Wie sieht die Situation in den posttotalitären Gesellschaften 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes aus? Nach der Antwort auf diese Frage machten sich die Teilnehmer einer Konferenz, die am vergangenen Donnerstag und Freitag im Senat des tschechischen Parlaments stattfand. Veranstaltet wurde sie von der Europäischen Plattform für Erinnern und Gewissen.
Mustafa Dschemilew (Foto: Martina Schneibergová)
Das Erbe des Totalitarismus heute - so lautete das Motto der Konferenz. Die Vortragenden konzentrierten sich auf Bereiche, die bis heute noch nicht völlig demokratisch funktionieren. Diskutiert wurde unter anderem über die Qualität der Demokratie in den früheren kommunistischen Ländern, über die Ursachen der Korruption oder die Rolle der Medien. Zu Wort kamen zudem ehemalige politische Gefangene und Dissidenten. Auch die Rolle der Institute, die sich in den postkommunistischen Ländern um die Aufarbeitung der Vergangenheit kümmern sollen, wurde beleuchtet. Unter den rund 150 Teilnehmern waren Politiker, Juristen, Historiker sowie Vertreter von Bürgerinitiativen. Die abschließende Diskussion konzentrierte sich auf die Situation in der Ukraine. Einer der Redner war der ukrainische Abgeordnete Mustafa Dschemilew, er war bis 2013 Vorsitzender der nationalen Versammlung der Krimtataren:
Krim (Foto: Free Domain)
„Die Tschechische Republik spielt für uns eine wichtige Rolle, weil sie die Annexion der Krim und die russische Aggression verurteilt hat. Wir brauchen jetzt mehr denn je die internationale Solidarität, weil es nun zu einer Wiederbelebung des sowjetischen Regimes kommt. Es ist eine Herausforderung für die gesamte Welt, sich gegen die Aggression zu stellen, die sich vor unseren Augen abspielt. Im 21. Jahrhundert nutzt ein Land die vorübergehende Schwäche eines anderen Landes aus und greift mit militärischen Mitteln ein. Es werden bewaffnete Terroristen entsendet, um das Land zu teilen. Die internationale Gemeinschaft sollte darauf reagieren. Im russisch-georgischen Konflikt von 2008 hat sie nur mäßig reagiert. Wenn nichts passiert, werden wir in einer nahen Zukunft einem viel ernsthafteren Konflikt entgegenwirken müssen.“
Göran Lindblad (Foto: Martina Schneibergová)
Mustafa Dschemilew verbrachte in den 1960er und 1970er Jahren 15 Jahre in sowjetischen Gefängnissen. Bekannt geworden ist er in Westeuropa durch seinen zehnmonatigen Hungerstreik, den er nur durch Zwangsernährung überlebte. Seit der russischen Annexion der Krim darf der Politiker nicht in seine Heimat zurückkehren. Für seinen Kampf für Freiheit und demokratische Ideale wurde Dschemilew während der Prager Konferenz mit dem Preis der Europäischen Plattform für Erinnern und Gewissen ausgezeichnet.
Der Präsident der Plattform, der schwedische Politiker Göran Lindblad, erklärte während der Konferenz, ohne die Vergangenheit zu verstehen, könne man die Gegenwart nicht bewältigen.
„Als ich 2006 im Europäischen Rat eine Resolution zur Verurteilung der Verbrechen der kommunistischen Regime vorlegte, zeigte die russische Delegation kaum Verständnis dafür. Auch viele der Sozialisten zeigten nur wenig Interesse. Jetzt erleben wir das Ergebnis. Russland sowie einige andere Länder haben keine Lehre aus ihrer totalitären Vergangenheit gezogen. Wenn die junge Generation nichts über die Geschichte erfährt, kann es zu einer Katastrophe kommen. Die Verbrechen des Nazi-Regimes haben alle verurteilt, und das ist auch gut so. Wir sollen diese Verurteilung ständig wiederholen. Aber es ist notwendig, sich auch mit den kommunistischen Verbrechen auseinanderzusetzen. Ich werde manchmal gefragt, ob ich das Nazi-Regime etwa mit dem kommunistischen Regime vergleiche. Das mache nicht, denn die beiden Regimes müssen danach beurteilt werden, was sie verübt haben.“
Zum Abschluss der Konferenz wurde ein Aufruf erstellt. Er trägt den Titel „Es ist für Europa an der Zeit, zu erwachen“. Mehr über die Plattform sowie den Aufruf finden Sie unter: www.memoryandconscience.eu.