August 1968 in Prag

Foto: Martina Schneibergová
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Das Prager Stadtmuseum beschreibt eine Woche in der Hauptstadt nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen.

Foto: Martina Schneibergová
In diesen Tagen wurde an vielen Orten Tschechiens an die Ereignisse vor 50 Jahren erinnert. Auch das Prager Stadtmuseum dokumentiert in einer Ausstellung die bewegten Augenblicke vom August 1968: vom Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei bis zur Unterzeichnung des demütigenden Moskauer Protokolls. Sie beschreibt kurz auch die wichtigsten Ereignisse des Prager Frühlings, bevor die Reformbewegung von den Panzern niedergewalzt wurde.

Vor dem Prager Stadtmuseum ist eine Ausstellung zu sehen. Fotografien, Flugblätter, Plakate und weitere Dokumente vermitteln die Atmosphäre von 1968. Im Blickpunkt stehen die dramatischen Tage vom 21. bis 28. August. Einleitend werde der sogenannte Prager Frühling beschrieben, ein Versuch zur Demokratisierung der damaligen Gesellschaft, sagt Renáta Kalašová. Sie stellte die Schau zusammen.

Antonín Novotný | Foto: Harry Pot,  Dutch National Archives/Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0 NL
„Es handelte sich um den Versuch einer Reform innerhalb der kommunistischen Partei und der ganzen Gesellschaft. Dieser Prozess begann mit dem Personalwechsel an der Spitze der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Ein wichtiges Datum war der 5. Januar 1968. Damals wurde Antonín Novotný im Posten des Generalsekretärs der kommunistischen Partei durch Alexander Dubček abgelöst. Er war kein Unbekannter, denn seit 1963 leitete er die kommunistische Partei der Slowakei. Er war ein Politiker, der sich um die Durchsetzung des Programms des Sozialismus mit menschlichem Antlitz bemühte. In der Bevölkerung war er sehr beliebt.“

Die Ausstellung beschreibt die Aufhebung der Zensur. Offiziell wurde sie erst im Juni 1968 aufgehoben, in Wirklichkeit kam es schon im März dazu. Die sogenannte „Affäre Šejna“ sei da der Auslöser gewesen, erzählt die Historikerin.

„General Jan Šejna arbeitete im Verteidigungsministerium. Er war unter anderem ein guter Freund des damaligen Staatspräsidenten Antonín Novotný. Er wurde beschuldigt, auf dem Schwarzmarkt Geschäfte mit Kleesaatgut gemacht zu haben, das damals Mangelware war. Er flüchtete in die USA, wo er später für die CIA arbeitete. Die Journalisten fingen an, über das heikle Thema zu schreiben, die Zensur war damit aufgehoben. Die Menschen wurden sich allmählich dessen bewusst, wie wichtig die Menschenrechte und die Freiheit für das Leben der Zivilgesellschaft sind.“

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Es entstanden neue politische Gruppierungen und Vereine, darunter der sogenannte „Klub engagierter Parteiloser“ oder der „Klub 231“, in dem sich ehemalige politische Gefangene zusammengeschlossen hatten.

„Der Klub 231 bemühte sich um die Rehabilitierung politischer Gefangener der stalinistischen Ära, die nach dem Paragraphen 231 verurteilt worden waren. Einige Dokumente illustrieren die Bemühungen des Klubs 231. Der wichtigste Text des Prager Frühlings war das Manifest der 2000 Worte, zusammengestellt hat es der Schriftsteller Ludvík Vaculík. Der Anlass dazu kam aus den Kreisen der Akademie der Wissenschaften, darunter vom namhaften Chemiker und Erfinder der Kontaktlinsen Otto Wichterle, aber auch vom Dichter Miroslav Holub. Das Manifest haben mehr als 100.000 Bürger unterzeichnet. Es war sehr populär.“

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Dubčeks Parteiführung zeigte sich jedoch sehr zurückhaltend und lehnte das Manifest ab. Damals stand Dubček unter starkem Druck aus Moskau. Im Kreml wurden die 2000 Worte als Konterrevolution wahrgenommen. Dubček gilt als Symbol des Prager Frühlings. In der Ausstellung werden auch weitere damalige Politiker vorgestellt.

„Jiří Hájek war Außenminister. Er protestierte persönlich in der Uno gegen die Okkupation der Tschechoslowakei. Der Wirtschaftswissenschaftler Ota Šik entwarf Mitte der 1960er Jahre eine Wirtschaftsreform und versuchte sie durchsetzen. Die Parteiführung unter Novotný wies die Reform damals jedoch zurück. Eine weitere bedeutende Persönlichkeit des Prager Frühlings war František Kriegel. Er war der einzige tschechoslowakische Politiker, der es im August 1968 ablehnte, das Moskauer Protokoll zu unterzeichnen. Mit dem Protokoll verpflichteten sich die damaligen Politiker, das Volk zu zur Ordnung zu rufen. Ein anderer vor allem bei jungen Leuten populärer Politiker war Čestmír Císař. Der Jugendverband nominierte ihn im Frühjahr 1968 für das Präsidentenamt. Zum Staatsoberhaupt wurde im März 1968 aber Ludvík Svoboda gewählt.“

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Die Ausstellung stellt auch die Gegner der Reformbewegung, die führenden Vertreter des stalinistischen Flügels der kommunistischen Partei, vor. Sie wandten sich mit dem sogenannten „Einladungsbrief“ an Breschnew und ersuchten um eine Intervention. Das politische Ziel des Einmarsches sei nicht erreicht worden, erzählt die Expertin:

„Das Ziel der Intervention war es, einen Staatsstreich durchzuführen und die führenden Posten mit stalinistischen Kommunisten zu besetzen. Da es aber in der Führung der kommunistischen Partei mehr Befürworter der Reformen als deren Gegner gab, wurde die Okkupation der Tschechoslowakei als eine Verletzung des Völkerrechts bezeichnet. Der Einladungsbrief der Stalinisten wurde nie veröffentlicht. In der Moskauer Tagespresse hat man darüber geschrieben. Aber veröffentlicht wurde er erst in den 1990er Jahren.“

Ein großes Thema im weiteren Teil der Ausstellung ist der Tschechoslowakische Rundfunk und die harten Kämpfe, die sich vor dem Funkhaus abspielten.

„Es werden hervorragende Fotos von Bohumil Dobrovolský und Jiří Všetečka gezeigt. Sie belegen, wie schrecklich es damals war. Ein weiteres Thema sind die Proteste gegen die Okkupation. Die Öffentlichkeit unterstützte damals eindeutig Dubčeks Führung und brachte das auch offen zum Ausdruck. Es gab viele Kundgebungen. In den Schaufenstern hingen verschiedene Flugblätter und Erklärungen. Eine große Rolle spielten im August 1968 freie Medien. Im Blickpunkt stehen der Rundfunk und das Fernsehen. Wir stellen hier eine der Ikonen des damaligen Fernsehens, die Moderatorin Kamila Moučková, vor. Sie war die erste, die über den Einmarsch informierte.“

Foto: Martina Schneibergová

Gezeigt werden verschiedene Sonderausgaben der Tageszeitungen. Diese waren oft schon in der Früh vergriffen. Die Bevölkerung interessierte sich sehr für das Geschehen.

Foto: Martina Schneibergová
„Es ist wirklich bewundernswert, wie die Mitarbeiter des Rundfunks und des Fernsehens in den provisorischen Bedingungen und mit den Besatzern im Rücken gesendet haben.“

Viele Dokumente beschreiben die ersten Opfer der Okkupation in Prag. Zu ihnen gehörte auch der 26-jährige Zdeněk Příhoda. Die Historikerin:

„Er war Bildhauer und Zeichner, aber hat gelegentlich auch auf dem Bau gearbeitet. Er fuhr am 21. August morgens mit dem Motorrad zur Arbeit, da aber wegen der besonderen Situation nicht gearbeitet wurde, wollte er noch am Vormittag zurück nach Hause. Er blieb beim Gehsteig in der Straße Černokostelecká im Stadtteil Strašnice stehen, da gerade eine sowjetische Militärkolonne vorbeifuhr. Eines der Militärfahrzeuge verließ plötzlich die Kolonne und fuhr direkt auf ihn zu. Příhoda wurde schwer verletzt und starb später im Krankenhaus. Er war eines der ersten Opfer der Okkupation.“

Die Ausstellung mit dem Titel „August 1968 in Prag“ ist bis 2. Dezember vor dem Stadtmuseum zu sehen.