"Kreativ gegen Rechtsextremismus" - Internationale Jugendbegegnung in Prag

"Kreativ gegen Rechtsextremismus" - unter diesem Motto trafen sich Anfang August 24 Jugendliche aus Tschechien, Polen, Deutschland und Frankreich in Prag, um sich gemeinsam Gedanken über ein Thema zu machen, das nicht nur in den genannten vier Staaten zunehmend an Aktualität gewinnt. In künstlerischen Workshops, Zeitzeugengesprächen, Straßenumfragen und Diskussionen untereinander setzten sie sich eine Woche lang mit Fremdenfeindlichkeit und Toleranz auseinander. Veranstalter des Treffens war die Brücke-Most-Stiftung in Zusammenarbeit mit Partnern in den übrigen Ländern. Finanziert wurde die Begegnung zu großen Teilen von der Ceska narodni agentura Mladez. Silja Schultheis war mit dem Mikrophon dabei, als die Jugendlichen und Teamer Bilanz über die Begegnung zogen.

Brücke-Most-Stiftung
"Ein großes Problem ist, dass viele Menschen nicht nachdenken. Dieses Seminar hat uns sehr zum Nachdenken angeregt. Wir haben viele Spiele gemacht, in denen es darum ging, dass man versucht, sich hineinzufühlen, wie es ist, Außenseiter zu sein, als Jude abgestempelt zu werden. Und allein diese Gefühle zu empfinden, das hat mir persönlich sehr viel gebracht und mich bestimmt auch sehr sensibilisiert."

Sagt Christian, einer der sechs deutschen Teilnehmer. Er hat sich unter anderem deshalb für die Jugendbegegnung "Kreativ gegen rechts" angemeldet, weil er noch nie in Prag war und endlich einmal etwas über das Nachbarland erfahren wollte:

"Ich hab den Eindruck gewonnen, dass es in Tschechien nicht so schlimm ist mit den Rechtsradikalen. Ich hab mich mit den tschechischen Jugendlichen ausgetauscht und erfahren, dass die rechte Partei nur ein Drittel Prozent in den letzten Wahlen bekommen hat. Aber wir haben auch viel mit den Polen geredet und erfahren, dass die neue rechte Regierung dort zumindest von denjenigen, die hier sind, niemand wollte. Und ich denke schon, dass in Polen die Rechten auch ein Problem sind."

Eben die neue politische Realität in ihrem Land sorgte bei den polnischen Teilnehmern für einen enormen Gesprächsbedarf, sagt Ella aus Warschau:

"Für mich ist es sehr wichtig, dass wir hier sein und darüber sprechen können, was zurzeit in unserem Land passiert. In Polen herrscht im Moment eine sehr schwierige politische Situation. Und wir sind sehr wütend darüber. Wir lachen zwar darüber, aber es ist sehr gut, dass wir darüber mit jungen Leuten aus anderen Ländern sprechen können."

Die wichtigste Erfahrung aus der Prager Jugendbegegnung war für sie, mit dem, was sie zur Zeit am meisten beschäftigt, nicht allein gewesen zu sein:

"Manchmal hat man Angst etwas auszusprechen, was für einen selber schwierig ist, weil man Angst vor der Reaktion der Leute hat. Wir hatten hier die Möglichkeit, über unsere Situation zu sprechen und die Reaktionen der anderen waren sehr gut. Wir haben gemerkt, dass sie uns verstehen und das war sehr gut."

Marisol aus Frankfurt hat umgekehrt den Eindruck, dass die Teilnehmer zu wenig diskutiert haben:

"Was ich bei dieser Begegnung ein bisschen vermisse: Wir sprechen nicht so richtig über unsere eigenen Eindrücke. Wir machen ein paar interessante Sachen, aber es ist nicht so, dass wir danach darüber debattieren."

In eine ähnliche Richtung zielt die Kritik von Toni, einer weitern deutschen Teilnehmerin:

"Wir haben sehr viel Theorie gemacht, finde ich, aber wir haben wenig darüber gesprochen, wie ich jetzt wirklich reagieren soll, wie ich auf Rechtsextremisten zugehen kann. Das habe ich ein bisschen vermisst."

Dass Rechtsradikalismus in Tschechien kein Problem ist, wie Christian zu Beginn dieser Sendung sagte, sieht Honza anders. Er kommt aus dem nordböhmischen Decin, unmittelbar an der tschechisch-deutschen Grenze, und hat dort in der Schule bereits mehrfach Filmabende und Diskussionen über Rechtsextremismus mitinitiiert. Davon angeregt, haben sich einige seiner Freunde bemüht, in ihrer Umgebung Konzerte von Neonazis zu verhindern, indem sie sie der Polizei meldeten. Gerade hier wurde Honza aber auch bewusst, dass das Problem nicht in der rechtsradikalen Minderheit, sondern in der gesamten tschechischen Gesellschaft begründet liegt. Denn gerade innerhalb der Polizei lassen sich seiner Meinung nach auch klare rassistische Tendenzen beobachten. Aber nicht nur dort, meint Honza:

"Während dieser Jugendbegegnung habe ich mir bewusst gemacht, besonders als wir heute die Roma-Organisation Athinganoi besucht haben, dass wir Tschechen schrecklich fremdenfeindlich gegenüber den Roma sind und sie ziemlich diskriminieren. Das ist leider so. Das ist ein sehr hässliches Vorurteil, das wir da haben. Wenn man das etwa mit Frankreich vergleicht, da gibt es zwar auch Probleme mit den Muslimen, aber auf der anderen Seite werden dort Ausländer als Franzosen betrachtet. Das tun wir nicht. Bei uns gilt: Wir sind Tschechen, und alle anderen sind Parasiten."

Eine Haltung, die sich Honzas Meinung nach durchaus ändern ließe:

"Ein persönliches Treffen mit den entsprechenden Menschen, wie wir es etwa mit der Roma-Organisation hatten, ist immer ein ganz besonderes Erlebnis. Es ist immer etwas anderes, wenn man etwas nur vom Hörensagen kennt oder wenn man es selbst erlebt. Aber es gibt selten die Möglichkeit es selbst zu erleben. Wenn man häufiger multikulturellen Treffen veranstalten könnte, auf denen zum Beispiel Roma oder Vietnamesen ihre Kultur einmal anders präsentieren würden, als sie in der Gesellschaft gesehen wird, wäre das bestimmt sehr nützlich."

Frauke Wetzel, eine der Teamerinnen, erinnert an die Ursprünge der diesjährigen Begegnung:

"Also im letzten Jahr hat sich ungefähr die Hälfte der Jugendlichen und der Teamer, die jetzt hier sind, schon in Dachau getroffen, da war das Thema: 60 Jahre Kriegsende. Und am letzten Tag haben die Jugendlichen selbst gesagt, sie würden das Treffen gerne fortsetzen mit einem aktuelleren Thema. Deshalb in diesem Jahr das Thema: Rechtsextremismus und Toleranz."

Mit dem diesjährigen, zweiten Treffen ist sie sehr zufrieden:

"Egal, welches Thema wir hatten oder ob was rüber gekommen ist von den Inhalten, die wir hatten: Sie mussten sich hier eine Woche lang in einer internationalen Gruppe verständigen und auf andere Gewohnheiten eingehen - indem sie sich zum Beispiel das Zimmer mit jemandem teilten, mit dem sie kaum eine gemeinsame Sprache hatten. Und das ist das größte Ziel und ich glaube, das ist auf jeden Fall erreicht."

An eine Fortsetzung wird auch diesmal gedacht, sagt ihre tschechische Kollegin Petra Zachova von der Brücke-Most-Stiftung, die die Prager Begegnung organisiert hat:

"Wäre eigentlich gut, denn wir sind vier Partnerländer und wir wollten das eigentlich so machen, dass die Begegnung jedes Jahr in einem anderen Land stattfindet. Letztes Jahr war es in Dachau, dieses Jahr in Prag und jetzt ist die Frage, ob nächstes Mal Polen oder Frankreich dran ist. Es wäre schön, wenn das klappen würde."

Welches Thema das nächste Mal im Mittelpunkt steht, ist zwar noch nicht entschieden, einige Jugendliche haben aber schon eine Idee. Toni:

"Also, ich finde das Thema Menschenrechte wahnsinnig faszinierend. Und auch einfach die verschiedenen Menschenbilder, die verschiedenen Gesellschaften. Aber das ist nur ein Vorschlag."

Die polnische Gruppe, so Ella, will sich dafür stark machen, dass das nächste Treffen in ihrem Land stattfindet:

"Wir denken auch schon über ein Thema nach, es könnte etwas über multikulturelle Orte in Polen sein. Denn wir wollen das Treffen gerne in Krakau organisieren, was ja vor dem Zweiten Weltkrieg ein sehr multikultureller Ort war."

www.bruecke-most-stiftung.de



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