Gotische Schmuckfresken und verstummte Orgel: St. Apollinaris

St. Apollinariskirche (Foto: Autorin)

Fast jeder Pragbesucher kann ein paar Baudenkmäler aufzählen, die aus der Zeit von Karl IV. stammen. Während der Gründung der Prager Neustadt ließ der Kaiser eine Kirche erbauen, die der Aufmerksamkeit der Touristen meistens entgeht.

St. Apollinariskirche  (Foto: Autorin)
Den Namen Apolinář (zu Deutsch Apollinaris) verbinden die meisten Prager mit der berühmten Entbindungsklinik, die sich in einem recht auffälligen neugotischen Ziegelgebäudekomplex in der Apolinářská-Straße in der Prager Neustadt befindet. Für diejenigen, die Probleme mit Drogen und Alkohol haben, ist der „Apolinář“ ein Synonym für die Heilanstalt, die unweit der erwähnten Klinik liegt. Nur wenige wissen jedoch, dass in der Nähe der erwähnten medizinischen Einrichtungen in der Apolinářská eine ursprünglich gotische Kirche steht, die auch den Namen des heiligen Apolinář – Apollinaris trägt. Denn in den Stadtführern wird der wertvolle Sakralbau, in dem einzigartige Fresken entdeckt wurden, meistens übersehen. Auch wenn der imposante Turm der St. Apollinariskirche beim Blick auf die Prager Neustadt auf keinen Fall übersehen werden kann.

Kamil Novák  (Foto: Autorin)
Geöffnet ist die Kirche meistens nur am Sonntagabend, wenn hier die Messe gelesen wird. Aus der Kirche ertönt jedoch keine Orgel- sondern Gitarrenmusik. Wie ich später erfahren sollte – aus einem einfachen Grund: Die Orgel der St. Apollinariskirche wartet noch auf ihre Renovierung.

Durch die Kirche hat mich Vikar Kamil Novák geführt, der zwar im Kloster in Tuchoměřice zu Hause ist, aber, wie es in Tschechien durchaus üblich ist, gleich mehrere Pfarrkirchen zu betreuen hat. Eine davon ist die St. Apollinariskirche, die Karl IV. bei der Errichtung der Prager Neustadt auf dem Hügel Vetrov bauen ließ. Den Ort hat der namhafte Herrscher nicht zufällig ausgesucht, sagt Kamil Novák:

„Ich habe erst vor kurzem erfahren, dass nach dem Baukonzept von Karl IV. dieser Hügel Větrov an den Jerusalemer Tempelberg erinnern sollte. St. Apollinaris stellt das geografische Zentrum der Neustadt dar, die Kirche liegt in der Mitte eines imaginären Kreuzes, deren Höhepunkt die Kirche von Karlov / Karlshof darstellte. Wenn man vom Vyšehrad auf die Neustadt hinunter blickt, sieht man die Apollinariskirche herausragen, weil sie wirklich auf einem Hügel erbaut wurde. Diese Kirche sollte schon in der Vergangenheit sowohl den Kranken dienen, da es in ihrer Umgebung Spitäler gab, als auch Gelehrten zur Verfügung stehen. Denn sogar heute noch gibt es in der Nähe der Kirche mehrere wissenschaftliche Institute. Einige Rektoren der Karlsuniversität waren hier im 14. und 15. Jahrhundert als Pfarrer tätig.“

Die Orgel der St. Apollinariskirche  (Foto: Autorin)
Wie kam die Kirche zu ihrem zumindest in den böhmischen Ländern nicht gerade geläufigen Namen? Kamil Novák:

„Es wurde damals das Kollegiatkapitel aus Sadská bei Nymburk in die St. Ägidiuskapelle übertragen, die auf dem Hügel Větrov stand. In Sadská wirkte das Kapitel, also die Gemeinschaft der Kanoniker, bei einer St. Apollinariskirche. Die Übertragung des Kapitels war der Anlass für den Bau einer neuen Kirche, die denselben Namen tragen sollte wie einst die Kirche in Sadská. Die Reste der älteren Ägidiuskirche sind heute noch einige Meter hinter dieser Kirche, in Richtung der Heilanstalt für Drogenabhängige, zu sehen.“

Foto: Autorin
Beim Betreten der Kirche kann man sie kaum übersehen: Denn beide Seitenwände sind mit diesen Fresken reich verziert. Die ursprünglich gotischen Fresken sind um das Jahr 1390 entstanden. Jahrhunderte lang blieben sie jedoch unter dem Putz versteckt, erzählt Kamil Novák.

„Auf der rechten, also der südlichen Wand des Kirchenschiffs ist Christus mit den Aposteln dargestellt. Unterhalb der Füße von den Aposteln sieht man eine Art Gewölbe, wo alle Propheten des Alten Testaments zu sehen sind. Die Freske soll die Verbindung zwischen dem Alten und Neuen Testament demonstrieren. Gegenüber auf der Nordwand mit den Eingängen gibt es eine Freske mit der Jungfrau Maria in der Mitte. Interessant ist, dass sie auf der einen Seite von heiligen Frauen umgeben ist, die als Mütter mit Kindern dargestellt sind. Auf der anderen Seite stehen heilige Jungfrauen. Die Darstellung von Heiligen mit Kindern ist sehr ungewöhnlich. Unter der Reihe der heiligen Mütter gibt es ein ähnliches Gewölbe wie auf der gegenüberliegenden Freske und dort sind die sieben Tugenden zu sehen. Und die heiligen Jungfrauen treten mit ihren Füßen auf das Laster. Dies soll bedeuten, dass sie über das Laster gesiegt haben.“

Die Ausstattung der Kirche ist viel jünger als die wertvollen Fresken. Der Altar stammt aus der Kirche von Karlov - in die Apollinariskirche wurde er 1785 übertragen. Im Unterschied zu vielen anderen Kirchen wurde die Apollinariskirche während der hussitischen Kämpfe nicht beschädigt, und zwar aus gutem Grund.

„Dies ist interessant an der Geschichte dieser Kirche: In der Zeit der Kalixtiner oder Utraquisten gehörte diese Kirche ihnen ähnlich wie die Prager Theynkirche. Die St. Apollinariskirche war eines der Zentren von Menschen, die sich – würde ich sagen – wirklich um eine geistliche Erneuerung des Volkes bemühten. Später ging die Kirche in den Besitz der Stadt über und im 18. Jahrhundert wurde der Raum sogar als Prüfstelle für Kanonen genutzt. Eine Zeit lang diente der Bau also gar nicht als Kirche.“

Wie man auf den ersten Blick sehen kann, hat die Apollinariskirche auch eine Orgel. Das Instrument benötigt jedoch dringend eine Reparatur, sagt Karla Körberová von der Gesellschaft der Freunde der Apollinariskirche:

Karla Körberová  (Foto: Autorin)
„Es ist schade, dass die Orgel nicht funktioniert, denn sonst könnten hier auch Konzerte veranstaltet werden. Die Gottesdienste werden bislang von Gitarrenmusik begleitet. Wir beabsichtigen Spenden zu sammeln, um die Orgel renovieren zu können. Die Kirche könnte dann auch für die breitere Öffentlichkeit genutzt werden.“

Der Anlass zur Renovierung des etwa 150 Jahre alten Musikinstruments stammt von einem ausländischen Diplomaten, der in der Nähe der Kirche der Kirche wohnte, sagt Körberová. Als evangelischer Gläubiger entschied er sich, der Gemeinde von St. Apollinaris einen Startbeitrag zur Renovierung der Orgel zu spenden. Nun müssen die Freunde der Kirche weitere Kronen sammeln, um die Kosten für die Renovierung aufzubringen. Um die Kirche kümmern sich Mitglieder der Gemeinschaft Chemin Neuf, einer katholischen Gemeinschaft mit ökumenischer Berufung, die in Frankreich entstand (www.chemin-neuf.cz).

St. Apollinariskirche
Die Apollinariskirche, die wir Ihnen heute vorgestellt haben, ist im Zusammenhang mit der Gründung der Neustadt erbaut worden. Falls Sie wissen, wann und an welchem Moldauufer die Neustadt gegründet wurde, durch die Prag um beinahe das Dreifache erweitert wurde, können Sie es uns schreiben. Denn so lautet die heutige Quizfrage, für deren richtige Beantwortung Sie ein Buch über Prag gewinnen können.

In der Sendung über das Prager Comenius-Museum haben wir Sie vor vier Wochen nach dem Ort gefragt, wo Comenius bestattet wurde. Der namhafte Pädagoge wurde im niederländischen Naarden bestattet. Ein Buch über Prag geht diesmal an Ernst-Jürgen Schulwitz aus Wadgassen.