Judenverfolgung im Protektorat

KZ Therezienstadt

In unserem Wochenendprogramm geht es nun weiter mit einem neuen Kapitel aus der tschechischen Geschichte. In diesem erinnert Katrin Bock an den Beginn der Deportationen jüdischer Mitbürger im Protektorat Böhmen und Mähren vor 60 Jahren.

KZ Therezienstadt
Mitte Oktober versammelten sich auf dem jüdischen Friedhof im Prager Stadtteil Strasnice gut zwei Dutzend weisshaarige Frauen und einige Männer. Sie kamen, um ihrer toten Freunde und Verwandten zu gedenken. 60 Jahre zuvor hatten im Protektorat Böhmen und Mähren die Deportationen von Juden begonnen. Zwischen dem 16. Oktober und 3. November 1941 verliessen die ersten 4 Transporte Prag. 5.000 Juden wurden damals in das polnische Ghetto Lodz deportiert. Von ihnen überlebten nur 260 den Krieg. Genauso erschütternd ist die gesamte Bilanz: Von den rund 95.000 Juden, die 1941 in den böhmischen Länden lebten, überlebten den Holocaust nur etwa 15 Prozent.

Begonnen hat das Leiden der tschechischen Juden mit dem Einmarsch deutscher Truppen in die Böhmischen Länder am 15. März 1939: Synagogen und Friedhöfe wurden zerstört. Es folgten Berufsverbote. Schulen, Theater und Kinos blieben für Juden geschlossen. Wohnungen, Autos und Radios wurden konfisziert. Das Leben der jüdischen Bevölkerung wurde immer mehr eingeschränkt. Nach dem 1. September 1941 mussten alle Juden einen gelben Stern tragen. Doch noch wussten die jüdischen Bewohner des Protektorats nicht, was sie erwarten würde. Die Entscheidung über ihr Schicksal fiel Anfang Oktober 1941. Der kurz zuvor in Prag eingetroffene neue Reichsprotektor Reinhard Heydrich hatte beschlossen, im ehemaligen Garnisionsstädtchen Theresienstadt ein Ghetto für die Juden aus Böhmen und Mähren einzurichten. Seinen Plänen nach sollte dies aber nur eine Transitstation auf dem Weg in den Osten sein.

"Im November 1941, es war um den 20. November herum, bekam ich von der jüdischen Gemeinde so einen Aufruf, mich bereitzustellen für einen Arbeitseinsatz. Wir werden mit dem Zug zu einem Ort gebracht. Es war ganz unklar, wohin es gehr, wie lange."

In Güterwagen wurden Tausende von Häftlingen aus den evakuierten KZs nach Terezin gebracht
Die Reise des damals 20jährigen Jiri Kosta endete am 24. November 1941 bereits nach ein paar Stunden in Terezin - Theresienstadt. Hier sollte er gemeinsam mit 341 jungen Männern das Garnisionsstädtchen auf die erwarteten Massentransporte vorbereiten. Das 60km nördlich von Prag gelegene Theresienstadt schien den Nazis ein geeigneter Ort für die Errichtung eines Ghettos: die im 18. Jahrhundert angelegte Garnisionsstadt ist bis heute von dicken Befestigungsmauern und Wassergräben umgeben. In den zahlreichen Kasernen konnten zudem 1000e von Menschen untergebracht werden. Die ursprüngliche Bevölkerung musste bis Ende Juni 1942 die Stadt verlassen. Danach war Theresienstadt eine Stadt, aus der es kein Entrinnen gab. Bis zu 70.000 Menschen waren gleichzeitig in der Stadt zusammengepfercht, die zuvor nur 7.000 Bewohner hatte.

Auf die Abfahrt nach Polen wartender Transport. Zeichnung von Bedrich Fritta.
Zwischen November 1941 und März 1945 erreichten über 100 Transporte mit 73.000 Juden aus dem Protektorat Theresienstadt. Den tschechischen Juden wurde zunächst glaubhaft gemacht, dass sie in Zukunft im Ghetto Theresienstadt leben werden und ihnen nichts weiter passieren werde. Das Leben im Ghetto unterschied sich in der Tat von dem in Konzentrationslagern. Es gab keine Vernichtsungsmaschinerie, doch lebte man in ständiger Angst vor Transporten, die Theresienstadt seit Anfang 1942 in Richtung Osten verliessen. Die Bewohner des Ghettos trugen ihre eigene Kleidung, konnten einige persönliche Gegenstände behalten. Das Wohnen in den Kasernen und ehemaligen Wohnhäusern war etwas freier als in KZs. Jiri Kosta erinnert sich:

"Ich habe mit meinem Freund Egon noch einen leeren Dachboden in einem kleinen Haus gefunden. Mit ein paar Brettern und Pappplatten haben wir es irgendwie geschafft, eine Art Mansarde zu bauen. Als Egon in einen Transport verfrachtet wurde, ist mein Bruder zu mir nach oben gezogen. So haben wir ganz gut überleben können. Es gab auch lustige Augenblicke. Es gab viel Solidarität. Man versuchte mit Humor, manchmal auch Galgenhumor die Tage irgendwie zu überwinden."

Plakat zu Kulturveranstaltung
Die Ghettoleitung duldete eine gewisse Freizeitgestaltung. Dadurch entstand ein einzigartiges Phänomen: trotz Leiden, Hunger und Todesangst hatten inhaftierte Menschen den Willen und die Kraft, kulturelles Leben zu schaffen. Führende tschechische Künstler, Komponisten, Musiker, Maler und Schriftsteller waren in Theresienstadt inhaftiert und organisierten oftmals die Freizeitgestaltung. Hans Krasa komponierte dort die Kinderoper "Brundibar", die in Theresienstadt aufgeführt wurde. Die damals 15jährige Eva Hermanova sang im Kinderchor mit:

"Das muss man sich so vorstellen. Über Tag haben wir genug schwer gearbeitet,zumeist auf dem Feld. dann kamen wir genug müde zurück und doch gingen wir proben. Ich glaube, wir haben viel lieber geprobt als man überhaupt in einem Theater probt. Mit grösserer Aufopferung, weil es uns irgendwie aus der ganzen Situation, in der wir waren, herausgezogen hat. Irgendwo anders hin. Man war plötzlich jemand - ein Mensch."

Warntafeln über die Infektionsgefahr mit Eintrittsverbot nach Theresienstadt
Im Ghetto mangelte es an allen: Hygiene, Medikamente, Platz und Essen. Eine Frage des Überlebens konnte das Wissen darüber sein, wie man zu grösseren Essensrationen kommt. Der damals 19jährige Erich Terner war im November 1941 mit dem zweiten Transport in Theresienstadt eingetroffen und litt, wie alle Ghettoinsassen, an Hunger:

"Das Essen war sehr karg. Ich ging zu meinem Freund und sagte: ich halte das nicht aus mit so wenig essen. Kannst du mir nicht einen Rat geben, bei welcher Beschäftigung ich mehr Essen bekomme? Er sagte, dass ist sehr einfach. Du hast zwei Möglichkeiten, entweder, du wirst Totengräber, dann bekommst du jeden Tag ein Laib Brot oder aber du wirst wie ich Mehlsackträger. Das ist eine sehr, sehr schwere Arbeit, aber du hast mehr als genug zum Essen."

Erich Terner entschied sich für letzteres und konnte dadurch auch seine Verwandten mit Essen versorgen - und überlebte.

Im Sommer 1942 änderten die Nazis die ursprüngliche Bestimmung Theresienstadts. In diesem sollten nun nicht mehr nur Juden aus dem Protektorat inhaftiert sein, sondern auch Juden aus Deutschland, Österreich und anderen von den Deutschen besetzten Ländern. Zwischen Juli und September 1942 trafen 50.000 zumeist alte Juden aus Deutschland und Österreich in Theresienstadt ein. Gleichzeitig verliessen immer mehr Transporte das Ghetto Richtung Osten. Bis Oktober 1944 wurden insgesamt 86.000 Ghettoinsassen nach Auschwitz deportiert. Dort kamen bis auf einige wenige alle in den Gaskammern ums Leben. Im September und Dezember 1943 verliessen zwei grosse Transporte mit insgesamt 10.000 tschechischen Kindern, Frauen und Männern Theresienstadt. Sie wurden zunächst im sog. Familienlager in Auschwitz-Birkenau untergebracht. Am 8. und 9. März 1944 wurden 3800 von ihnen vergast. Die Frauen, Kinder und Männer sollen auf dem Weg in die Gaskammer die tschechische Nationalhymne gesungen haben.

Knapp 17.000 Menschen lebten im Ghetto, als die Rote Armee dort Anfang Mai 1945 eintraf. Auch wenn Theresienstadt kein Vernichtungslager war, starben hier zwischen November 1941 und Mai 1945 33.000 Gefangene, zumeist an Hunger und Krankheiten. Für 87.000 Menschen war Theresienstadt nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in ein Vernichtslager.

"Wir gingen in die Baracken und versteckten uns unter den Pritschen. Nach ein paar Tagen kam die erste Vorhut der Roten Armee. Das war eigentlich meine Befreiung im Januar 1945. Aber wir waren viel zu fertig nach all dem, was passiert ist, um feiern zu können."

Nur 14.000 der rund 90.000 Juden, die 1941 im Protektorat Böhmen und Mähren lebten, hatten das gleiche Glück wie Jiri Kosta und erlebten das Kriegsende: einige wurden in KZs befreit, andere in Theresienstadt oder auf einem der Todesmärsche wie Jiri Kosta. 500 Juden hatten die Kriegsjahre in Verstecken im Protektorat überlebt. Heute erinnert an die Opfer des Holocaust neben einem Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Prag-Strasnice ein Mahnmal in der Prager Pinkas-Synagoge. Hier sind die Namen von über 77.000 jüdischen Opfern aus Böhmen und Mähren eingemeiselt.

Die meisten jüdischen Gemeinden, die vor dem Zweiten Weltkrieg in den böhmischen Ländern existierten, sind untergegangen - keiner ihrer ehemaligen Mitglieder kam aus den KZs zurück. In einigen grösseren Städten gibt es heute wieder Gemeinden, werden Synagogen und Friedhöfe instandgesetzt. Doch ist dieser Neubeginn bisher nicht zu vergleichen mit der Vielfalt und dem Reichtum des jüdischen kulturellen und religiösen Lebens, das jahrhundertelang ein fester Bestandteil der Geschichte und Kultur der Böhmischen Ländern war.