Vom Dorf zum Stadtteil – Prag-Strašnice

Ausstellung „Strašnice: der Garten Prags, das Tor für Armeen“ (Foto: Martina Schneibergová)

Das Prager Stadtmuseum stellt seit einiger Zeit die Viertel der Hauptstadt in gesonderten Ausstellungen vor. Dabei geht es sowohl um die Geschichte der ursprünglich meist selbständigen Gemeinde als auch um ihre Entwicklung nach der Eingemeindung. Zurzeit zeigt das Museum eine Ausstellung über den Stadtteil Strašnice.

Ausstellung „Strašnice: der Garten Prags,  das Tor für Armeen“  (Foto: Martina Schneibergová)
Strašnice ist erst 1922 ein Distrikt von Prag geworden. Heute gehört das Viertel zum Großteil zum zehnten Stadtbezirk, der kleinere Teil aber zum dritten. Im Mittelalter war Strašnice ein Dorf, das von Feldern umgeben war. Selbst im Jahr 1900 hatte die Gemeinde nur 1075 Bewohner, heute leben dort knapp 35.000 Menschen. „Strašnice: der Garten Prags, das Tor für Armeen“ heißt die Ausstellung im Prager Stadtmuseum. Kuratorin Pavla Státníková erläutert warum:

„Strašnice befand sich früher auf einem Gebiet südöstlich der Hauptstadt, von dem aus Prag mit Agrarprodukten versorgt wurde. Es gab dort Felder, Wiesen und Weinberge. Im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in Strašnice vor allem Gemüse für die Hauptstadt angebaut. Sehr bekannt war das Kraut von Strašnice. Zur Bezeichnung ,Tor für Armeetruppen’ lässt sich Folgendes sagen: Die Bewohner von Strašnice hatten es nicht einfach. Denn die Gemeinde lag direkt vor den Prager Stadtmauern. Jede Belagerung der Moldaustadt, jeder Feldzug, der vom Süden oder Südwesten geführt wurde, hatte für Strašnice Folgen. Am schlimmsten wurde das Dorf in den 1740er Jahren geplündert. Das war während des österreichischen Erbfolgekriegs. Während des Siebenjährigen Kriegs zwischen Preußen und Österreich kam es 1757 zur Schlacht bei Štěrboholy in unmittelbarer Nähe von Strašnice.“

Bauernhöfe und Vereine

Pavla Státníková  (Foto: Martina Schneibergová)
Strašnice wurde erstmals 1185 in den Quellen erwähnt. Ursprünglich bestand der Ort aus einigen Bauernhöfen, die ihren Besitzer mehrfach wechselten. Im Laufe der Jahrhunderte gehörten sie unter anderem zum Besitz der königlichen Kammer oder zur Prager Altstadt. Teil der Bauernhöfe waren auch Felder, die seit dem 18. Jahrhundert mehrmals in kleinere Ackerflächen gegliedert wurden. In dieser Gegend wurden Ende des 18. Jahrhunderts neue Häuser erbaut. Die Kuratorin:

„In den 1870er Jahren wurde die Gemeindeschule erbaut. Sie hatte die Konskriptionsnummer 42. Das bedeutet, dass es damals dort 42 Häuser gab. Die Einwohnerzahl ist jedoch schnell gestiegen. Strašnice war zu Beginn des 20. Jahrhunderts und während der Ersten Republik sehr attraktiv. Und zwar dadurch, weil es nahe an Prag lag, seinen ländlichen Charakter aber behalten hatte. Von dort aus führten die heutigen Straßen Starostrašnická, Černokostelecká und Vinohradská nach Prag. 1908 wurde ein Straßenbahndepot im Ort erbaut, seitdem fährt die Straßenbahn nach Strašnice. 1906 wurde ein kleiner Bahnhof errichtet. Dank der Bahn war Strašnice nicht nur mit Prag, sondern auch mit weiteren Städten verbunden.“

Foto: Martina Schneibergová
Auf historischen Fotos ist oft Staré Strašnice (zu Deutsch etwa: Alt-Strašnice) zu sehen. Pavla Státníková:

„Die alten Bauernhöfe, die diese Fotos zeigen, wurden Anfang der 1980er Jahre leider abgerissen. Es waren meist gut erhaltene Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, die im 19. Jahrhundert umgebaut und modernisiert wurden. Ich bin davon überzeugt, wenn sie noch zehn Jahre länger gestanden hätten, dann wären sie nicht abgerissen worden. Stattdessen hätte man sie sicher unter Denkmalschutz gestellt.“

In der Ausstellung steht auch das Vereinsleben in Strašnice im Fokus. Besonders wichtig in diesem Bereich sei die Entstehung des Turnvereins Sokol in der Gemeinde gewesen, sagt die Kuratorin. Aber nicht nur das:

Gaststätte , U Gutů‘  (Foto: Martina Schneibergová)
„Es gab dort aber auch weitere Vereine, die das gesellschaftliche Leben mitbestimmt haben. Die Gaststätten dienten dabei als Kulturzentren. Zu nennen sind das Wirtshaus ,U Trmalů‘ in der Straße Nad Primaskou oder die Gaststätte ,U Gutů‘ in der Straße Průběžná, die später in das Hotel Menton umgewandelt wurde. In der Ausstellung wird ein Amateurfilm von 1938 gezeigt, der eine Fronleichnamsprozession dokumentiert. Der Film ist aus mehreren Gründen wichtig. Er bringt uns die damalige Atmosphäre und die gesellschaftliche Bedeutung der Prozession näher. Und er führt uns zudem durch Orte und an Gebäuden vorbei, die es nicht mehr gibt. Dies zu sehen, ist für uns besonders wichtig.“

Es spukt im Sumpf

Straße Pod altánem  (Foto: ŠJů,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
Ist aber von Alt Strašnice doch noch etwas erhalten geblieben? Pavla Státníková:

„An der Kreuzung der Straßen Starostrašnická und V Olšinách steht der frühere Bauernhof Bečvář. In der Straße Novostrašnická findet man noch eine kleine Kapelle. Und das heutige Polizeigebäude gehört zu den älteren Häusern, die aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen. Früher war dort die Gemeindeschule untergebracht. Zudem sind einige alte Villen und frühere Arbeitersiedlungen erhalten, und zwar vor allem in den Straßen Pod altánem und V rybníčkách.“

Strašnice hatte früher keine eigene Pfarrei. Der Ort gehörte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zu St. Rochus in Žižkov.

„Die Tatsache, dass die Gemeinde der Kirche St. Rochus angegliedert wurde, bedeutete damals einen Fortschritt für die Bewohner. Vorher gehörten sie zur Pfarrei in Prosek, die nicht gerade in der Nähe liegt. Die Bewohner hatten sich schon im 19. Jahrhundert sehr gewünscht, eine Kirche im Ort zu haben. Nach der Entstehung der Tschechoslowakei wurden Spendensammlungen durchgeführt, um ein Gotteshaus zu errichten. Zunächst wurde in den 1930er Jahren ein Pfarrhaus mit einer Kapelle erbaut. Diese diente dann mehrere Jahrzehnte lang den Gläubigen in Strašnice. Erst in den Jahren 1992 bis 1994 wurde eine moderne Kirche erbaut.“

Foto: Martina Schneibergová
Die Ausstellung beschreibt auch einige Industriebetriebe, die in Strašnice ihren Sitz hatten. Dazu gehörten Tesla, Jawa und Chirana Strašnice.

„Es sind Begriffe, die in die Geschichte eingegangen sind. Die ersten Fernseher in unserem Land wurden von Tesla Strašnice produziert. Heute gibt es diese Fabrik nicht mehr. Die Motorräder von Jawa sind jedoch immer noch bekannt.“

Wonach der Ort einst benannt wurde, ist nicht eindeutig geklärt. Es bietet sich der Gedanke an, dass der Name Strašnice vom Verb „strašit“ (zu Deutsch: spuken) oder vom Adjektiv „strašný“ (zu Deutsch: schrecklich) abgeleitet wurde. Das würde vielleicht bedeuten, dass in der Gemeinde etwas Schreckliches passiert ist. Die Kuratorin ist jedoch anderer Meinung.

Die Ausstellung über Strašnice im Prager Stadtmuseum ist bis 4. November zu sehen. Das Museum ist täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr geöffnet.

„Es gibt Theorien darüber, dass die Bezeichnung vom Namen ,Strašen‘ abgeleitet worden ist. Dieser Name wurde in den historischen Quellen jedoch nicht gefunden. Eine leicht schauerliche Theorie geht davon aus, dass der Ort einst inmitten einer Sumpflandschaft entstanden ist, in der es gespukt haben soll. Eine rationale Theorie sagt, dass der Name mit dem tschechischen Wort ,strážnice‘ (auf Deutsch etwa ,die Wachstube‘) zusammenhängt. Dies klingt sehr wahrscheinlich. Der Ort lag an einer Kreuzung, die vermutlich überwacht werden musste.“