Gräber der Barbaren: Einzigartige Funde aus Zeit der Völkerwanderung

Foto: Archiv des Prager Stadtmuseums

Im Prager Stadtteil Zličín gelang es Archäologen vor einigen Jahren, eine Grabstätte aus der Zeit der Völkerwanderung zu finden. Es handelt sich um die bisher größte Nekropole aus dieser Zeit, die je auf dem Gebiet Tschechiens gefunden wurde. Im Prager Stadtmuseum wurde am Dienstag eine Ausstellung eröffnet, in der die wertvollen Funde aus dem fünften Jahrhundert gezeigt werden.

Foto: Martina Schneibergová
Die neue Ausstellung im Stadtmuseum trägt den Titel „Die Gräber der Barbaren / die Welt der Lebenden und der Toten in der Zeit der Völkerwanderung“. Im Blickpunkt stehen die Resultate archäologischer Forschungen, die in den Jahren 2005 bis 2008 in Zličín am westlichen Stadtrand von Prag durchgeführt wurden. Das Stadtmuseum arbeitete bei den archäologischen Forschungen mit der gemeinnützigen Gesellschaft Labrys zusammen. Nach den ersten zwei Wochen Arbeit sei klar gewesen, dass man auf etwas Einzigartiges gestoßen sei, erzählt Labrys-Chef und Archäologe Milan Kuchařík:

Milan Kuchařík  (Foto: Martina Schneibergová)
„Der Fund ist deswegen bedeutend, weil hierzulande nur wenige derartige Entdeckungen aus dem fünften Jahrhundert gemacht wurden. Zudem wurden Gegenstände gefunden, die wir zuvor nur von Ausgrabungen im Ausland kannten. Bedeutend ist die Größe der Grabstätte, es sind dort 173 Gräber. In den Gräbern wurden etwa 16.000 Gegenstände gefunden, darunter Schmuck aus Gold und Silber sowie mehrere Glasbehälter und Keramik. Alle diese Gegenstände stammen aus den römischen Provinzen sowie aus dem sogenannten ‚Barbaricum‘, also den an das römische Imperium grenzenden Gebieten. Man kann sagen, dass es Sachen aus ganz Europa sind.“

Die Ausstellung ist in vier Teile gegliedert. Zuerst werde die Zeit der Völkerwanderung in Europa allgemein beschrieben, erzählt Kuratorin Miroslava Šmolíková.

Foto: Archiv des Prager Stadtmuseums
„Der zweite Teil heißt ‚Die Barbaren auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens‘. Wir zeigen archäologische Funde nicht nur aus Prag, sondern auch von anderen Orten Tschechiens. Der dritte Teil konzentriert sich auf die archäologischen Forschungen der Grabstätte in Zličín. Den Höhepunkt stellen die dort gefundenen Gegenstände dar. Abschließend wird zusammengefasst, was wir durch die Auswertung der Funde erfahren haben.“

Im Jahre 375 zogen die Hunnen aus den Steppen Mittelasiens Richtung Europa. Unter ihrem Druck setzten sich germanische sowie weitere Stämme in Bewegung, die sich zuvor an verschiedenen Orten Europas niedergelassen hatten. Es begann eine unruhige Epoche der Völkerwanderung. Die Hunnen hätten eine Art Kettenreaktion ausgelöst, erzählt Jiří Vávra. Der Archäologe beteiligte sich an der Erforschung der Grabstätte in Zličín, bei der es sich nicht mehr um Brandgräber handelte.

Foto: Archiv des Prager Stadtmuseums
„In die Gräber wurden keine verbrannten Körper der Verstorbenen gelegt. Zu welchem Stamm die Bestatteten gehörten, wissen wir nicht. Wir nehmen jedoch an, dass es Germanen waren. Auf dem Gebiet des heutigen Böhmens lebten Markomannen. Anfang des fünften Jahrhunderts verließen viele von ihnen das Gebiet und zogen Richtung Südwesten. Ein Teil des Stammes lebte aber weiterhin hier. Während des fünften Jahrhunderts ließen sich hier jedoch neue Bewohner aus anderen Regionen nieder. Die Funde zeugen davon, dass sie einer stärker entwickelten Gesellschaft angehörten, als man aufgrund der Bezeichnung ‚Barbaren‘ glauben würde. Die Menschen trugen Schmuck aus Edelmetall. Sie benutzten viel öfter Behälter aus Glas, als wir zuvor gedacht haben.“

Goldschmuck  (Foto: Archiv des Prager Stadtmuseums)
Die Archäologen haben die ganze Grabstätte erforscht. Sie umfasst insgesamt 173 Gräber, in einigen davon wurden gleich mehrere Personen bestattet. Fast alle Gräber wurden in der Vergangenheit ausgeraubt. Trotzdem befanden sich dort immer noch zahlreiche wertvolle Gegenstände. In einem der wenigen Gräber, die nie ausgeraubt wurden, sei eine ganze Kollektion von Goldschmuck gefunden worden, sagt Archäologe Jaroslav Jiřík:

„Im Grab mit diesem Schmuck wurde ein etwa fünfjähriges Mädchen bestattet. Dies zeugt davon, dass es wahrscheinlich große soziale Unterschiede zwischen den damaligen Bewohnern gab, und dass die Stellung in der Gesellschaft vererbt wurde. In anderen Gräbern fanden sich Schmuck aus Silber sowie verschiedene Spangen, die an Sicherheitsnadeln erinnern. Diese waren reich verziert. Wir haben zudem Schmuck aus Bernstein sowie Korallen aus Glas gefunden. Diese stammten vielleicht aus Syrien. Die gefundenen Gläser und weitere Glasgegenstände aus der Spätantike sind unterschiedlicher Herkunft. Sie stammen aus dem Rheinland, aus Pannonien und einige davon aus der Levante – also aus dem Morgenland.“

Foto: Archiv des Prager Stadtmuseums
Von den zahlreichen Gegenständen aus Keramik ist eine kleine glänzende rotbraune Schüssel – die sogenannte „Terra Sigillita“ – besonders beachtenswert. Es ist die einzige erhalten gebliebene Schüssel dieser Art in Tschechien. Die Archäologen stufen aber auch einige weitere kleine Funde sehr hoch ein. Jaroslav Jiřík:

„Zum Beispiel wurden Teile von Lederschuhen gefunden. An den Metallgegenständen befanden sich Textilfragmente. Anhand der Analysen wissen wir, dass die Verstorbenen meist in Kleidern aus feinen, teuren Stoffen begraben wurden. Auch diese kleinen Fragmente enthalten für uns interessante Informationen.“

Solidus des Kaisers Honorius  (Foto: Archiv des Prager Stadtmuseums)
Eines der Exponate sei hoch interessant, sagt Jiří Vávra. Denn es habe gleich mehrere Funktionen gehabt.

„Ein einzigartiger Fund ist eine goldene römische Münze. Es ist ein Solidus des Kaisers Honorius von Anfang des fünften Jahrhunderts. Die Münze wurde jedoch in eine Spange umgewandelt. An der Rückseite der Münze wurde eine Nadel befestigt. Das bedeutet, dass die Münze als Schmuck diente. Sie symbolisierte zudem den sozialen Status des Besitzers.“

Die Germanen von Zličín wurden in Särgen bestattet. In einigen Fällen fanden die Archäologen noch winzige Holzfragmente. Es handelte sich um Eichenholz, wie die Analysen bestätigt haben. Jiří Vávra:

Foto: Martina Schneibergová
„In einem der Särge wurden sogar Reste von Menschenhaaren gefunden, auch wenn das Skelett nur schlecht erhalten geblieben ist. Die Gräber waren von Westen nach Osten orientiert. Der Verstorbene wurde mit dem Kopf Richtung Westen bestattet. Gegenstände wie Kämme aus Geweih oder Pinzetten wurden beigegeben, und in die Männergräber wurden Feuersteine gelegt. Der Verstorbene bekam in Glas- oder Keramikbehältern zudem wahrscheinlich Lebensmittel als Beigabe. Davon sind jedoch keine Spuren erhalten.“

Die Funde aus Zličín stellen den Höhepunkt der Schau dar. In der Ausstellung werden zudem Gegenstände aus derselben Epoche gezeigt, die an anderen Orten Tschechiens gefunden wurden. Dazu gehören Funde aus dem Grab eines hochgestellten germanischen Mannes aus dem mährischen Blučina oder Funde aus dem Prager Stadtteil Podbaba. Diese Exponate stammen aber aus den Sammlungen des Prager Nationalmuseums.

Die Ausstellung ist wie eine Erzählung gestaltet: Der Besucher betritt zuerst ein römisches Atrium, in dem das sich nähernde Ende der antiken Zivilisation zu spüren ist. Weiter geht es in das sogenannte Barbaricum, in dem man eine neue Kultur kennen lernt. In den folgenden dunklen Räumen wird die Welt der Toten aus dieser Zeit beschrieben. Zum Schluss kann man sich selbst im Spiegel mit den nebenan auf den Gemälden dargestellten sogenannten „Barbaren“ vergleichen.

Die Ausstellung „Die Gräber der Barbaren“ ist im Museum der Hauptstadt Prag bis 14. Februar kommenden Jahres zu sehen. Das Museum ist täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr geöffnet.

15
50.059342940000
14.291324620000
default
50.059342940000
14.291324620000