Kommentare zu den jüngsten Restitutionsprozessen und zur Parlamentarier-Immunität

Liebe Hörerinnen und Hörer, auch heute haben Silja Schultheis und Robert Schuster für Sie einen Blick in die tschechischen Medien geworfen und bringen Ihnen nun die wichtigsten Themen, die in der vergangenen Woche für Schlagzeilen sorgten.

Beim Blick in den Kalender, der besagt, dass der erste Ferien- und Urlaubsmonat Juli sich langsam auf seine zweite Hälfte zu bewegt, könnte man eigentlich meinen, dass es auch der tschechischen Medienlandschaft gegenwärtig an großen Themen mangeln müsste. Dass sich diese Annahme beim näheren Hinsehen als falsch herausstellt, zeigt auch die relativ breite Palette an Themen, denen sich die tschechischen Zeitungen in ihrem Kommentaren und Glossen in der abgelaufenen Woche widmeten.

Besondere Beachtung fand dabei das Ergebnis eines Restitutionsprozesses, welches zwar bereits vor einigen Wochen bekannt wurde, aber erst jetzt so richtig die politischen Wellen in Tschechien hochgehen ließ. Ende Juni entschied nämlich ein Bezirksgericht in Ostböhmen, dem Grafen Franz Ulrich Kinsky eine knapp zwei Hektar große Wiese zurück zugeben, die dessen Vorfahren nach 1945 aufgrund der sog. Bene-Dekrete konfisziert wurde. Unter den tschechischen Politikern aller Couleur machte sich sofort helle Empörung breit, gepaart mit der Ansicht, dass der Gerichtsentscheid einer faktischen Aushebelung der Bene-Dekrete gleichkomme, die bisher allgemein als rechtlich erloschen bezeichnet wurden.

Als zusätzlich bekannt wurde, dass Graf Kinsky noch weitere Klagen einreichte, die sich auf Liegenschaften, darunter einige Palais und Schlösser, mit einem geschätzten Wert von 40 Milliarden Kronen (umgerechnet knapp 1,3 Milliarden Euro) beziehen, versuchten die Politiker sprichwörtlich die Notbremse zu ziehen. Es kam zu einigen Sitzungen auf höchster Ebene mit dem Ziel, künftig ähnlichen Klagen einen Riegel vorzuschieben. Keiner der beteiligten Politiker, egal ob Premier Vladimir Spidla, Kulturminister Pavel Dostal, oder selbst Präsident Vaclav Klaus, konnten jedoch den Eindruck entkräften, sie wollten in dieser Angelegenheit den Gerichten vorschreiben, wie sie künftig in ähnlichen Fällen zu urteilen hätten. Kein Wunder also, dass dies die tschechischen Zeitungen zum Anlass für eine Reihe von Kommentaren nahmen.

Den Stein ins Rollen brachte, wie in den letzten Jahren oft bei solchen Fällen, die linksliberale tschechische Tageszeitung Pravo. Obwohl noch in der jüngsten Vergangenheit das Blatt einhellig die Meinung vertrat, wonach die Dekrete und die dadurch geschaffenen Eigentumsverhältnisse sakrosankt seien, legen die Kommentatoren der Pravo seit einigen Monaten einen differenzierteren Zugang zum Thema an den Tag.

Den Beweis dafür liefert die Kolumne von Ji"í Hanák mit dem Titel "Kinsky, die Gerichte und die Politiker", aus der wir Ihnen nun einige Passagen zitieren möchten:

"Den Fall Kinsky können nur unabhängige Gerichte entscheiden. Sollte es keine Zweifel an der Stichhaltigkeit der Argumente Kinskys geben, sollte ihm sein Eigentum zurüc gegeben werden. Sollten die Gerichte jedoch feststellen, dass es sich bloß um einen raffinierten Trick handelt, um die Dekrete zu umgehen, sollte ihm von den Richtern die Tür gezeigt werden. Es ist jedoch völlig inakzeptabel, an eine politische Lösung dieses Falles zu denken und etwa aufgrund der Bene-Dekrete ein neues Gesetz schaffen zu wollen. So eine Vorgangsweise würde uns nämlich verlässlich aus der Gemeinschaft der zivilisierten Länder ausschließen."

In eine ähnliche Richtung weist auch der Kommentar von Martin Komarek, der zu diesem Thema vergangene Woche in der Tageszeitung Mlada fronta Dnes erschienen ist. Im Gegensatz zu Hanak in der Pravo versuchte Komarek dabei auch den Ursachen nachzugehen, warum denn die Politiker seiner Meinung nach so überzogen reagiert hätten. Hören Sie im Folgenden einige Gedanken aus seinem Kommentar "Kinsky im Dschungel". Zitat:

"Auf der kleinen Wiese, die dem Adeligen Kinsky zuerkannt wurde, mussten zweifelsohne Drachenzähne wachsen, oder aber in den Tiefen darunter ein großes Ölfeld liegen. Sonst würden wohl die Herren Klaus und Spidla in diesen Tagen nicht hektisch Sitzungen einberufen und sogar überlegen, die Verfassung zu ändern. Aber es geht nicht um Drachenzähne, ebenso wenig um Erdöl. Wenn es etwas gibt, worin sich hierzulande linke und rechte Politiker einig sind, dann ist es deren Geringschätzung für den Rechtsstaat. Man kann ihnen das aber schwer verübeln, denn schließlich sind die Gesetze dieses Staates genauso verzwickt wie dessen Geschichte. Die Enteignung des Adels und der Großgrundbesitzer in der Ersten Republik, die Bene-Dekrete, die in Gesetze gegossene kommunistische Bestehlung von Unternehmern und Gewerbetreibenden - das alles war politische Willkür, die in marxistischer Manier zum Gesetz erhoben wurde. So ist eigentlich dieser Rechts-Dschungel entstanden. Klaus und Spidla wollen sich nun durch diesen Dschungel den Weg ebnen, jedoch mit Hilfe eines neuerlichen politischen Willküraktes."

Nun wollen wir uns aber in den verbleibenden Minuten unseres heutigen Medienspiegels einem anderen Thema widmen, dass in der abgelaufenen Wochen ebenfalls für einige Schlagzeilen und somit auch Kommentare sorgte.

Alle Jahre wieder werden gerade in den Sommermonaten Debatten losgetreten, ob denn der Umfang jener Immunität, die Tschechiens Abgeordnete und Senatoren hierzulande genießen, nicht reduziert werden sollte. Es ist nämlich erwiesen, dass gerade in den Monaten der Parlamentsferien sich bei Verkehrsunfällen und ähnlichen Begebenheiten die Politiker am häufigsten auf dieses Privileg berufen, um sich nicht etwa einem Alkoholtest unterziehen zu müssen. Vergangene Woche wurde deshalb ein erneuter Anlauf unternommen, die Abgeordneten-Immunität ein wenig einzuschränken. Die Regierung legte eine entsprechende Initiative im Rahmen der von ihr geplanten Grund legenden Verfassungsänderung vor. Die Abgeord0neten nahmen das jedoch zum Anlass, um die ganze Vorlage einst weilen auf Eis zu legen.

Petr Uhl nahm dies in der Zeitung Pravo zum Anlass, sich ein paar grundsätzliche Gedanken über die Parlamentarier-Immunität zu machen. Der Kommentar Uhls, aus dem wir Ihnen abschließend zitieren möchten, trägt den Titel "Das nähere Hemd der Abgeordnetenimmunität":

"Viele Abgeordnete fürchten die Einschränkung ihrer Immunität wie der Teufel das Weihwasser. Dabei will aber die Regierung lediglich deren Anwendung präzisieren und insbesondere den Gerichten die Möglichkeit geben, gegen gesetzesbrüchige Mandatare vorzugehen, nachdem ihre Amtszeit ausgelaufen ist. Bisher war es nämlich üblich, dass ein Abgeordneter auch nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament vor einer eventuellen strafrechtlichen Verfolgung sicher war."

Die tschechische Regelung bei der Parlamentarier-Immunität sei, so Petr Uhl, damit wohl einzigartig auf der Welt und nicht zuletzt auch einer der Gründe für die geringe Akzeptanz, die das Parlament bei der Bevölkerung über viele Jahre hinweg genießt. Im Weiteren heißt es im Kommentar von Petr Uhl:

"Die Abstimmung im Parlament zeigte aber, dass den Abgeordneten das Hemd ihrer eigenen Immunität eben näher ist als der Mantel der notwendigen Verfassungsänderungen, zu der z.B. auch die allgemein populäre Einführung der Direktwahl des Präsidenten gehört hätte. Einige Abgeordnete warnten sogar allen Ernstes davor, dass die Polizei oder die Justiz versucht sein könnten, sich an ihnen zu rächen. Das zeigt nur Eines: Die ängstlichen Abgeordneten haben entweder ein schlechtes Gewissen oder eine ziemlich verwirrte Meinung über die Polizei und Justiz, oder sogar beides. Wir Wähler sollten uns das merken und bei den nächsten Wahlen entsprechend entscheiden."