Kunst und Klima: Tschechische Experten untersuchen ukrainische Holzblockkirchen

St.-Nikolaus-Kirche in Nyschnja Apscha

In der West-Ukraine stehen viele historische Holzblockkirchen. Manche von ihnen sind über 500 Jahre alt. Vergangenen Sommer reisten Forscher der Mendel-Universität in Brno / Brünn in die Gegend. In einem tschechisch-ukrainischen Projekt erforschen die Wissenschaftler diese Holzblockkirchen und entlocken dem stummen Holz so manches Geheimnis.

Tomáš Kolář | Foto:  Mendel-Universität in Brno

Etwa 800 Holzblockkirchen stehen in der West-Ukraine. Es sind zum Teil sehr alte Bauwerke. Auf dem ersten Blick wirken die einschiffigen Holzkonstruktionen eher unscheinbar. Abgesehen von den hölzernen Zwiebeltürmen sind sie sehr schlicht gehalten. Und nicht selten ist das Holz aschgrau geworden durch die Verwitterungsprozesse der Jahrhunderte. Es sind Gotteshäuser der griechisch-orthodoxen und der ukrainisch-orthodoxen Kirche. Tomáš Kolář ist Umweltwissenschaftler an der Mendel-Universität in Brünn. Er ist an dem Projekt beteiligt und kennt sich mit den Kirchen aus:

„Die meisten Kirchen sind Holzblockkirchen, das bedeutet, dass die Balken horizontal übereinandergeschichtet wurden. Die Stämme sind von außen vertäfelt, man sieht also nur Bretter. Die Gebäude haben eine sehr besondere Atmosphäre, denn alles besteht aus Holz. Wenn man sich im Inneren befindet, fühlt sich dies sehr ungewohnt an. Das Innere ist reich verziert und bemalt. Die Malereien sind meist sehr bunt und wurden direkt auf das Holz aufgetragen. Das Interieur ist also sehr beeindruckend.“

Holzblockkirche in Uschhorod | Foto: Irena Sochová,  Michal Rybníček

Die Kirchen sind nicht nur wegen ihres schönen Aussehens wertvoll, sondern sie verdienen auch wegen ihrer kulturellen Bedeutung Aufmerksamkeit, so Kolář weiter:

„Sie sind ein wichtiger Bestandteil des ukrainischen Kulturerbes. Aus schriftlichen Quellen wissen wir, dass die ältesten Kirchen dieser Art in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts errichtet wurden. Sie sind wirklich ein bemerkenswertes Beispiel traditioneller Architektur. Im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts begann man dann, Steinkirchen in der Gegend zu bauen, und die alten Gotteshäuser verfielen allmählich. Daher sind nicht alle Holzblockkirchen erhalten.“

Holzblockkirche in Uschhorod | Foto: Irena Sochová,  Michal Rybníček

Die Jahresringe sind der Schlüssel

Nun wecken Kolář und sein Team das geweihte Holz aus seiner seligen Ruhe. Mit modernsten Forschungsmethoden soll den Kirchen ihr Alter entlockt werden. Denn das Holz der Kirchen ist zugleich auch ein Zeitzeuge.

Holzblockkirche in Deschkowytsja | Foto: Irena Sochová,  Michal Rybníček

„Ein Ziel ist, unseren ukrainischen Kollegen neue Informationen über diese historischen Gebäude zu geben. So erfahren sie wann die Kirchen gebaut oder restauriert wurden. Das Hauptziel unserer Forschung ist aber, eine Eichen-Jahresringchronologie zu erstellen. Mit dieser lassen sich dann andere Holzobjekte aus der Gegend datieren. Außerdem sagt uns die Jahresringchronologie viel über das Klima der vergangenen Jahrhunderte. Unsere Forschungsergebnisse finden also auch Anwendung in der Klimatologie“, sagt der Umweltwissenschaftler.

Doch wie schaffen es die Forscher, das Holz der Kirchen zum Sprechen zu bringen? Dafür gibt es einen ganzen Forschungszweig – und zwar die Dendrochronologie. Sie macht sich das Phänomen zu Nutze, dass die Jahresringe eines Baums sein Alter angeben. Doch die Wissenschaftler erkennen in den Jahresringen noch deutlich mehr. So etwa Informationen darüber, ob die Jahre regnerisch oder trocken, kalt oder warm gewesen sind. Mit dieser Methode analysiert Kolář diverse Proben von ukrainischen Kirchen.

Holzblockkirche in Lokiť | Foto: Irena Sochová,  Michal Rybníček

„Zuerst teilen wir die Kirche in Segmente wie etwa Wände, Decken, Dachstuhl und Glockenturm. Als Nächstes wählen wir passende Hölzer aus. Am besten geeignet sind unbesäumte Hölzer. An ihnen ist noch der letzte Jahresring zu erkennen, bevor der Baum gefällt wurde. In manchen Fällen ist sogar die Rinde erhalten. Von jedem Segment entnehmen wir dann fünf Proben. Anhand dieser können wir das Gebäude sehr genau datieren – bis auf das Jahr oder sogar die Jahreszeit. Um die Probe zu erhalten, benutzen wir einen hohlen Bohrer, mit dem wir ein Kernstück von fünf Millimetern Durchmesser herausholen. Die Kerne bringen wir in unser Labor. Nach einer vorsichtigen Vorbereitung der Oberfläche messen wir dort die Breite jedes einzelnen Jahresrings. So entsteht eine Abfolge von Jahresringen. Diese vergleichen wir dann mit unserer Chronologie, um das Alter des Gebäudes zu bestimmen“, erläutert der Experte.

Kolářs Team ist auf Eichenbäume spezialisiert. Daher kommen für seine Forschungsarbeiten auch nur Kirchen infrage, in denen das Holz von Eichen verbaut wurde. Denn wichtig ist der Umstand, dass die Bäume einer Art identische Wachstumsmuster haben.

Holzblockkirche in Swaljawa | Foto: Irena Sochová,  Michal Rybníček

Im Vergleich der Proben wird dann ersichtlich, ob die Bäume zur selben Zeit lebten. Sind genügend Proben aus unterschiedlichen Zeiten verfügbar, kann man die Jahresringe der Bäume aneinanderreihen. Es entsteht eine Jahresringchronologie, auch Jahresringserie genannt, die anzeigt, wie die Eichen über die Jahrhunderte gewachsen sind. Jahresringchronologien können mehrere Jahrtausende umfassen. Die Norddeutsche Eichenkurve beispielsweise reicht bis ins Mesolithikum zurück, also etwa bis 4300 vor Christus. Jede neue Probe lässt sich dann mit der vorliegenden Jahresringchronologie vergleichen und genau zeitlich zuordnen.

Chronologie über das Klima der Vergangenheit

Und Kolář nennt noch weitere Vorteile der dendrochronologischen Forschungsarbeit:

Holzblockkirche in Lokiť | Foto: Irena Sochová,  Michal Rybníček

„Der größte für unsere ukrainischen Kollegen ist, dass sie wissen, wie alt die Kirchen sind. Diese Information ist wichtig, um die Bauten vor dem Verfall zu schützen. Wir verwenden die Daten jedoch besonders für die Klimatologie. Wenn wir in Zukunft eine Jahresringchronologie von guter Qualität besitzen, können wir mit dieser die Klimaveränderungen in der Gegend nachvollziehen.“

Baumstämme sind also wahre Zeitzeugen. In ihnen spiegeln sich die Klimaverhältnisse der Vergangenheit wieder. Doch nun droht akute Gefahr. Jahrhunderte lang trotzten die Holzblockkirchen Sonne und Regen, aber gegen Raketen sind sie nicht gewappnet. Der Krieg in der Ukraine bedroht also das einzigartige Kulturerbe des Landes. Zudem ist es für die Wissenschaftler bis auf Weiteres nicht möglich, in der Ukraine neue Proben zu sammeln. Trotzdem liege das Forschungsprojekt nicht ganz auf Eis, betont der Umweltwissenschaftler:

St.-Nikolaus-Kirche in Serednje Wodjane | Foto: Serhij Wentzeslawskyj,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

„Natürlich beeinflusst der Krieg unser Projekt. Wir wollten eigentlich dieses Jahr in die Ukraine zurückkehren, um weitere Proben von Kirchen und anderen Holzgebäuden zu entnehmen. Wir haben mehrere Hundert Proben gesammelt, die wir jetzt verarbeiten müssen. Aber wie ich bereits sagte, ist unser Ziel eine Eichen-Jahresringchronologie zu erstellen. Das ist eine Sisyphusarbeit, denn die Chronologie kann man immer noch verbessern. Hoffentlich können wir irgendwann wieder weitere Proben entnehmen.“

Außerdem verweist Kolář darauf, dass sich solche Holzkirchen auch in Süd-Polen, der Ost-Slowakei, Süd-Ungarn und im Osten Rumäniens finden lassen. Trotz Krieg wird die Forschergruppe also weiteres Material zur Verfügung haben. Zu hoffen bleibt aber, dass möglichst viele Kirchen in der Ukraine von den Kampfhandlungen verschont bleiben.

Autoren: Julian Faik , Ruth Fraňková
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