Kaum auf der Welt, schon in der Luft
Schauspiel und Inszenierung hat Rostislav Novák im Blut. Er kommt nämlich aus einer echten Puppen- und Schauspieler-Dynastie. Mit seinem eigenen Projekt, dem Cirk La Putyka, hat er in Tschechien den sogenannten neuen Zirkus geprägt. In den Inlandssendungen des Rundfunks hat der 40-jährige Schauspieler und Zirkusdirektor darüber gesprochen, wie er mit seinem bunten Erbe umgeht, was für ihn Zirkus bedeutet und wovor er sich in der Manege fürchtet. Hier die interessantesten Passagen.
„Es ist eine gigantische Schaukel, die in der Regel von zwei bis drei Artisten bedient wird. Die einen heißen Pusher, sie schieben das Gerät also an. Die anderen wiederum heißen Flyer, also Flieger, sie stehen an den Spitzen des Schwingkörpers. Das sind meist die leichtesten Mitglieder der Truppe, die sich von der Schaukel dann in schwindelerregende Höhen katapultieren lassen. Sie landen am Ende auf einer Plane, die von anderen Akrobaten gehalten wird. Ungefährlich ist das Ganze nicht. Als wir unsere erste Schaukel eben in Russland gekauft haben, da hat man uns gewarnt: ‚Sie wissen schon, dass jedes Jahr darauf mindestens ein Artist stirbt?‘“
Auch ein Bekannter von Rostislav Novák aus Schweden stürzte unglücklich von der Russian Swing und war eine Zeitlang vom Kopf abwärts gelähmt. Warum der Prager Zirkusdirektor es aber trotzdem immer wieder macht, kann er nur schwer erklären:
„Man will ja nicht einfach nur Spitze sein in dem, was man tut. Es geht darum, weshalb man eigentlich im Rampenlicht steht. Vor allem, dass man sich nicht mit Worten, sondern eben mit Zirkuskunst ausdrückt. Und da ist es schlicht die Magie, wenn einem das Kunststück gelingt.“
Mit mehr Respekt auf der Bühne
Rostislav Novák ist Begründer des Cirk La Putyka in Prag. Damit war er der erste, der den Cirque Nouveau, also den zeitgenössischen Zirkus, nach Tschechien geholt hat. Was ist aber für den studierten Schauspieler eigentlich der Zirkus? Rostislav Novák antwortet mit einem Zitat des Avantgarde-Künstlers und -Theoretikers Karel Teige:
„Teige schrieb damals in etwa: ‚Unsere Unzufriedenheit mit dem heutigen Theater drängt uns dazu, die Schönheit und das Vergnügen des Schauspiels beispielsweise im Zirkus, dem Kabarett, den Musikhallen oder im Karneval zu suchen‘. Auch Voskovec und Werich waren beeinflusst von den Gebrüdern Fratellini. Das waren zwei Clowns, die die erste Zirkusschule gegründet haben. Ihr Motto war, dass sie keine Saltos mehr machen, sondern ihre Artistik im Wort sehen. Auch für mich liegt die Virtuosität des Zirkus unter anderem im gesprochenen Wort oder der Kombination von Licht, Ton und visuellen Effekten. Deshalb überschreite ich auch so gerne die Grenzen der Genres und bin froh, wenn uns die Zuschauer nicht wirklich einordnen können.“Für den begeisterten klassischen Schauspieler, wie Rostislav Novák sich selbst bezeichnet, hat der Zirkus aber noch einen anderen Reiz:
„Mich hat eine Sache am ‚großen Theater‘ etwas negativ überrascht, vielleicht auch, weil ich da eine etwas romantische Vorstellung hatte. Auf den richtigen Bühnen geht es nämlich oft nur ums Ego und um einzelne Persönlichkeiten. Die sind zwar Teil des Teams, ihnen fehlt aber oft der Respekt gegenüber den Schauspielerkollegen und anderen Mitarbeitern im Theater. Damit meine ich die Akustiker oder Licht- und Bühnentechniker. Beim Zirkus ist das ganz anders. Das Ego muss dort in den Hintergrund treten, ansonsten kann es zu ernsthaften Verletzungen kommen. Dort sind alle aufeinander angewiesen: Der Lichttechniker darf die Scheinwerfer nicht zu spät umschalten, da beim Artisten in sieben Metern Höhe jeder Handgriff sitzen muss. Der Tontechniker darf nicht zu laut sein, da die Akrobaten in der Luft ihre gegenseitigen Anweisungen hören müssen. Deshalb benennen wir nie, wer die Hauptrolle spielt und wir holen uns auch alle gemeinsam den Applaus ab. Beim Zirkus geht es vielmehr um den Respekt und um das Kollektiv hinter jeder Vorstellung und nicht um das Ego einzelner Charaktere.“
Den Cirk La Putyka gibt es seit 2009. Dort stehen die Artistik und das Erzählen auf der Bühne im Vordergrund, was typisch ist für den Cirque nouveua. Darin unterscheidet sich diese neue Art des Zirkus sehr vom klassischen Zelt mit seiner Manege und den Tiereinlagen. Mittlerweile ist der Ansatz des Cirk La Putyka hierzulande etabliert, unter anderem mit dem Festival Letní Letná hat man sich einen Namen gemacht. Die Anfänge der Truppe seien aber trotzdem schwer gewesen, erinnert sich Rostislav Novák:„Zum fünften Geburtstag haben wir eine Liste von allen Verletzungen zusammengestellt, die wir in der ganzen Zeit davongetragen haben. Am Ende sind zwei A4-Seiten zusammengekommen. Gott sei Dank wird diese Liste nicht mehr wesentlich länger, da wir jetzt schon alle wichtigen Zirkustechniken beherrschen. Wir sind auch viel erfahrener und können einschätzen, was wir unseren Körpern bei den jeweiligen Nummern zumuten können. Angefangen haben wir komplett bei null und das Ergebnis waren gequetschte Wirbel, alle möglichen gebrochenen Gliedmaßen und sogar ein gerissenes Bauchfell. In Tschechien gab es ja damals niemanden, der uns etwas beibringen konnte. Deshalb haben wir nicht erst gehen, dann laufen und schließlich fliegen gelernt. Wir haben uns vielmehr sofort in die Lüfte geschwungen.“
Trotz Widerstand in den bunten Fußstapfen
Rostislav Novák stammt aus der Puppen- und Schauspieler-Dynastie Kopecký. Deren Urvater, Johanes Kopecký, war bereits im 18. Jahrhundert ein großer Name in der Kunst. Seitdem brachte die Familie zahlreiche Bühnentalente hervor, vor allem auch unter den nächsten Verwandten Rostislav Kopeckýs selbst:
„Mein Opa war eine Kapazität im Puppenspiel, mein Vater wiederum war 25 Jahre lang im Theater Studio Ypsilon beschäftigt. Auch mein Cousin ging gleich nach der Schule an das Theater in den Weinbergen und das Theater Fidlovačka in Prag. Meinen Onkel Matej haben sie sogar nach acht Jahren Grundschule wegen seines Ausnahmetalents direkt an die Schauspielfakultät der Prager Kunstakademie geholt. Das ist unglaublich, wenn man das so hört. Von mir selbst wollte ich andererseits nie behaupten, irgendwie besonders talentiert zu sein.“Eigentlich wollte er sogar mit der Familientradition brechen. Lange Zeit wusste Rostislav Novák aber nicht, warum er zunächst so eine Abneigung gegen das Geschäft der Bühnenkunst hatte:
„Bis zu meinem 18. Geburtstag habe ich mich sehr intensiv darum bemüht, das Künstlererbe zu begraben. Als ich jung war, hat mir das schon große Kopfschmerzen bereitet und ich habe allen in meiner Familie gesagt: ‚Ich will nicht so werden wie ihr! Nie soll aus mir ein Schauspieler oder Puppenspieler werden, niemals will ich auf der Bühne stehen‘. Erst vor zwei Jahren bin ich mir darüber klargeworden und konnte tatsächlich entschlüsseln, warum ich so gegen das alles gekämpft habe. Es war einfach die Angst, den Erwartungen aller anderen nicht gerecht zu werden, dass ich die Tradition und unseren Namen würdevoll weiterführe.“
Auf die Bühne ist Rostislav Novák dann aber doch gekommen, wobei eher durch einen Zufall. Und dieser hatte auch ein bisschen etwas mit dem Radio zu tun:„Der Impuls für meine eigene Karriere kam dann nicht einmal aus der Familie, sondern von meiner Psychologielehrerin am Gymnasium. Sie kam damals auf mich zu und sagte: ‚Rostislav, Sie haben so eine schöne Stimme, wollen Sie uns nicht etwas aus dem Kleinen Prinz vorlesen?‘Aus dieser inszenierten Lesung wurde dann ein Hörspiel, später sogar eine richtige Inszenierung und im Jahr 1997 stand ich schließlich das erste Mal auf den Brettern des Theaters Strašnice.“
Mittlerweile tritt Rostislav Novák oft auf den Prager Bühnen auf, ob nun im Nationaltheater oder aber auf kleineren privaten Bühnen, wie dem Theater Archa oder dem Jatka 78. Außerdem ist er auch auf der Leinwand oder im Fernsehen zu sehen.
Die soziale Seite des neuen Zirkus
Der Cirk La Putyka ist mittlerweile eine Institution, die kaum aus der Kunstszene in Prag oder Tschechien wegzudenken ist. Auch international hat sich der Zirkus einen Namen gemacht, unter anderem wegen eines ganz besonderen sozialen Projekts:„In den Straßen und Kanälen Ruandas leben viele obdachlose junge Männer – die aber gleichzeitig unglaublich gute Akrobaten sind. Ich habe den Tipp bekommen, dass es da eine Gruppe von Jungs gibt, die zwischen zwei und 25 Jahre alt sind. Von denen habe ich zehn nach Prag geholt und mit ihnen eine Vorstellung einstudiert. Zwei Jahre lang sind wir damit in Prag und Hradec Králové aufgetreten. Das war eine großartige Geschichte, über die auch eine Doku mit dem Titel ‚Zirkus Ruanda‘ gedreht wurde.“
Letztlich sei daraus sogar noch etwas mehr geworden, meint der Zirkusdirektor Rostislav Novák. Und zwar für beide Seiten:
„Wir sind ja mit dem Gedanken dahingefahren, dass wir den Jungs helfen werden und sie dann etwas von uns lernen. Am Ende ist genau das Gegenteil passiert. Sie haben uns eine gewisse Demut beigebracht und den Glauben an einen Sinn der Dinge, aber auch wie man zu einer ganz bestimmten Einfachheit und Aufrichtigkeit zurückkehrt. Natürlich ist die Mentalität dort eine ganz andere, man kann das überhaupt nicht mit der unseren vergleichen. Wobei ich da jetzt auf keinen Fall das Thema Migration aufmachen will. Es war für unsere Truppe einfach ein ganz starkes Erlebnis.“