Blutige tschechoslowakische Flagge von 1968 als Symbol für den Freiheitskampf der Ukrainer
Die tschechische Organisation Paměť národa zeichnet eigentlich die Erinnerungen von Zeitzeugen auf. Doch seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine hilft sie intensiv dem Land, das überfallen wurde. Die letzte Lieferung von Hilfsgütern hatte zudem einen stark symbolischen Charakter.
Hilfe im Wert von einer halben Milliarde Kronen (20,3 Millionen Euro) – so viel hat Paměť národa bereits für die Ukraine auf die Beine gebracht. Die tschechische Organisation, die eigentlich vor allem ein umfangreiches Zeitzeugenprojekt betreibt, hat vergangene Woche eine weitere Hilfsladung in das Land gebracht, das von Russland überfallen wurde. Mit dabei: eine blutige tschechoslowakische Flagge von 1968…
„Diese Staatsflagge ist ein gewisses Attribut und ein Symbol nicht nur des Staates, sondern auch der Freiheit“, so hat es Petr „Kim“ Maišaidr vor einiger Zeit in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks ausgedrückt.
Die Flagge in der Lieferung an die Ukraine stammt von dem 83-jährigen Mann aus Prag. Am 21. August 1968, dem Tag des Einmarsches der Armeen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei, fuhr er zum Rundfunkgebäude in der Vinohradská-Straße. Der damals 27-Jährige war Pfadfinder und wollte dabei helfen, das Gebäude gegen die Besatzer zu verteidigen. Als die sowjetischen Soldaten zu schießen begannen, versorgte er Verwundete.
„Die Lage war dramatisch. Menschen starben in der Vinohradská vor dem Rundfunk, aber vor allem in der Balbínova um die Ecke, wo viele Erschossene lagen. Dort habe ich die Flagge in das Blut der Erschossenen getaucht, und zwar mit dem Gedanken, dass sie ein ständiges Symbol für die Pfadfinder sein könnte und auch für unser Versprechen“, erzählt Maišaidr.
Die Pfadfinder waren zu kommunistischen Zeiten verboten, konnten sich aber während der Reformbewegung des Prager Frühlings neu formieren, bevor ihnen 1970 wieder die Tätigkeit untersagt wurde.
Aber Petr Maišaidr, der eine Pfadfindergruppe leitete, ließ diese tatsächlich ihr Versprechen auf die blutige Flagge geben. Mit dieser Tradition fuhr er nach der politischen Wende von 1989 fort. Danach aber wanderte die Flagge in einen Koffer. Und sie wäre dort wohl auch geblieben, wenn sich nicht Oberst Otakar Foltýn aus der Militärkanzlei von Staatspräsident Pavel an sie erinnert hätte:
„Die Fahne hat einen starken symbolischen Wert und veranschaulicht, wie die Menschen sich mit bloßen Händen den Panzern entgegengestellt haben – so wie die ukrainischen Zivilisten im Februar vergangenen Jahres. Ich dachte mir, dass das perfekt illustriert, wie sehr sich das Schicksal von Tschechen und Ukrainern ähnelt angesichts der russischen Aggression.“
Foltýn fuhr vergangene Woche auch mit in die Ukraine. Der Hilfstransport steuerte über Lwiw die Kleinstadt Sboriw an, in der 1917 tschechoslowakische Legionäre eine erfolgreiche Schlacht schlugen. Danach ging es nach Kiew, wo man sich mit ukrainischen Pfadfindern traf. Ziel des Transports war aber der Osten der Ukraine – direkt an der Front.
„Dort wird für uns gekämpft, damit sich das Jahr 1968 nicht wiederholt. In dem Krieg geht es um uns – er spielt sich nicht irgendwo weit im Osten ab, sondern es ist unser Krieg“, sagt Martin Kroupa, der Leiter und Gründer des Instituts Post bellum, dem Träger von Paměť národa, und Organisator des Hilfstransports.
Die Flagge ist mittlerweile wieder nach Prag zurückgekehrt. Was weiter aus dem symbolträchtigen Stück wird, ist unklar.
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