Landesgeschichte: droht das Vergessen?

Anschluss des Sudetenlandes 1938 (Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1976-033-20 / CC-BY-SA 3.0)

Was wissen Sie über die sogenannten Achter-Jahre? Das hat die Organisation Post Bellum vor allem junge Tschechen gefragt. Das Ergebnis ist ernüchternd.

Anschluss des Sudetenlandes 1938  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 146-1976-033-20 / CC-BY-SA 3.0)
Supergedenkjahr 2018 – in diesem Jahr wird in Tschechien an die sogenannten Achter-Jahre erinnert, diese waren meist besonders traumatisch für die Tschechen. Im Fokus stehen dabei die Daten 1918, 1938, 1948 und 1968. Wissen aber junge Tschechen tatsächlich, was in diesen Jahren passiert ist? Der Tschechische Rundfunk hat auf den Straßen Prags nachgefragt.

„1918, da sind viele Dinge passiert, aber wichtig ist besonders das Ende des Ersten Weltkriegs und die Gründung der Republik“, sagt eine junge Dame.

„1938 war der Anfang des Zweiten Weltkriegs“, antwortet sie auf die zweite Frage. Eine Freundin korrigiert sie dann aber und erinnert an das Münchner Abkommen.

Machtübernahme der Kommunisten 1948  (Foto: ČT24)
„Ich weiß es nicht“, kommt schließlich als Antwort auf die Frage nach der kommunistischen Machtübernahme 1948.

Ganz genau wollte es die Organisation Post Bellum wissen, diese sammelt normalerweise Erinnerungen von Zeitzeugen. Der Verein hat eine Umfrage zu dem Thema in Auftrag gegeben. Das Ergebnis war in der Kategorie der 18- bis 24-Jährigen eher ernüchternd. Zwar wissen 72 Prozent der Befragten, dass 1918 die Erste Tschechoslowakische Republik gegründet wurde, und 54 Prozent kennen die Ereignisse um den Prager Frühling 1968. Doch nur für 51 Prozent ist die Machtübernahme der Kommunisten 1948 ein Begriff. Ganz schlimm ist es aber mit dem Münchner Abkommen 1938, da kennen nur 42 Prozent der befragten Jugendlichen die Hintergründe. Mikuláš Kroupa leitet Post Bellum:

Mikuláš Kroupa  (Foto: Jana Kudláčková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Das Jahr 1938 ist meiner Meinung nach gerade deshalb in Vergessenheit geraten, weil es nicht den Beginn des Zweiten Weltkriegs markiert.“

Post Bellum interessierte sich jedoch nicht nur dafür, was oder wie viel die jungen Tschechen über ihre Geschichte wissen. Gefragt wurde auch danach, woher sie ihr Wissen haben – und als größte Quelle stellten sich neben der Schule die Eltern und Verwandten heraus. Das berge aber auch ein Problem, wie Mikuláš Kroupa erklärt:

„Es zeigt sich, dass Eltern mit ihren Kindern nur über die Ereignisse sprechen wollen, die sie auch erlebt haben. Das sind das Jahr 1968 und die Samtene Revolution im Jahr 1989.“

Auch deshalb seien das Münchner Abkommen und die nationalsozialistische Besetzung der Tschechoslowakei in den Hintergrund getreten und die Niederschlagung des Prager Frühlings zum weitaus größeren Trauma geworden, meint Mikuláš Kroupa:

August 1968 | Foto: Tschechischer Rundfunk
„Das hat viel damit zu tun, dass die Eltern mit ihren Kinder darüber sprechen. Deshalb wird auch die Niederschlagung des Prager Frühlings als der negativste Moment in der tschechischen Geschichte wahrgenommen. Viel negativer sogar als die Entstehung des Protektorats Böhmen und Mähren.“

An der repräsentativen Umfrage nahmen knapp über 1000 Befragte teil, und das nicht nur aus der Altersgruppe 18 bis 24 Jahre. Durchgeführt wurde das Ganze vom Meinungsforschungsinstitut NMS Market Research. Betrachtet man die Gesamtbevölkerung, schaut es mit den Kenntnissen über die Achter-Jahre nicht mehr ganz so schlecht aus. Der Demoskop Kamil Kunc macht dabei aber auf einen interessanten Zusammenhang aufmerksam:

„Wie sehr man sich in der Geschichte auskennt, hat viel mit der Bildung und dem Einkommen in der Familie zu tun. Je geringer der Bildungsgrad ist, desto weniger Geld fließt auch in die Familienkasse. Und gerade in diesen Schichten sind die Kenntnisse über bestimmte Ereignisse deutlich geringer.“