Kriegsende in Pilsen – Zeitzeuge erinnert sich: Eine Torte am ersten Tag des Friedens
Der Historiker Eduard Maur hat die Befreiung von Pilsen vor 70 Jahren als kleines Kind miterlebt. Bei der Suche nach einem Augenzeugen der damaligen Geschehnisse musste die Redakteurin von Radio Prag nicht weit gehen. Eduard Maur ist nämlich ihr Vater. Im nun folgenden Gespräch mit ihr erinnert er sich an die Bombardierung der Stadt kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, an die Befreiung und an die ersten Wochen im Frieden.
„Ich war damals acht Jahre alt. Im Mai 1945 wohnten wir nicht direkt in der Stadt, sondern in einem Dorf am Rande von Pilsen, weil unsere Wohnung während des Bombenangriffs am 17. April beschädigt wurde. Deswegen wohnten wir bei Freunden in einem ungefähr vier Kilometer entfernten Dorf.“
Und habt ihr mitbekommen, was in der Stadt geschieht? Habt ihr davon erfahren? Hat jemand darüber erzählt?
„Ja, wir haben davon erfahren. Mein Vater war im Zentrum der Stadt in einem Amt beschäftigt. Am 6. Mai ging er von dem Amt nach Hause, und wir waren darüber sehr beunruhigt. Denn er war in der Stadt, wo man geschossen hat. Wir haben diese Schüsse gehört und hatten natürlich Angst. Glücklicherweise ist er nach Hause gekommen, und wir freuten uns.“
Habt ihr davon gewusst, dass die Alliierten bereits in Pilsen sind?
„Ja, das wussten wir. Aber wir wussten auch, dass sich einige Soldaten der deutschen Armee gewehrt und auf die Amerikaner geschossen haben, zum Beispiel von dem Kirchenturm. Also es war nicht so einfach.“
Also in der Stadt wurde gekämpft…
„Ja, in der Stadt wurde gekämpft, aber nicht sehr stark. Nur einige Soldaten haben sich so gewehrt, aber große Kämpfe gab es nicht.“Wie hast du die Geschehnisse als Kind wahrgenommen?
„Also wie ich es wahrgenommen habe… Ich habe meinen Vater nach seiner Rückkehr aus der Stadt gefragt, ob der Krieg zu Ende ist. Er hat mir gesagt: ´Ja, und warum fragst du´? Ich habe geantwortet, meine Mutter und Frau Krausová, bei der wir wohnten, haben gesagt, dass sie, wenn wir den ersten Tag im Frieden erleben, eine Torte backen.“
Das ist die Wahrnehmung eines Kindes. Wie haben deine Eltern das Kriegsende erlebt?
„Meine Mutter war mit mir in dem Dorf. Und mein Vater war, wie ich schon gesagt habe, in der Arbeit. Danach ging er – was ziemlich gefährlich war – nach Hause. Er musste durch eine lange Straße gehen, in der beiderseits große Wände waren, also keine Häuser, nur die Wände. Man konnte sich dort nicht decken, wenn jemand geschossen hat. Also es war nicht so einfach.“
Wie lange hat diese unruhige Zeit gedauert?
„Einen Tag lang, den 6. Mai 1945.“
Du hast gesagt, dass ihr am Ende des Krieges bei Bekannten gewohnt habt, weil euer Haus beziehungsweise eure Wohnung durch einen Luftangriff beschädigt wurde. Seit wann gab es eigentlich diese Luftangriffe auf Pilsen?
„Pilsen war eine Ausnahme. An den meisten Orten kam es erst am Ende des Krieges zu den Luftangriffen, aber weil es in Pilsen die großen Škoda-Werke gab, also eine Waffenfabrik, wurde die Stadt den ganzen Krieg über bombardiert. Die Angriffe in den ersten Kriegsjahren waren ziemlich schwach, aber am Ende des Krieges gab es drei große Luftangriffe, am 17., 18. und am 25. April, die die Stadt sehr stark beschädigt haben. Vor allem der dritte Angriff hat die Škoda-Werke völlig zerstört.“Wurde auch euer Haus getroffen?
„Unser Haus wurde nicht getroffen, aber ganz in der Nähe gab es ein Haus, das ganz zerstört wurde. Dort gab es auch Tote. Und unsere Wohnung war beschädigt.“
Was hast du als Kind gefühlt, als ein Luftalarm gemeldet wurde. Hast du Angst gehabt, oder gehörte das schon zum alltäglichen Leben?
„Also während des Krieges, bei den ersten Bombenangriffen, waren wir daran schon gewöhnt. Wir haben einen Koffer mit Nahrungsmitteln und Wasser genommen, sind damit in den Keller gegangen und nach dem Angriff wieder zurückgekommen. Das war eine alltägliche Geschichte. Aber am Ende des Krieges, während dieses großen Angriffes Mitte April, das war schrecklich. Wir dachten damals, dass das unser Ende ist, das wir nicht mehr zurückkommen. Das galt nicht nur für unser Haus, sondern für das ganze Stadtviertel, das sehr schwer getroffen wurde. Von unserer Schule zum Beispiel wurden eine Lehrerin und sechs Kinder getötet, aus unserer Klasse zwei Kinder.“
Das muss eine schreckliche Erfahrung gewesen sein. Wann habt ihr nach dem Kriegsende nach Hause zurückkehren können?
„Das weiß ich jetzt nicht mehr ganz genau, aber es war etwa nach ein paar Wochen, nachdem man unsere Wohnung repariert hatte.“Wie lange sind die US-Soldaten in der Stadt geblieben? Hast du sie noch getroffen, nachdem ihr nach Pilsen zurückgekommen seid?
„Ja. Sie sind bis zum Herbst in Pilsen geblieben. Wir sind schon am Nachmittag des 6. Mai in unser Stadtviertel gegangen, dort haben wir die Panzer gesehen, die Soldaten und das ganze Drumherum. Und dann lebten wir mit ihnen in der Stadt mehrere Monate zusammen.“
Hast du einige Erinnerungen daran?
„Natürlich. Vor allem haben wir eine fremde Armee gesehen, die wir vorher nie gesehen hatten, und in der auch Afroamerikaner waren. Wir haben überhaupt zum ersten Mal einen dunkelhäutigen Amerikaner gesehen. Vorher kannten wir sie nur aus dem Film oder aus Zeitungen und Büchern. Und plötzlich haben wir sie auf der Straße getroffen. Die Soldaten gaben den Kindern verschiedene Sachen, zum Beispiel Kaugummis. Wir haben uns auch mit ihnen fotografieren lassen. Das sind so die Erinnerungen aus dieser Zeit.“
Herrschte nach dem Krieg eine Euphorie in der Stadt?
„Selbstverständlich. Eine große Euphorie.“
Wie lange hat sie angehalten?
„Ich denke, es waren mehrere Wochen. Alle waren froh, dass der Krieg zu Ende ist. Und nicht nur der Krieg, sondern auch die Unfreiheit. Es war eine sehr schöne Zeit.“