Keine Angst vor heiklen Themen - das tschechische Kino stellt sich der Vergangenheit

Photo: kinosvetozor.cz

Die Tschechen und ihr Kino - das ist ein ganz besonderes Verhältnis. Das 10-Millionen-Einwohner-Land glänzt mit einer erstaunlich breiten Filmproduktion. Junge Filmemacher sparen dabei auch heikle Themen aus der tschechisch-deutschen Geschichte nicht aus.

Kino Světozor
Einheimische Produktionen haben in Tschechien einen guten Ruf. Regelmäßig schlagen heimische Filme sogar die Hollywood-Blockbuster in der Besuchergunst. Unter den zehn in Tschechien erfolgreichsten Filmen der 90er Jahre sind so allein sieben tschechische. Ihr Kino liegt den Tschechen nahe, das bestätigt auch Jana Cernik vom Tschechischen Filmzentrum in Prag.

"Sie sind große Fans ihres eigenen Films. Ich vermute einfach mal, dass das so eine Art positiver Nationalismus ist, der sie immer wieder zu ihren eigenen Geschichten führt, zu ihren eigenen Darstellern, die sie sehr gut kennen, die sie lieben, Und ich glaube, dass man hier auch stolz ist auf seine Kultur, auf seine Sprache, auf die Geschichten."

Der Marktanteil der Eigenproduktionen liegt stabil bei 20 bis 25 Prozent. Für ein ähnliches Ergebnis wurde in der deutschen Filmindustrie 2004 als Boomjahr gefeiert - dabei ist die Filmproduktion in Deutschland gut viermal so hoch wie in Tschechien.

Eines der durchgängigen Themen des tschechischen Films ist die Geschichte des Landes, die nach 40 Jahren der kommunistischen Diktatur neu geschrieben und bewertet werden muss. Tschechische Filmemacher erden das Historische im Privaten und erzählen vom Leben und Überleben der Menschen unter den gegebenen Verhältnissen.

"Ich denke mal, das ist ganz natürlich, dass sie sich mit ihrer Geschichte beschäftigen und dass sie, was immer sie daran interessiert, hervorkramen und darüber Filme machen. Es sind ja keine Historienschinken, die nichts mehr mit ihrer Gegenwart zu tun haben. Es ist ja eher so, dass es wie zum Beispiel bei Jan Hrebejk Schlüsselmomente sind, die für die tschechische Geschichte wichtig waren, wie zum Beispiel der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes 1968 oder Einmarsch der Deutschen in den 30er Jahren. Es ist für mich eigentlich eine natürliche Entwicklung seit den letzten 15 Jahren, dass sich eine Gesellschaft damit auseinandersetzt, was eigentlich vorher war."

Zu dem, was vorher war, gehört auch das deutsch-tschechische Mit- und Gegeneinander in den böhmischen Ländern, der nationalsozialistische Terror im Protektorat und die Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg. Auch in deutschen Kinos war 2001 der Streifen "Wir müssen zusammenhalten" ("Musime si pomahat") des jungen Regisseurs Jan Hrebejk zu sehen, ein Film darüber, wie die Nachbarschaft zwischen Tschechen, Deutschen und Juden in einem böhmischen Städtchen über dem Nationalsozialismus zerbricht. In Tschechien zog der Film mehr als 300.000 Zuschauer in die Kinos.

Mit Nationalsozialismus und Nachkriegszeit setzt sich auch der Regisseur Milan Cieslar auseinander - zuerst vor sechs Jahren in dem Film "pramen zivota" ("Der Lebensborn"). Der Film erzählt die Geschichte der jungen Tschechin Greta aus einem gemischtnationalen Dorf im Sudetenland. Das Mädchen lebt in einfachsten Verhältnissen, bis eine NS-Delegation auf sie aufmerksam wird. Für Greta ist das die ersehnte Möglichkeit, dem trostlosen Alltag im Dorf zu entfliehen. Sie kommt in ein SS-Erholungsheim nach Polen. Hier soll der arische Nachwuchs für das "Dritte Reich" gezeugt werden - und erst hier erkennt Greta, worauf sie sich eingelassen hat.

Jan Hrebejk
"Als wir mit dem Film Lebensborn im Jahr 2000 auf der Berlinale waren, hatten wir den Kinosaal voller junger Deutscher, Studenten von der Uni und so weiter, und die haben vom Lebensborn nichts gewusst. Die haben geglaubt, das ist Fiktion, unsere Erfindung! Und dann waren sie davon völlig mitgenommen. Auch wenn heute fürs Kino fast nur noch Computerspiele verfilmt werden - ich glaube, es ist gut, wenn die Zuschauer an solchen historischen Stoffen im Kino eine starke Katharsis erleben können, eben im Kampf Gut gegen Böse. Nur dass eben die Guten, wie im antiken Drama, den Sieg nicht leicht und eindeutig davontragen. Aber es ist notwendig, den Menschen Hoffnung zu geben, dass die Wahrheit bleibt und dass es gut ist, nach der Wahrheit zu leben."

Die oft schmerzhafte Frage nach der Wahrheit, nach Schicksal, Schuld und Vergebung vor dem Hintergrund der tschechisch-deutschen Geschichte stellt Regisseur Milan Cieslar auch in seinem letzten Film. Der Titel: "Krev zmizeleho" ("Das Blut des Vergessenen"). Schauplatz ist abermals das Sudetenland: Die Krankenschwester Helga verliebt sich in den schwer verletzten baltischen SS-Offizier Arno. Die Affäre bleibt nicht ohne Folgen. Der jüdische Chefarzt, der aus dem KZ zurückkehrt, rettet Helga zwar vor der Vertreibung, die tschechischen Nachbarn vergessen aber nicht, wer der Vater ihres Kindes ist. Idee und Drehbuch stammen von dem bekannten tschechischen Schriftsteller Vladimir Körner, der selbst als Fünfjähriger in Mähren das Kriegsende erlebt hat. Die Grenzen zwischen Täter und Opfer sind fließend, die Moral lässt sich nur noch lakonisch formulieren:

"Wos weniger lebt - weniger Schuld!" - Wer weniger lebt, der trägt weniger Schuld.

Film „Blutsbande“
"Das ist wohl das Credo von Vladimir Körner - ein Bonmot, eine alte jüdische Weisheit, die eigentlich das ganz gut zusammenfasst, was wir in unseren Filmen immer deutlich machen wollten - sowohl im ´Lebensborn´, wie auch bei ´Blut des Vergessenen´, nämlich dass die Geschichte nicht schwarz-weiß ist. Nicht alle Deutschen waren schlecht und schuldig und nicht alle Tschechen gehören zu den Opfern."

Regisseur Milan Cieslar möchte mit seinen Filmen gerade die wunden Punkte der Vergangenheit berühren, Mystifizierungen aufbrechen und deutsch-tschechische Geschichte erzählen, wie sie wirklich war - mit allen Widersprüchen und Zwischentönen. Darauf hinzuweisen, dass es keine einfachen Wahrheiten gibt, sei auch heute noch eine wichtige Aufgabe, findet Cieslar.

"Das ist ganz bestimmt notwendig, denn wir leben in einer medialen Zeit, die vor allem vom Boulevard und von schnellen Urteilen geprägt ist. Und die dicken Balkenüberschriften der Zeitungen reduzieren die Probleme immer auf drei Worte - so etwa: der ist schuldig, der nicht."

In seinen Filmen zeigt Milan Cieslar die perfide Ideologie und den menschenverachtenden Terror der Nationalsozialisten, in genauso drastischen Bildern aber auch die Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg und die brutalen Übergriffe, zu denen es dabei gekommen ist, etwa als selbsternannte Rote Garden die Nachbarn von einst im Wald kaltblütig hinrichten - ein Novum im tschechischen Kino.

Die Vertreibung und die Gewalttätigkeiten gegen Deutsche nach dem Ende des Krieges werden in Tschechien immer noch nicht offen diskutiert - zu verhärtet sind die Fronten im Streit mit den sudetendeutschen Verbänden, und zu tief sitzt die Angst, damit das eigene Leiden unter der deutschen Besatzung zu relativieren. In diesem Sinne bilden Filme wie die von Milan Cieslar oder Jan Hrebejks "Wir müssen zusammenhalten" eine gesellschaftliche Avantgarde in Tschechien. Den Filmemachern gelingt oft besser als Politikern und Intellektuellen, die Öffentlichkeit mit den teils immer noch tabuisierten Ereignissen der deutsch-tschechischen Vergangenheit zu erreichen. Das bestätigt auch Jana Cernik vom Tschechischen Filmzentrum in Prag:

"Die Kinofilme werden wesentlich gelassener rezipiert als auf der politischen Ebene die deutsch-tschechischen Beziehungen diskutiert werden. Das liegt auch daran, wer auf der anderen Seite sozusagen mitdiskutiert, wie sehr man in Konfrontation geht, wie sehr man provoziert. was den Film angeht, wird es wahrgenommen, aber es findet keine Polarisierung statt in dem Sinne."

Der junge tschechische Film betrachtet die schwierige Geschichte des Landes mit Leidenschaft und Skepsis. Er spart die problematischen Bereiche nicht aus, bewahrt sich aber den Blick für das Menschliche, für seine Figuren, die sich abmühen, um sich unter den gegebenen Verhältnissen vom Leben nicht unterkriegen zu lassen. Es ist nicht zuletzt dieser menschliche Blick, der die tschechischen Zuschauer mit "ihrem" Film verbindet.

"Ich denke mal, dass das Kino die tschechische Geschichte in einer Art und Weise aufarbeitet, die annehmbar ist für sie, die nicht irgendwie frontal verletzt oder angreift. Man kann dann nach Hause gehen und darüber reden oder man kann sich etwas darüber durchlesen, und ich denke, das ist relativ wichtig. Also man muss wissen, mit welchem Tempo und mit welcher Leidenschaft man bei welchen Themen vorprescht."