(Keine) Sühne für Lidice - der Prozess gegen SS-Führer Max Rostock
Der Name Lidice steht für eines der schrecklichsten Kapitel von Weltkrieg und deutscher Besatzung in Böhmen. Genau 66 Jahre sind in diesen Tagen vergangen, seit NS-Truppen das kleine Dorf unweit von Kladno dem Erdboden gleichgemacht und die Einwohner ermordet oder verschleppt haben – willkürliche Vergeltung für das Attentat auf Reinhard Heydrich. An der Aktion gegen Lidice maßgeblich beteiligt war SS-Obersturmführer Max Rostock. 1951 wurde ihm in der Tschechoslowakei der Prozess gemacht. Aufnahmen daraus haben sich im Rundfunkarchiv erhalten.
Fünf NS-Kriegsverbrecher sitzen im August 1951 in Prag auf der Anklagebank; allen voran Max Rostock, ehemaliger Leiter des NS-Sicherheitsdienstes in Kladno.
„Ich bekenne mich schuldig, dass ich daran teilgenommen habe, unter dem faschistischen Regime hier einzumarschieren und später hier eine Funktion ausgeübt zu haben.“
Rostock gehörte in der Nachkriegszeit zu den meist gesuchten Kriegsverbrechern in der Tschechoslowakei. Mit seinem Namen war die Auslöschung von Lidice verbunden – weltweites Symbol der Bestialität des NS-Regimes. Deutsche Truppen hatten am 10. Juni 1942 die 174 Männer des Dorfes an Ort und Stelle erschossen und das Dorf niedergebrannt. Die Ereignisse stehen auch bei der Befragung Rostocks durch den Richter im Mittelpunkt:
„Kommen wir nun zu Ihrem Teil an der Aktion in Lidice. Waren Sie an den betreffenden Tagen in Lidice?“
„Ja, als die Aktion begann.“
„Waren Sie dort einmal oder mehrmals?“
„Mehrmals. Vier- oder fünfmal.“
„Waren Sie dabei, als die Kirche in Brand gesteckt wurde?“
„Ja.“
„Waren Sie anwesend, als die Männer aus Lidice hingerichtet wurden?“
„Zeitweise ja.“
Nach dem Mord an den Lidicer Männern wurden Frauen und Kinder verschleppt – viele haben nicht überlebt. In einer Turnhalle in Kladno wurden die Mütter von ihren Kindern getrennt. Auch daran war Max Rostock beteiligt, bezeugt Růžena Petráková, die an diesem Tag ihre drei Kinder verlor:
„Wie sie mir die Kinder weggenommen haben, da ist mein Jüngster – der war damals acht – nochmals zurückgelaufen. Ich habe geweint und wollte aufstehen, aber in dem Moment hat mich von hinten jemand an den Schultern gerissen und zu Boden gestoßen. Ich habe mich umgedreht, und ich schwöre, es war Rostock.
Ob sie Rostock auch mit Sicherheit erkenne, hakt der Richter bei Růžena Petráková nach.
„Ich erkenne ihn ganz sicher, der sieht heute genauso aus wie damals. Für die war es ein großer Feiertag, als sie uns die Kinder weggenommen haben. Aber für uns ist das ein Schmerz, den wir nie vergessen. Ich schwöre beim Angedenken meiner Kinder, dass es Rostock war.“
Staatsanwalt Pavel Barbaš fordert in seinem Schlussplädoyer das Todesurteil für Rostock und die anderen Angeklagten, und der Richter folgt dem Antrag. Inzwischen aber ist die Tschechoslowakei nach dem Nationalsozialismus längst in dem nächsten, diesmal kommunistischen Regime versunken. Und in dem wartet auf Max Rostock ein erstaunliches Schicksal. Er wird begnadigt und 1960 als Agent in die Bundesrepublik geschickt, wo er sich bald in ein ungestörtes Privatleben verabschiedet. Rostock stirbt, im Wesentlichen unbehelligt, 1986 in Mannheim. Und so bekommen die eigentlich gegen den Westen gerichteten Worte von Staatsanwalt Pavel Barbaš aus Sommer 1951 im Nachhinein einen ganz neuen Sinn.
„Jeder anständige und ehrliche Mensch muss sich fragen: Wie ist es möglich, dass faschistische Kriegsverbrecher freigesprochen werden und in Freiheit kommen? Wie ist es möglich, dass überhaupt jemand zulassen kann, dass die kaum vergangenen und immer noch lebendigen Lehren des Zweiten Weltkriegs in Vergessenheit geraten?“