Forschung und Bildung zum Thema Holocaust: 30 Jahre Institut der Theresienstädter Initiative

Festveranstaltung anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Stiftung Theresienstädter Initiative

In der Theresienstädter Initiative taten sich nach der politischen Wende tschechische Holocaust-Überlebende zusammen. Einige Jahre später gründeten sie ein Institut. Dieses ist nun 30 Jahre alt geworden. In der Residenz der österreichischen Botschafterin in Prag wurde vergangene Woche das Jubiläum der Einrichtung begangen.

Miloš Vystrčil | Foto: Zuzana Jarolímková,  iROZHLAS.cz

Auch der Vorsitzende des tschechischen Senats, Miloš Vystrčil (Bürgerdemokraten), ehrte vergangene Woche das Institut der Theresienstädter Initiative. Zu dem Festakt hatte die österreichische Botschafterin in Prag, Bettina Kienbauer, geladen. Anlass: das 30-jährige Bestehen des Instituts, das heute wohl die wichtigste Forschungseinrichtung in Tschechien zum Holocaust und dem Ghetto beziehungsweise Konzentrationslager Terezín / Theresienstadt ist. Zu der Feier kamen Politiker, Ministerialbeamte, Botschafter und die Vertreter zahlreicher Institutionen, mit denen das Institut zusammenarbeitet.

Olga Richterová (Piraten) ist stellvertretende Vorsitzende des Abgeordnetenhauses. Ihrer Meinung nach hat das Institut der Theresienstädter Initiative eine wichtige Aufgabe in der tschechischen Gesellschaft:

„Es ist von großer Bedeutung, denn ich sehe jeden Tag im öffentlichen Raum, wie schwer es ist, das Gedenken zu erhalten. Das braucht viel Energie, man muss solchen Initiativen die nötige Aufmerksamkeit geben. Und um die Gedenkarbeit wirklich in solcher Qualität machen zu können, wie man sie in der heutigen Gesellschaft braucht, in der ein starker Wettbewerb um Aufmerksamkeit besteht, muss man auch Geld geben.“

Gegründet wurde das Institut von tschechischen Juden, die während des Holocaust im Konzentrationslager Theresienstadt interniert waren. Tomáš Kraus leitet das Institut und erläuterte gegenüber Radio Prag International:

„Unsere Gründer haben schon in der Zeit des Kommunismus angefangen, obwohl das damals sehr kompliziert war. Denn alles, was jüdisch war, wurde im öffentlichen Raum tabuisiert – bis etwa in die 1980er Jahre. Die Gründer waren vor allem jene Leute, die den Holocaust überlebt hatten und auch zu kommunistischen Zeiten in der Tschechoslowakei blieben. Sie schrieben ihre persönlichen Erfahrungen nieder und forschten zu ihrer Familiengeschichte. Nach der Wende war es dann möglich, mit diesen Geschichten und den tragischen Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Das war entscheidend.“

Olga Richterová | Foto: Pirátská strana / Flickr,  CC BY-SA 2.0

Die Holocaust-Überlebenden und auch einige ihrer Kinder schlossen sich 1990 zunächst zur Theresienstädter Initiative zusammen. Zu der zweiten Generation gehört übrigens auch Tomáš Kraus. Ziel war es, an Schulen zu gehen und dort vom eigenen Schicksal zu erzählen – um so Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken.

1993 entstand dann zudem eine Stiftung, aus der fünf Jahre später das Institut der Theresienstädter Initiative wurde. Dieses habe einen breiten Bildungsauftrag, der auf drei Säulen stehe, sagt Kraus.

„Das ist zum einen die Forschung, aber es sind auch Gedenkfeiern. Das heißt, wir organisieren Jom haScho’a, wo wir in den Städten im öffentlichen Raum die Namen der Holocaust-Opfer vorlesen. Dazu gibt es noch einige weitere Veranstaltungen, die wir regelmäßig durchführen. Ganz wichtig ist die Bildung. Diese zielt bei uns aber nicht vorrangig auf Studenten und Schüler ab, sondern auf Professoren und Lehrer. Sie sind nämlich diejenigen, von denen wir erwarten, dass sie die Erfahrungen an die nächsten Generationen weitergeben“, so der Institutsdirektor.

Eines der Langzeitprojekte der Einrichtung ist eine umfangreiche Datenbank. Sie enthält die Namen sowohl aller Menschen, die von den Nationalsozialisten in Theresienstadt eingesperrt wurden, als auch die der rund 80.000 Juden aus dem „Protektorat Böhmen und Mähren“, die im Holocaust ermordet wurden. Außerdem werden Sinti und Roma genannt, die ebenfalls Opfer der NS-Rassenpolitik wurden. Seit 2001 lässt sich die Datenbank auf der Website www.holocaust.cz einsehen und nutzen. Aktuell ist das Ziel, die Lebensgeschichten der Menschen um Fotos zu ergänzen. Aber nicht nur das…

„Es gibt noch einige weitere Teile, die wir gerne erforschen möchten – und das sind die sogenannten Sudetengebiete. Auch dort gab es jüdische Gemeinden. Leider ist das nicht gut erforscht, denn die Archive sind manchmal zerstört worden“, sagt Kraus.

Die Sudetengebiete gehörten zudem nicht zum Protektorat, sondern waren nach dem Münchner Abkommen bereits Anfang Oktober 1938 in das Deutsche Reich eingegliedert worden. Das heißt, die Judenverfolgung begann früher und gleich mit voller Härte – inklusive der Novemberpogrome im selben Jahr.

Zum Aufbau der Datenbank haben laut Tomáš Kraus im Übrigen gerade auch die deutsche und die österreichische Botschaft in Prag beigetragen.

Friedensdienende aus Österreich

Seit 20 Jahren helfen zudem Freiwillige aus Österreich dem Institut bei der Arbeit.

„Sie sind vollständig eingegliedert in die Forschung, obwohl es keine Historiker sind. Aber sie befassen sich aktiv mit den Themen und tauchen dabei auch sehr tief in die Materie ein. Sie fahren mit uns zudem an die Schulen – um zu zeigen, dass auch die jüngere Generation etwas dazu zu sagen hat“, so der Direktor.

Tomáš Kraus | Foto: Jana Přinosilová,  Tschechischer Rundfunk

Seit September vergangenen Jahres ist Lena Lasinger aus Salzburg als Freiwillige bei der NGO:

„Ich habe mich über den Verein Gedenkdienst beworben. Das ist ein österreichischer Verein, der solche Freiwilligenarbeit anbietet. Für mich war schnell klar, dass ich nach meiner Matura für ein Jahr irgendwo hin möchte.“

Lena Lasinger ist stark an Geschichte interessiert. Ihre Aufgabe beim Institut sei derzeit vor allem, die Holocaust-Opfer-Datenbank zu erweitern, sagt sie…

„Dafür fahre ich in verschiedene Archive in der ganzen Tschechischen Republik und scanne und archiviere Dokumente, damit wir sie in unsere Datenbank einbauen können. Ansonsten fallen unterschiedliche Arbeiten an. Ich bin zum Beispiel administrativ im Institut tätig, bereite Seminare vor. Ich helfe, wo ich kann.“

Lena Lasinger | Foto: Gedenkdienst

Das eine oder andere Freiwilligenjahr ist im Übrigen schon in eine dauerhafte Beschäftigung bei dem Institut der Theresienstädter Initiative gemündet. So wie bei Thomas Elmecker aus dem Mühlviertel, der ab dem Herbst 2021 in Prag war. Dass er dabeigeblieben sei, habe nicht nur mit dem Charme der Stadt zu tun, betont er:

„Irgendwie hat mir auch die Arbeit so gut gefallen, dass ich bleiben wollte. Ich studiere mittlerweile an der Prager Karlsuniversität. Das heißt, ich bin eigentlich hauptberuflich Student, und nebenbei arbeite ich am Institut. Ich finde, das Institut macht tolle Sachen – nicht nur im Bereich der Forschung mit der Datenbank und den Dokumenten, sondern auch im Bereich der Bildung von Lehrer*innen und Schüler*innen hier in Tschechien.“

In seiner Festanstellung beim Institut organisiert Thomas Elmecker derzeit unter anderem Workshops – aktuell etwa zusammen mit der University of New York in Prag. Zudem sei er seit einem halben Jahr Projektkoordinator des Anne Frank Youth Network, so der junge Mann.

Datenbank der NS-Opfer aus ganz Europa

Obwohl Politiker die Bedeutung des Instituts der Theresienstädter Initiative hervorheben, müsse dieses immer wieder von Neuem um Gelder ringen, gesteht Kraus…

„Leider ist unsere Finanzierung nicht sicher, denn das Institut arbeitet auf der Basis von Projekten und Grants. Wenn wir also wissen, dass wir eine Projektfinanzierung für zwei oder drei Jahre haben, dann haben wir für diese Zeit finanzielle Sicherheit. Aktuell reichen diese Mittel bis 2025. Aber weiter können wir nicht sehen. Wir würden gerne auch einen Zuschuss bekommen für die Existenz des Instituts an sich. Wir brauchen etwas, das uns die Perspektive gibt, aber das ist leider bis heute nicht gelungen.“

An Projekten und Projektideen mangelt es jedoch nicht. Eines davon ist die Mitarbeit an einem umfangreichen europäischen Forschungsauftrag. Der Titel lautet European Holocaust Research Infrastructure, oder kurz: Ehri.

Das grundlegende Ziel ist aber, eine Datenbank aller Opfer aus Europa zu schaffen.

„Das ist eine riesige Datenbank von Opfern des Holocaust aus ganz Europa. Wir betreuen den Teil der tschechischen Opfer, dazu kommen einige Begleitprojekte. Das grundlegende Ziel ist aber, eine Datenbank aller Opfer aus Europa zu schaffen. Wie wir ja wissen, sind dies fast sechs Millionen Namen. Dahinter steckt unglaublich viel Arbeit. Wir machen das zusammen mit der tschechischen Akademie der Wissenschaft und einigen weiteren Organisationen“, so Kraus.

Und neu zu den Tätigkeiten hinzukommen könnte eine Kooperation bei der Verlegung sogenannter Stolpersteine. Diese beruhen auf einem Projekt des deutschen Künstlers Gunter Demnig. Demnach werden in das Straßenpflaster kleine Gedenktafeln aus Messing eingelassen. Sie erinnern an das Schicksal der Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die golden glänzenden Quader befinden sich meist vor den letzten Wohnorten der Opfer. Seit 2008 werden die Stolpersteine auch in tschechischen Städten und Gemeinden verlegt. Und der Institutsdirektor meint:

„Wenn sich irgendeine Stadt entscheidet, einen Stolperstein zu verlegen, gehen die Mitarbeiter in die Datensammlung unseres Instituts. Sie brauchen die Fotos, die Namen und die Daten. Da sie also sowieso zu uns kommen, liegt es nahe, dass wir das – sagen wir – in der näheren Zukunft zusammen machen.“

Das Institut unterhält im Übrigen auch eine Bibliothek zu den Themen Holocaust, Rassismus und Antisemitismus – und das nicht nur auf Tschechisch, sondern auch auf Englisch und Deutsch.

Autor: Till Janzer
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