"Ich lebe weiter" - Ein Abend für Petr Ginz
"Ich lebe weiter - Ein Abend für Petr Ginz". So der Titel eines ganz besonderen Konzertabends im Prager Theater Minor am vergangenen Mittwoch. Ein deutscher und ein tschechischer Kinderchor singen zusammen eine Kantate, die eigens für Petr Ginz komponiert wurde - einen jüdisch-tschechischen Jungen, der im KZ Auschwitz umgebracht wurde. Christian Rühmkorf über ein außergewöhnliches Musikprojekt.
Eine alte Dame geht in einem weißen Kostüm am vergangenen Mittwoch auf die Bühne des Prager Theaters Minor und tritt vorsichtig an das Mikrofon. Es ist Chava Pressburger, geborene Ginzova, die in den 30er Jahren mit ihrer Familie in Prag aufgewachsen ist und nun in Israel lebt. Ihr Bruder, Petr Ginz, wurde als Kind eines jüdischen Vaters und einer tschechischen Mutter mit 14 Jahren im KZ Theresienstadt interniert und zwei Jahre später in Auschwitz ermordet. Petr Ginz war ein außergewöhnlich talentiertes Kind, er schrieb Romane, gab in Theresienstadt eine Zeitung heraus und zeichnete. Seine Zeichnung "Mondlandschaft" nahm 2003 der erste Israelische Astronaut mit an Bord der Columbia. Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre brach die Columbia auseinander und verglühte. Das war der Tag, an dem Petr Ginz 75 Jahre alt geworden wäre. Kurz darauf wurde auf einem Prager Dachboden sein Tagebuch aus den Jahren 1941/42 gefunden. Ein eindruckvolles Zeugnis einer unmenschlichen Zeit. Seine Schwester gab es 2004 in Tschechien heraus, zwei Jahre später erschien das Tagebuch in deutscher Übersetzung. Petr Ginz zum Andenken haben sich junge Sänger des Bremer "Chors im Viertel" und des Prager "Disman Rundfunk Kinderchors" im Theater zu einem gemeinsamen Chor versammelt. Sie singen die Kantate "in memoriam Petr Ginz", komponiert vom Bremer Chorleiter Stephan Reiß.
Vielleicht an die 60 Kinder haben sich zu einem Chor aufgestellt, das jüngste acht, das älteste 14 Jahre alt. Genauso alt wie Petr Ginz, als er ins KZ kam. Sie warten - alle ein wenig nervös - bis das kleine Studentenorchester seine Instrumente gestimmt hat und der Komponist und Dirigent, Stephan Reiß, in einem schwarzen Anzug die Bühne betritt. Er hebt die Arme und die ersten Takte erklingen.
(Musik)
Libuse Cerna von der Bremer Non-Profit-Agentur "Pro-Tisk" hatte die Idee, die Kinder vom Prager "Disman Rundfunk Chors" einzuladen in Bremen zu singen. Vor einigen Jahren schon hatte der Prager Chor die im KZ Theresienstadt geschriebene Kinderoper "Brundibar" in Bremen aufgeführt. Daran wollte Libuse Cerna anknüpfen und beide Chöre gemeinsam auf die Bühne bringen. Libuse Cerna und der Komponist Stephan Reiß erzählen selbst wie das Projekt den Kinderschuhen entwachsen ist.
(Libuse Cerna) "Ich hatte erstmal die Idee, dass die tschechischen Kinder nach Bremen kommen sollten und dass sie etwas singen sollten. Da hab ich Stephan Reiß gefragt, ob er sich das vorstellen könnte, dass die beiden Chöre zusammen auftreten. Und er sagte, ja, das könne man machen. Wir haben natürlich über Petr Ginz gesprochen, über die Geschichte..."
(Stephan Reiß) "...und sie gab mir das in die Hand und sagte, lies mal, und vielleicht hast du ja Ideen. Und dann habe ich es gelesen und gedacht, das ist nicht vertonbar. Das ist so ein trockener Text und eine so unmusikalische Sprache. Wie soll man das vertonen, diese fast buchhalterischen Tagebucheinträge von ihm. Dann bin ich allerdings auf dieses Gedicht von ihm gestoßen, `Die Erinnerung an Prag´, was mich tief berührt hat und wo ich sofort dachte, das ist eine echte Möglichkeit. Und auch beim Lesen der Prosa von Peter Ginz bin ich auf die verwendeten Textteile gestoßen, wo ich dachte, das hat einfach eine sehr große Kraft, eine universale Kraft, eine Botschaft, mit der Menschen auch heute etwas anfangen können."
(Libuse Cerna) "Und dann sagte Stephan Reiß: ´Ich werde eine Kantate komponieren!´ Und ich fand das erstmal - überwältigend. Und dann hab ich mir gedacht, der wird das schon schaffen."
(Musik)
(Stephan Reiß) "Da nun auch der Gedanke geboren war, mit beiden Kinderchören etwas zusammen zu machen, habe ich diese Konzeption gemacht für zwei dreistimmige Kinderchöre in tschechischer und in deutscher Sprache. Denn es war für mich keine Frage, dass ich Originaltexte von Petr Ginz natürlich auch im Original vertonen musste. Da ich überhaupt kein Wort Tschechische spreche, bin ich da auch Frau Cerna sehr dankbar für ihre Hilfe und Assistenz. Sie ist die Texte mit mir durchgegangen. Sie hat mir die Phonetik und die Betonung der tschechischen Sprache in Grundzügen erklärt - und das hat es möglich gemacht."
(Musik)
(Stephan Reiß) "Diese Idee von Choraustausch in Europa - vielleicht auch irgendwann über Europa hinaus - das werden wir dann sehen, die ist ganz wichtig, weil Musik einfach unglaublich viel Verständigung schafft und gerade auch über Sprachbarrieren und kulturelle Barrieren hinaus und ich finde das ist mit eine der wichtigsten Erfahrungen, die man jungen Menschen mitgeben kann: zu erleben, dass das, was sie tun im Gesang und in ihrem Engagement zu einem wunderschönen gemeinsamen Ergebnis führt."
(Musik)
Die Kantate "in memoriam Petr Ginz", komponiert vom Bremer Musiker und Chorleiter Stephan Reiß, gesungen von Kindern des Bremer "Chors im Viertel" und des Prager Disman Rundfunk Kinderchors.
Fotos: Autor
Ausschnitte aus der Kantate "in memoriam Petr Ginz" finden Sie in der Hördatei oben rechts.
www.petrginz.de