Vergessene Komponistin Rachel Danziger van Embden als Thema für Studierende und Musikwissenschaftler

Musica non grata

Bei der Sommerakademie in Terezín / Theresienststadt treffen jedes Jahr Studierende und Musikexperten zusammen. Das Treffen wird vom Institut der Theresienstädter Komponisten und dem deutsch-tschechischen Projekt Musica non grata des Prager Nationaltheaters veranstaltet. Die Sommerschule wurde an diesem Montag eröffnet. Dazu ein Interview mit dem Leiter der Sommerakademie, dem Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller.

Herr Müller, in diesem Jahr beschäftigt sich die Sommerakademie mit einer vergessenen Komponistin, Rachel Danziger van Embden. Warum wurde gerade sie als Thema gewählt?

Kai Hinrich Müller | Foto: Musica non grata

„Es gibt zwei Gründe. Zum einen steht das Projekt Musica non grata in diesem Jahr ein bisschen unter dem Thema ‚Komponistinnen der Zwischenkriegszeit und zu Beginn des 20. Jahrhunderts‘. Und zum anderen bin ich durch Zufall auf ihre Biografie gestoßen. Ich habe mich in ihr Leben eingelesen – in diese wenigen Informationen, die man hat –, und habe herausgefunden, dass sie Bezüge zu Theresienstadt hat. Sie wurde von den Nationalsozialisten verfolgt, ihre Töchter wurden nach Theresienstadt deportiert, und der Librettist ihrer Operette ,Die Dorfkomtesse‘ war am Stadttheater in Litoměřice tätig. Da habe ich gedacht, dass es in die Sommerakademie passt. Die Komponistin hat eine sehr traurige Biographie. Sie war eine unglaublich erfolgreiche Operettenkomponistin, wurde von den Nazis verfolgt. Heute kennt sie keiner mehr, sie ist völlig in Vergessenheit geraten, obwohl sie traumhaft schöne Musik schrieb.“

Ist eine Partitur der Operette erhalten geblieben?

„Ich habe in einer Bibliothek in Stuttgart einen Klavierauszug gefunden. Den habe ich digitalisiert und jetzt für eine kleinere Aufführung mit Studenten hergerichtet. Wir führen nicht die ganze Operette auf, sondern nur einen Ausschnitt. Damit wollen wir Lust machen und vielleicht Opernhäuser inspirieren, einmal das ganze Werk aufzuführen. Es gibt aber sehr wenig Material. Vieles musste ich rekonstruieren durch Quellen und Archivarbeiten. Es ist noch viel zu tun.“

Foto: Musica non grata

Weiß man etwas über ihre weiteren Werke, oder ist das alles in Vergessenheit geraten?

„Es ist in Vergessenheit geraten. Sie hat noch weitere Bühnenwerke – Operetten – sowie Filmmusik und auch kleinere Kompositionen wie Lieder geschrieben. Studiert hat sie bei dem großen holländischen Wagner-Forscher und Pädagogen Jacques Hartog. Rachel Danziger van Embden stammte aus Amsterdam, ist später nach Berlin gezogen, wo sie dann tätig war. Ihr Mann ist relativ früh gestorben. Interessant ist, dass es lange Zeit hieß, dass nicht nur ihre Töchter nach Theresienstadt deportiert und in Auschwitz ermordet wurden, sondern auch sie selbst nach Theresienstadt deportiert worden sei. Ich konnte aber herausfinden, dass ihr scheinbar 1939 oder 1940 die Flucht nach England gelang – mit einer weiteren Tochter, von der man bisher nichts wusste und die deutlich jünger als ihre Schwestern war. Sie selbst scheint 1946 in Großbritannien gestorben zu sein. Aber das sind derzeit alles Arbeitsthesen, wie die Wissenschaftler sagen, die man jetzt weiter erforschen muss. Und die Sommerakademie soll ein bisschen anregen, sich mit Rachel Danziger intensiv zu befassen.“

Was steht auf dem Programm der Sommerakademie, und wer nimmt daran teil?

„Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht ,Die Dorfkomtesse‘. Die Operette ist das erste große, sehr erfolgreiche Werk von Rachel Danziger. Es war so erfolgreich, dass selbst die New York Times über die Uraufführung 1909 und 1910 berichtete. Wir haben das Werk auf circa 35 Minuten gekürzt und führen es auf. Ich werde dazu die Hintergründe erzählen. Bei den Konzerten werden noch Lieder von zwei weiteren verfolgten Komponisten gespielt: von der Komponistin Maria Herz sowie von Arnold Schönberg, mit Ausblick auf das große Schönberg-Jubiläum im nächsten Jahr (150. Geburtstag, Anm. d. Red.). Diesmal sind fünf Studierende dabei: zwei aus Köln, eine Studentin aus Brünn, ein Student aus Wien und ein weiterer aus Freiburg. Es sind also ganz verschiedene Universitäten, aber alle sind Gesangsstudenten.“

Sind die Veranstaltungen der Sommerakademie auch für die Öffentlichkeit bestimmt?

Foto: Musica non grata

„Am Mittwochabend gibt es ein öffentliches Konzert in Theresienstadt, der Eintritt ist frei. Am Donnerstagabend findet ein Konzert in der deutschen Botschaft in Prag statt. Da bedarf es nur einer Voranmeldung über Musica non grata.“