Zwischen Sinnscheiße und Verlierern: Goethe-Institut lud Matthias Schamp nach Ostrau ein

Matthias Schamp (Foto: Ostrau Der Kulturpunkt Festival - německé dny v Ostravě)

Ein Querschnitt durch die deutsche Kinolandschaft mit dem neuesten Film von Tom Tykwer an der Spitze, Plakatausstellungen und Autorenlesungen – das Goethe-Institut Prag zog vergangene Woche mit einem schwergewichtigen Kulturprogramm in den Osten der Republik, nach Ostrava / Ostrau. Eingeladen zu lesen war auch der im Pott gestählte Ausnahmekünstler Matthias Schamp, der mit aufmerksamen Augen die Atmosphäre in der mährisch-schlesischen Bergbaustadt aufsog. Christian Rühmkorf bat Matthias Schamp mit seinen noch frischen Eindrücken vor das Mikrophon.

Matthias Schamp  (Foto: Ostrau Der Kulturpunkt Festival - německé dny v Ostravě)
Matthias Schamp, Sie haben in den 80er Jahren Kunstgeschichte und Philosophie studiert, an der Ruhr-Universität in Bochum. Und heute sind Sie Künstler, Performer, Provokateur, Autor. Wie würden Sie sich selbst, wie würden Sie Ihren Auftrag beschreiben?

„Ich glaube, es gibt zwei verschiedene Arten, warum Leute Künstler sind. Das eine ist vielleicht so das schöpferische Interesse; die andere Motivation kann eher so ein analytisches Interesse sein. Und ich muss für mich persönlich sagen, dass ich so ein analytisches Interesse an der Welt habe. Ich möchte was herausfinden.“

Was möchten Sie gerne herausfinden? Was die Welt im Innersten zusammenhält – die alte Frage?

„Ja, im Grunde. Ich sehe mich weniger als Schöpfer, sondern eher als Forscher, der ein Interesse an der Welt hat. Und dazu gehört natürlich auch die Psychologie von Leuten, dazu gehört die Natur – alles mögliche.“

Sie haben mal eine Zeitschrift herausgegeben, die „Syntaktische Konfusion“ hieß. Sie beschreiben „beständiges Umschalten“ als Ihre Passion. Das Ziel ist es, sich nicht festlegen zu lassen. Warum ist das für Sie so ein Horror, sich festlegen zu lassen?

„Wenn man sich festlegen lässt, dann funktioniert man durch die Rollen, die einem zugeschrieben werden. Das heißt, man verliert eigentlich ein bisschen die Aktivität der Position. Und diesen Zuschreibungen mich zu entziehen, das ist mir eigentlich wichtig.“

Zwei Performances, die Sie gemacht haben, haben mich auf den ersten Blick schon angesprochen. Sie haben in einer Fußgängerzone mit dem Megafon laut alles vorgelesen, was Ihnen sozusagen vor die Augen kam - alle Schriftzüge und zwar in nicht überhörbarer Lautstärke. Wie waren die Reaktionen der Menschen?

„Also ich habe die Aktion mehrfach gemacht. Es ist auch gar nicht so, dass ich das alleine gelesen habe. Es ist eine Aktion von mir, wo ich aber im Grunde mehrere Akteure brauche. Sie heißt ´Schaufensterlesung´. Jeder hat ein T-Shirt an, auf dem vorne und hinten ´Schaufensterlesung´ steht, jeder hat ein Megafon in der Hand, und es wird im Grunde in einem automatischen Leseprozesse das vorgelesen, was da ist - was die anderen Leute auch auf den T-Shirts haben, auf den Plastiktüten, aber natürlich auch die Sprüche, die auf den Fassaden stehen, was in den Schaufenstern zu sehen ist. Und so ein bisschen ist die Idee, das, was an Gewalt auch in diesen Sprüchen steckt - als Produkt-Placement, als Kaufbefehl (eine Wirkung, die natürlich erst mal auf das Unbewusste zielt) - das ganz massiv über die Wahrnehmungsschwelle zu transportieren. Im Grunde ist die Strategie dahinter Hyperaffirmation. Ich verhalte mich eigentlich gar nicht kritisch zum Umfeld, sondern ich verstärke nur das, was an Botschaften da ist. Aber dadurch kippt es plötzlich in sein Gegenteil. Also es wird eben dann plötzlich auch als gewalttätig empfunden. Das ist natürlich so eine Lärmlawine, die ein Mal durch die Stadt rollt. Die wird sehr unterschiedlich wahrgenommen, muss man sagen.“

Das Aufklärerische an dieser Aktion – haben Sie das unmittelbar vielleicht auch an den Reaktionen der Menschen ablesen können?

„Ja, was ich bei der Aktion besonders faszinierend fand – ich habe sie auch mal in der Türkei gemacht. Da konnte ich natürlich nicht selber mitlesen, sondern ich konnte nur mit Akteuren arbeiten, die die Landessprache sprechen. Und die Reaktion war tatsächlich signifikant anders als in Deutschland. Also in Deutschland, würde ich sagen, ist so die Hälfte eher entnervt. Aber hier war es signifikant anders – die Leute waren sehr erfreut. Ich habe dafür eigentlich nur zwei Erklärungen. Die eine ist, dass die Türken tatsächlich ein anderes Verhältnis zum Lärm haben. Und das Zweite ist, glaube ich, noch faszinierender: In der Türkei ist die Stadt noch viel mehr Unterhaltungsmedium, also die Straße. Die Leute sitzen da, schlürfen ihren Cay und gucken Straße wie in Deutschland vielleicht Fernsehen geguckt wird. Und dadurch geben die Leute dem dann einfach auch vielleicht die zwei, drei Minuten mehr, sich das erst mal anzugucken, sich davon unterhalten zu lassen und darüber natürlich auch zu kapieren, was da passiert.“

Wir machen mal einen Sprung zurück von der Türkei nach Tschechien. Sie waren jetzt anlässlich der Deutsch-Tschechischen Kulturtage des Goethe-Instituts in Ostrau / Ostrava und haben dort aus Ihrem Buch „Zärtliche Massaker“ aus dem Jahr 2003 gelesen. Das sind verschiedene Geschichten, und es dreht sich vieles um Verlierer. Was fasziniert Sie so an Verlierern? Waren Sie selbst mal auf dieser Strecke in den 80er Jahren, als sie Kunstgeschichte und Philosophie studiert haben?

(lacht) „Ich meine, jeder hat wahrscheinlich in seinem Leben seine heroischen Momente - und auch seine Niederlagen erlitten. Aber ich glaube eigentlich, dass das Verlieren das universelle Prinzip ist. Einer erringt quasi den ersten Preis, aber die breite Masse kriegt´s dann eben nicht. Die Geschichte der Sieger wird ja eben von den Medien erzählt, oder sie begegnet einem überall. Und ich glaube, dass es für einen Schriftsteller auch von Bedeutung ist, da auch einfach einen Ausgleich zu schaffen.“

Das sind Geschichten aus dem Ruhrgebiet. Das ist auch ein Grund, weshalb Sie so nah an Ostrau / Ostrava dran sind, einer alten Bergbaustadt mit Luftverschmutzung und allem, was dazugehört. Wie haben Sie die Stadt empfunden? Als vertraut, als heimelig?

„Ja, ich glaube, ich habe wirklich innerhalb von kürzester Zeit so wunderbare und eben auch so unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Die Sache mit dem Smog, das ist, glaube ich, so die Außenwahrnehmung – auch wenn Leute ins Ruhrgebiet kommen. Das ist da nicht mehr, das hält sich nur noch hartnäckig im Bewusstsein. Aber es sind wirklich ganz viele Ähnlichkeiten, die mich an Bochum, an das Ruhrgebiet erinnert haben.“

Permanent umschalten, was ja sonst Ihr Programm ist, das mussten Sie da gar nicht großartig?

„Gerade wenn man es vergleicht, stoßen einem natürlich auch wiederum die Differenzen auf.“

Zum Beispiel?

„Ostrava hat auch eine ganz fantastische, lebendige Kneipenmeile. Auch Bochum – die Stadt, in der ich lebe – versucht sich seit auch schon 20 Jahren als Swinging-Bochum zu etablieren. Und ich fand die Kneipenmeile in Ostrava viel spannender. In Bochum ist das mittlerweile doch sehr viel Systemgastronomie. Ähnlich fand ich zum Beispiel auch: Im Ruhrgebiet gab es vor rund zehn Jahren eine sehr fantastische Sache - die IBA Emscher Park, also eine internationale Bauausstellung, die eigentlich versucht hat, das Ruhrgebiet umzukodieren, indem die Sachen, die als Manko empfunden wurden, positiv gewendet wurden. Unter anderem Halden. Es gibt da mittlerweile ein fantastisches Netzwerk von Landmarken: Haldenspitzen sind bekrönt worden mit teilweise ausgezeichneter Kunst. Und ich war gestern in Ostrava, und da ist halt auch eine Halde. Ganz spannend: Die arbeitet noch. Wenn man oben steht, an der Spitze, ist die warm und irgendwo sind Löcher, wo wirklich Rauch aufsteigt. Also irgendwelche Prozesse finden da noch statt. Und sie ist ein fantastischer Aussichtspunkt, von dem man auf die Stadt gucken kann.“

Sie sind unter anderem auch Hörspielautor. In ihrem allerersten Hörspiel aus dem Jahr 2007 geht es um ein besonders wertvolles Material, aus dem alles besteht: Sinnscheiße. Und da haben wir auch schon die Brücke geschaffen zwischen Ostrava und Ihnen, denn es geht um Bergwerksarbeit: Die Sinnscheiße wird gefördert, obwohl die ganze Welt daraus besteht. Was ist das für ein Hörspiel?

„Der Titel ist eben ´Der Aufstand in den Sinnscheiße-Bergwerken´. Und der Held, der Protagonist, Proto genannt, arbeitet in diesen Bergwerken und fördert unter sehr vielen Entbehrungen – Blut, Schweiß und Tränen – aus tiefsten Tiefen dieses Material zutage, aus dem alles gemacht wird, aus dem aber auch die ganze Welt besteht. Und eben zum Eingang dieses Hörspiels trifft er eine Frau, die Tapirschattennäherin, weil sie aus der Sinnscheiße Tapirschatten näht. Und sie stellt ihm die Frage, warum man denn dieses Material unter so vielen Qualen aus den tiefsten Tiefen zutage fördern muss, wo es doch an der Oberfläche des Planeten in rauen Mengen herumliegt, wo man sich nur bücken müsste, um es aufzuheben. Und diese Frage arbeitet in der Folge in ihm und führt dann auch zu gewissen Verwicklungen.“

Matthias Schamp, Künstler, Performer, Provokateur, Augenöffner, Autor – herzlichen Dank für das Gespräch!

„Danke!“