Über den Nachbarn lernen: Deutscher Studiengang in Prag besteht 20 Jahre

Foto: Europäische Kommission

Jahrzehntelang war Deutschland entweder sozialistischer Bruder oder Klassenfeind. In diesem Klima befasste man sich in der Tschechoslowakei nicht sonderlich intensiv mit Staat, Gesellschaft, Kultur oder Wirtschaft des „großen Nachbarn“. Doch nach der Wende änderten sich die Vorzeichen, und an der Prager Karlsuniversität entstand ein deutschsprachiger Studiengang. Diesen gibt es nun seit 20 Jahren, was vergangene Woche an der Deutschen Botschaft in Prag gefeiert wurde. Im Folgenden mehr über den Studiengang.

Jan Křen  (Foto: Kristýna Pašková,  Archiv der Karlsuniversität in Prag)
Eigentlich entstand der Lehrstuhl für deutsche und österreichische Studien, wie er heute heißt, bereits im Herbst 1993. Doch erst zum Wintersemester des darauffolgenden Jahres wurden auch Seminare und Vorlesungen angeboten. Den Impuls zur Gründung gab vor allem der Geschichtswissenschaftler Jan Křen, er war direkt nach der politischen Wende Mitglied der Deutsch-Tschechischen Historikerkommission. Partner auf deutscher Seite wurde die Universität Düsseldorf, was besonders ein Verdienst von Křens Fachkollegen Detlef Brandes war. Dazu kam die finanzielle Unterstützung durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Detlef Brandes:

Detlef Brandes  (Foto: Archiv des Tschechischen Zentrums München)
„Das Ziel war von Anfang an, Spezialisten für den großen Nachbarn heranzubilden – die sich nicht nur mit der Geschichte auskennen, sondern auch mit Wirtschaft, Kultur, Recht und Politik. Es war also von Anfang an ein Teil der Area Studies, die es anderswo auch gibt. Mir scheint, dass dies wirklich gelungen ist – und das muss wiederum als Verdienst der Prager Seite angerechnet werden. Ihnen fehlten aber zum Teil Spezialisten für alle Gebiete, so zum Beispiel für Wirtschaft. Das heißt, für bestimmte Bereiche konnten wir mit Spezialisten ergänzen.“

Daher finanziert der DAAD bis heute Gastprofessuren und Gastdozenturen, die mittlerweile nicht mehr nur in Kooperation mit Düsseldorf, sondern auch mit weiteren deutschen Hochschulen besetzt werden. Ab diesem Wintersemester ist zum Beispiel der Wirtschaftshistoriker Torsten Horst Lorenz in Prag, und zwar als sogenannter Langzeitdozent für drei Jahre.

Angesiedelt wurde der Lehrstuhl aber nicht bei den Philosophischen Fakultäten, wie dies etwa die Germanistik ist, sondern bei den Sozialwissenschaften. Dies hat mehrere Gründe. Ota Konrád, der Leiter des Lehrstuhls:

Ota Konrád  (Foto: Archiv des Österreichischen Kulturforums)
„Wir sind in dem Sinne keine Germanisten, keine Linguisten und bilden auch keine Dolmetscher oder Übersetzer aus. Für uns ist die Sprache zwar auch sehr wichtig, aber vor allem ‚nur‘ Mittel zum Zweck, das bedeutet zum Kennenlernen, Erforschen, Studieren der deutschsprachigen Länder. Daher auch diese Ansiedlung, denn die Interdisziplinarität gehört zu den Kennzeichen der sozialwissenschaftlichen Fakultät.“

Die deutschen und österreichischen Studien sind im Übrigen ein Master-Studiengang, für diesen muss man zuvor bereits einen Bachelor absolviert haben. 2009 wurde aber direkt am Lehrstuhl eine erste Möglichkeit eingerichtet, um sich entsprechend zu qualifizieren. Eine zweite läuft gerade an.

„Seit fünf Jahren gibt es bereits die deutsch-tschechischen Studien, das ist ein Doppeldiplom mit der Universität in Regensburg. Nun haben wir mit der Universität in Krakau einen weiteren doppelten Abschluss geschaffen, er heißt Deutsche und Mitteleuropäische Studien. Das ist sozusagen die Erweiterung des Studienangebotes“, so der Historiker Ota Konrád.

Foto: Europäische Kommission
Für den Masterstudiengang bewerben sich jedes Jahr rund 40 Studierende. Doch nur 15 werden angenommen und dann zu Spezialisten für den großen Nachbarn Deutschland beziehungsweise den vergleichsweise kleineren Nachbarn Österreich ausgebildet.