Kultur auf Reisen – tschechische Künstler fahren mit „Cargo-Projekt“in fremde Städte

Cargo Bukarest 2008 (Foto: www.www.cargocz.org)

Cargo bedeutet Gütertransport, Import und Export. Tschechien exportiert seit 2005 lebendes Kulturgut. Unter dem Namen Cargo.cz toben sich nämlich ein paar Mal pro Jahr tschechische Künstler in einer ausländischen Metropole aus - bei einer Art experimentellen Städte-Trips.

Eva Koťátková  (Foto: ČTK)
Die Cargo-Gruppe fährt zwei bis dreimal im Jahr in eine europäische Großstadt. Pavel Šterec ist einer der drei Kuratoren des Projekts und beschreibt die Zielorte:

„Cargo ist als Ausstellungsprojekt bisher nur in mittel- und osteuropäische Länder gereist. Die Städte müssen aber nicht unbedingt Hauptstädte sein.”

Die Städtereisen, die funktionieren so: Ohne zu wissen, was sie erwartet, macht sich eine Künstler-Gruppe auf den Weg. In der fremden Stadt arbeiten die Künstler dann eine Woche lang. Das wichtigste ist dabei Spontaneität und Mut zum Experiment. Eva Koťátková ist 2008 aus Neugier mit Cargo nach Bukarest gefahren:

„Mich hat besonders interessiert, dass wir für genau eine Woche dort hinfahren. Ich hatte nichts vorbereitet, was ich dort machen könnte. Ich habe mir gesagt, dass ich mit dem ersten starken Eindruck arbeiten werde, den ich dort sicher bekomme. Wir haben dort Bukarester Künstler kennen gelernt. Besonders einer kam mir interessant vor. Also habe ich entschieden, mit ihm, also mit seiner Person, zu arbeiten.“

Die Künstler auf der Cargo-Reise arbeiten an ungewöhnlichen Orten und begegnen anderen Menschen. Das soll ihnen auch eine neue Sicht auf sich selbst geben. Die drei Kuratoren Ondřej und Jan Horák und Pavel Šterec lassen ihnen zwar fast jeden Freiraum bei der Arbeit. Trotzdem erwartet Pavel Šterec bestimmte Dinge von den Teilnehmern:

„Wichtig ist, dass alle Sachen vor Ort entstehen, dass es kein Export von fertigen künstlerischen Arbeiten ist, die wir einfach einpacken und irgendwo hin zu einer Ausstellung karren. Stattdessen nehmen wir die Künstler mit dorthin. Sie müssen dann nicht unbedingt auf den Ort reagieren, aber ihre Werke müssen vor Ort entstehen.“

Eva Koťátková, die mit Cargo in Bukarest war, hat ganz bewusst entschieden, sich auf etwas völlig Unbekanntes einzulassen. In Bukarest hat sie dann für zwei Tage mit einem Rumänen den Alltag erlebt. Beide schrieben ihre Gefühle und Gedanken über den jeweils anderen in ein Tagebuch auf. Die fremde Sprache war dabei der Dreh- und Angelpunkt:

„Ich habe sozusagen sein Leben gelebt: Er wohnte in Bukarest und war 18 Jahre alt. Wichtig war, dass ich alles auf Tschechisch aufgeschrieben habe und er auf Rumänisch. Das heißt, wir haben den Text des anderen nicht verstanden. Auf der Vernissage mussten wir also irgendwelche Leute bitten, den Text des anderen zu übersetzen. Es entstand eine Art Performance. Ich habe erst auf der Vernissage erfahren, was er eigentlich über mich denkt, was er für Empfindungen hat und anders herum.“

Die Interaktion mit den Einheimischen ist nicht das Hauptziel von Cargo. Dennoch kommt es häufig dazu. In Budapest arbeiteten die tschechischen Künstler in einer leer stehenden Ladenzeile. Ringsherum gab es Fußgängerbrücken, Straßenbahnen und viele neugierige Blicke. Daran erinnert sich Pavel Šterec besonders gern:

„Die stärkste Interaktion gab es in Budapest. An unserem Ort lebten Obdachlose, daneben waren eine Menge Bistros. Das heißt, ein ganzer Haufen verschiedener Leute hat sich mit uns angefreundet, war ständig dabei, hat mit den Künstlern gequatscht. Diese Leute hatten damit natürlich großen Einfluss auf die Arbeiten. Später haben diese Typen auch auf der Vernissage viel Spaß gehabt. Sie haben sich dort ordentlich besoffen. Es war zwar nur eine kurze Zeit, aber die unterschiedlichen Leute sind wirklich zusammengekommen.“

Wenn die Künstler mit Passanten zusammenarbeiten, dann finden das die Kuratoren gut. Anders ist das jedoch mit Künstlern vor Ort.

„Wir haben am Anfang versucht, mit den Künstlern in der jeweiligen Stadt zusammenzuarbeiten. In Budapest zum Beispiel hatten wir Kontakt zu vier ungarischen Künstlern. Aber als Kurator tue ich mich im Ausland schwer. Es ist schwierig, jemanden auszuwählen, wenn man die Szene nicht kennt. Wir haben es versucht und es hat überhaupt nicht funktioniert. Deswegen werden wir das in Zukunft nicht mehr machen“, so Kurator Pavel Šterec.

Er und seine Kollegen müssen bereits in Tschechien die geeigneten Leute für ihr Projekt aussuchen. Mittlerweile weiß Pavel Šterec, wie er die Gruppe zusammenstellt, damit der Kulturtrip für alle Teilnehmer spannend wird:

„Wir nehmen zuerst Künstler, die erfahrener sind. Dazu wählen wir künstlerische Anfänger. Diesen Mix sieht man auch in den künstlerischen Zugängen. Einige arbeiten an einem anderen Ort in der Stadt, als dem, den wir ausgewählt haben. Sie zeigen nachher aber an unserem Ort eine Dokumentation, vielleicht ein Video, das an ihrem Ort entstanden ist. Andere arbeiten eher bildhauerisch und bauen Objekte und Installationen an dem von uns ausgesuchten Platz.“

Die ersten Cargo-Ausflüge gingen nach Budapest und Bratislava, Sofia und Bukarest. Am Anfang hat keiner geahnt, dass aus dem Experiment Cargo die Ausstellungsserie Cargo werden würde. Inzwischen sind die Kuratoren erfahrener und planen Reisen zu ferneren Zielen. Im Sommer verfrachtet Cargo die tschechischen Künstler nach Moskau. Dort könnte ihre Aktion einschlagen wie ein Farbbeutel an einer frisch sanierten Hauswand. Pavel Šterec ist gespannt, was die Künstler mit dem Ort, den er ausgesucht hat, machen werden:

„In Moskau wird unsere Aktion auf einem Markt für kommerzielle Kitschkunst stattfinden, auf so einem Bilder-Basar. Wir haben dort eine Bude angemietet, und vielleicht werden einige Künstler auch Bilder malen. Auf jeden Fall wird sich jeder unserer Künstler jeden Tag mit einem Meer schlechter Kunst konfrontiert sehen. Darin steht dann unser Büdchen. Irgendwie muss das funktionieren. Aber wie genau, dass weiß noch keiner.“

Bleibt zu hoffen, dass keiner der Künstler im Meer der schlechten Kunst ertrinkt. Nach der Moskau-Reise geht Cargo im Herbst dieses Jahres erstmals in den Westen. Jan Horák hat in Paris einen spannenden Ort gefunden. Dort, in der französischen Hauptstadt beschreibt er, welche Bewandtnis es damit hat:

„Für unser Projekt bemühen wir uns zurzeit um die Räume der Bibliothek Mitterand in Paris. Das ist ein gigantisches, überdimensioniertes Gebäude, für eine wirklich wichtige Bibliothek heutzutage eigentlich unpraktisch. Es besteht aus vier Hochhäusern. Die sind untereinander nur auf einer Etage verbunden, im Zwischengeschoss. In diesem Geschoss ist mittlerweile ein grüner Innenhof, eine Art Wald gewachsen. Wir würden die tschechischen Künstler gern zu diesem Wald bringen und sie mit dem Wald schöpferisch tätig werden lassen. Der Raum ist geeignet, weil das Gebäude belebt ist, dort laufen Leute herum. Das Gebäude ist außerdem glasverkleidet, das heißt, es wird genügend Zuschauer geben. Die Zuschauer könnten die Ausstellung dann im Vorbeigehen beobachten.“


Auf der Internet-Seite www.cargocz.org kann man sich informieren, Bilder ansehen und sich für die kommenden Cargo-Trips nach Moskau und Paris bewerben.

Autor: Anita Müller
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