Kardinal Vlk: "Christen sollen Sauerteig der Gesellschaft sein"
Für die Kirchen in Tschechien war das Jahr 2002 unter anderem eine Etappe des Abwartens - darauf, wie der Streit mit dem Kultusministerium um einige Punkte des neuen Kirchengesetzes enden wird. Aber auch durch aktives Engagement bei der Beseitigung der Hochwasserfolgen traten die Kirchen in diesem Jahr hervor. Martina Schneibergova fasst zusammen.
Noch bevor das erwähnte Kirchengesetz in Kraft trat, wurden einige seiner Bestimmungen vom Verfassungsgericht im Herbst dieses Jahres aufgehoben. Das Verfassungsgericht entschied unter anderem darüber, dass kirchliche Einrichtungen entgegen der ursprünglichen Vorstellung des Kultusministeriums selbständige Rechtspersonen sein können. Diese Entscheidung wurde von den Kirchen begrüßt, da die ursprüngliche Fassung des Gesetzes vor allem die Tätigkeit der verschiedenen karitativen Einrichtungen der Kirchen verkompliziert hätte.
Eben die humanitären kirchlichen Organisationen engagierten sich stark bei der Beseitigung der diesjährigen Hochwasserfolgen. Die tschechische katholische Caritas hat insgesamt 80 Mio. Kronen (umgerechnet ca. 2,7 Mio. Euro) Spenden gesammelt, ungefähr dieselbe Summe wurde von ihren Partnerorganisationen im Ausland gespendet. Viele junge Katholiken halfen unmittelbar nach der Flutkatastrophe den Betroffenen. Auch die Diakonie der evangelischen Böhmischen Brüdergemeinde stellte Hunderte von Helfern bereit. In die Hochwasserregionen entsandte sie auch Experten und Seelsorger, und das Prager SOS-Zentrum der Diakonie war ununterbrochen geöffnet. Die von den kirchlichen Organisationen geleistete Hochwasserhilfe wurde von der Gesellschaft gewürdigt.
Die Rolle der Christen in der heutigen säkularisierten Gesellschaft kann jedoch nicht nur auf ihr Engagement im humanitären Bereich reduziert werden. Der Prager Erzbischof, Kardinal Miloslav Vlk, sprach sich gegenüber Radio Prag zu diesem Thema wie folgt aus:
"Die Rolle der Kirche ist es von Anfang an, Sauerteig in der Gesellschaft zu sein. Es ist nicht wichtig, dass wir eine kleine Gruppe sind, aber wir müssen Sauerteig sein. Das bedeutet - das, was Christus den Christen oder den Gläubigen als eine wichtige Aufgabe auferlegt hat, ist Versöhnung, gegenseitige Liebe. Die Grundrolle der Kirche ist immer und überall dieses Gebot. In den Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen sollen die Christen jetzt gerade dieses Gebot realisieren. Ich habe eine Erfahrung gemacht -vor einigen Jahren war ich in Bonn in einer großen Gemeinschaft von Journalisten, Experten etc. - und ich habe damals bemerkt, wie nahe wir uns gegenseitig als Christen sind. Wir sind gleich. Und deswegen sehe ich die Perspektive darin, sich mehr gegenseitig kennen zu lernen, miteinander zu sprechen, und so wird die Tür der Annäherung immer mehr geöffnet sein."