Karneval mit Strohmann: der „Masopust“ im ostböhmischen Vortová
Bis zum Aschermittwoch feiern wir Karneval, Fastnacht oder Fasching. Mehrere Wörter, die dasselbe Fest beschreiben. Auch im Tschechischen gibt es für diesen Brauch mehrere Bezeichnung– Vostatky, Fašink oder Masopust. Im ostböhmischen Dorf Vortová, rund 30 Kilometer südlich von Pardubice, und in seiner Umgebung feiert man Masopust. Das Fest hat hier eine lange Tradition. Die Unesco erwägt sogar, es als Meisterwerk des immateriellen Erbes der Menschheit unter besonderen Schutz zu stellen. Vor einer Woche präsentierte sich der Maskenzug aus Vortová im ostböhmischen Freilichtmuseum Veselý kopec. Auf dieselbe Art wird er noch den ganzen Februar hindurch in den Dörfern und Städten der ganzen Gegend zu sehen sein. Der Fastnachtsamstag selbst aber ist Vortová vorbehalten.
Die Maskenträger jauchzen an Karneval, wenn ihnen der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin am Ort den Umzug durch das Dorf erlaubt. In der Ansprache werden sie aufgefordert, jedem einen Streich zu spielen, niemanden dabei zu vergessen und immer gut gelaunt zu sein. Dann geht der Umzug los, die Maskenträger ziehen von Haus zu Haus. Überall gibt es etwas zu essen, Faschingskrapfen oder Brot mit Schmalz und Zwiebeln. Und natürlich wird auch getrunken, vor allem Schnaps. Feucht-fröhlich geht es also zu, so wie auch in Deutschland bei Karneval, Fasching oder Fastnacht. Und nach einer Weile hat jeder mindestens einen schwarzen Strich auf seiner Wange, die Schornsteinfeger sind dafür zuständig.
Jedes Kostüm hat beim Umzug sein spezielles Aussehen und seine spezielle Funktion. Am auffälligsten ist ein Kostüm, das komplett aus Stroh besteht. Ilona Vojancová ist Ethnographin und Direktorin des Freilichtmuseums Veselý Kopec („Lustiger Berg“). Sie erläutert:
„Die Kostüme teilen sich in zwei Gruppen: die Roten und die Schwarzen. Zu den Roten gehören der Gefleckte und das Frauchen. Sie führen den ganzen Umzug an. Auch vier Türken, die vor jedem Haus tanzen müssen, gehören zu den Roten. Diese Kostüme ziehen sich ledige junge Männer an, für sie ist das eine Art Initiationszeremonie. Die Schwarzen, das sind die älteren und verheirateten Männer. Dazu gehören der Abdecker und die Stute, die dann am Ende des Karnevals eine wichtige Rolle spiele, und die Schornsteinfeger, die Juden und die archaische Maske, das ist der Strohmann. Der Strohmann verkörpert, was unsere Ahnen unter der Leben spendenden Kraft verstanden. Das Kostüm ist aus Stroh gemacht. Die Bäuerinnen reißen daraus Halme und legen sie in die Ställe der Gänse und Henne, damit es ihnen in dem Jahr gut geht.“
Jede Figur des Umzugs hat ihre Aufgabe. Zum Beispiel die Türken: Sie müssen bei ihrem Tanz möglichst hoch springen. Denn die Überlieferung sagt: So hoch, wie sie springen, so hoch werden das Getreide und der Flachs in diesem Jahr werden. Die Schornsteinfeger müssen sich ihrem Handwerk widmen, sagt Vojancová:
„Ihre Aufgabe ist es, in der Stube nachzuschauen, ob der Herd in Ordnung ist und Zug hat. Aber das ist nur eine Scheinkontrolle. Eigentlich schauen sie nur auf den Herd und suchen dort etwas zu essen. Sie finden immer etwas, das sie für die Freunde mitnehmen können.“
Egal ob Fleisch oder Krapfen, die Maskenträger sind Allesfresser. Masken dürfen im Übrigen nur Männer tragen. Den Gefleckten als Anführer des Umzugs spielt dieses Jahr der 30-jährige Kellner Jindřich Šmahel. Er ist schon lange dabei:
„Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr Maskenträger beim Umzug. Aber schon von klein auf habe ich mich dafür interessiert. Früher gab es sogar auch einen Kinderkarneval.“
Mindestens seit dem 19. Jahrhundert gibt es die Tradition des Karnevalumzugs in Vortová. Die Tradition wird vom Vater an den Sohn übergeben, bestätigt Jindřich Šmahel:
„Mein Vater nahm daran teil, mein Großvater und mein Urgroßvater auch, aber daran erinnere ich mich nicht mehr.“
Nach etwa zwei Stunden hat der Maskenzug jedes Haus besucht. Bald geht die Feier ihrem Höhepunkt zu. In den Gemeinden rund um Vortová bedeutet das, dass die Stute geschlachtet wird. In anderen Gegenden des Landes wird stattdessen beispielsweise ein Bär erschossen. Wie das symbolische Schlachten ohne Blutvergießen vor sich geht, beschreibt Ethnographin Vojancová:
„Der Stute werden ihre Sünden vorgelesen. Das ist immer eine Gelegenheit, um witzige oder besondere Ereignisse im Dorf oder in der Gesellschaft zu glossieren. Dann kommt es zu der symbolischen Schlachtung. Die Maskenträger tanzen um die Stute und es wird ein trauriges Lied gespielt. Schließlich kommt aber der Abdecker, gibt der Stute etwas zu trinken und sie wacht auf. Alle tanzen, und nun wird ein lustiges Lied gespielt. Das symbolisiert die Bereinigung von den schlechten Dingen des Vorjahres. Und die Auferstehung stellt auch den Ende des Winters, den Frühlingsanfang und ein neues Leben dar. Das ist dann der Höhepunkt des Karnevals.“
Früher feierte man Karneval auf diese Weise in jeder Gemeinde in Tschechien. Heute halten nur noch wenige Leute die Tradition hoch. Die Ortschaft Vortová ist also eher eine Ausnahme. Kein Wunder, dass die Männer aus Vortová in der Fastnachtzeit jedes Wochenende durch ein anderes Dorf ziehen. Dank der Einhaltung der Tradition hat der Karneval aus Vortová jetzt Chance auf die Aufnahme in die Unesco-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit.
„Das Kulturministerium wird den Antrag nach Paris schicken, und in einem Jahr erfahren wir von der Kommission der Unesco das Resultat. Zurzeit werden 90 Werke auf der Liste geführt. Aus Tschechien gehört dazu bereits der mährische Tanz Slovácký verbuňk, aus der Slowakei ist es die Fujara-Flöte. Unser Karneval lässt sich mit dem in Südamerika oder in Afrika vergleichen. In Europa gibt es Ähnliches zum Beispiel in der spanischen Stadt Berga oder im belgischen Binche. Aber es sind immer Feiern in Städten. Dorfumzüge sind noch nicht eingetragen, daher glauben wir, dass wir eine Chance haben“, so Vojancová.
Im Übrigen wird kein Werk aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz auf der Liste geführt. In Vortová verspricht man sich von dem Eintrag jedoch viel - auch Jindřich Šmahel. Zugleich befürchtet er, dass die internationale Anerkennung für die Traditionen in seinem Dorf auch negative Folgen haben könnte.
„Da gibt as auch noch die andere Seite. Wir haben Angst, dass es zu einer Kommerzialisierung kommen könnte. Vortová ist nicht groß. Der Karnevalsumzug findet an einem Tag im Jahr statt, und wenn viele Touristen kämen, dann würde die Atmosphäre zerstört.“
Egal, ob der Masopust, wie sich der Karneval in Vortová nennt, als Meisterwerk des immateriellen Erbes der Menschheit anerkannt wird oder nicht: Leute wie Jindřich Šmahel werden die Tradition weiter aufrechterhalten.
Fotos: Autor