten zusammengekommen, wie sich eben bei der 30-Jahrsfeier gezeigt hat.
Aber auch andersherum funktioniert diese Expertise. Und nicht nur das, denn durch die Kooperation der beiden Lehrstühle wurden sogar ganze Lebenswege in eine neue Richtung gelenkt. Der Historiker Andreas Wiedemann ist dafür ein Beispiel. Er war 1998 für zwei Semester in Prag, als Tutor am Lehrstuhl für deutsche und österreichische Studien…
„Da war ich selbst noch Student. Ein Jahr später habe ich meinen Magister gemacht und war dann im Jahr 2000 noch einmal für zwei Semester hier. Das hat insofern mein Leben verändert, weil sich danach noch verschiedene wissenschaftliche Projekte und meine Doktorarbeit angeschlossen haben, ich aber in Prag geblieben bin und bis heute hier lebe. Da kann ich schon behaupten, dass dieses Studienprogramm und die Arbeit als Tutor eine große Wende in meinem persönlichen Leben gebracht haben“, so Andreas Wiedemann.
2006 und 2007 war er übrigens bei Radio Prag International beschäftigt und arbeitet heute als Pressereferent der österreichischen Botschaft in Prag. In seiner Dissertation hat Andreas Wiedemann einen bis damals weißen Flecken der tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Geschichte beleuchtet:
„Ich habe meine Doktorarbeit geschrieben über die Wiederbesiedlung der tschechischen Grenzgebiete oder der ehemaligen Sudetengebiete nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesen Gebieten wurden im Zuge der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung dann Tschechen, Slowaken und andere Bevölkerungsgruppen angesiedelt.“
Abschlüsse aus zwei Ländern
Während in Prag also 30 Jahre Beziehungen zwischen den beiden Lehrstühlen gefeiert wurde, wollen beide Seiten einen weiteren Schritt zu einer noch engeren Kooperation tätigen. Anke Hillbrenner:
„Das ist noch Zukunftsmusik, aber wir planen jetzt einen integrierten internationalen Studiengang mit Doppelabschluss. Das heißt, dass die Studierenden sowohl in Prag als auch in Düsseldorf einen gemeinsamen Studiengang absolvieren und hinterher zwei Zertifikate haben – einen Abschluss von der Heinrich-Heine-Universität und einen von der Karlsuniversität. Ich glaube, das ist für beide Seiten sehr attraktiv.“
Zunächst seien drei Studierende von jeder Seite vorgesehen, sagt die Geschichtsprofessorin. Diese würden die vier Semester, die dieser geplante Masterstudiengang haben soll, gemeinsam absolvieren...
„Das erste Semester jeder an der Heimatuniversität, das zweite Semester alle in Düsseldorf und das dritte alle in Prag. Und zur Masterarbeit sollen sie sich dann aussuchen dürfen, in welchen Archiven sie arbeiten. Zum Start sollen es eben sechs Personen sein. Wir hoffen aber, dass es noch mehr werden. Ich glaube, auch für Deutsche ist es eine ganz neue Erfahrung, dass man sich als Teil einer Klasse begreift, gemeinsam die vier Semester durchmacht und auch abschließt“, erläutert Anke Hillbrenner.