„Laufen“ von Jean Echenoz – Eine Hommage an die Sportlerlegende Emil Zátopek
Vor genau drei Monaten haben wir die Rubrik Buch.cz eingeführt. Jeden ersten Donnerstag im Monat erhalten Sie hier Lesetipps. Wir stellen Ihnen Bücher aus oder über Tschechien vor. In der vierten Ausgabe von Buch.cz stellen wir Ihnen wieder ein Buch über Tschechien vor: „Laufen“ von Jean Echenoz.
„Jean Echenoz ist Franzose. Und er ist nicht irgendwer, sondern immerhin der Träger des begehrtesten, französischen Literaturpreises Prix Goncourt. Den Preis erhielt Echenoz 1999 für sein Werk ‚Ich gehe jetzt’. 2008 hat Echenoz seine Schritte beschleunigt und ‚Laufen’ geschrieben. 2009 erschien es in deutscher Übersetzung.“
Unter dem Titel „Laufen“ kann man sich alles und nichts vorstellen. Worum geht es in „Laufen“? Und vor allem: Was hat das Buch mit Tschechien zu tun?
„‚Laufen’ ist eine Biographie des legendären Langstreckenläufers Emil Zátopek, des wahrscheinlich besten Leichtathleten, den Tschechien je hatte. Das besondere an Echenoz’ Buch ist, dass es in Romanform geschrieben ist. Es erweckt den Anschein der Fiktion. Aber alles darin basiert auf Fakten. ‚Laufen’ ist deshalb nicht nur eine Biographie sondern auch eine Hommage an Zátopek.“
Warum gerade Zátopek? Hat Echenoz irgendein besonderes Faible für ihn?„Ich gehe davon aus, denn sonst hätte er ihn nicht als Hauptfigur eines Romans ausgewählt. Echenoz schreibt über Zátopek wie über einen Nachbarsjungen. Er nennt ihn öfters ‚unser Emil’. Das hat mich anfangs etwas irritiert. Aber die Geschichte von Emil Zátopek ist an sich schon fast hollywoodreif. Es ist die Geschichte eines Underdogs, der eigentlich gegen seinen Willen zum Sport gekommen ist. Zátopek musste Ende der 1930er Jahre in Zlín bei einem firmeninternen Wettbewerb der Bata-Schuhfabrik laufen, wo er Lehrling war. Dabei wird sein Talent als Läufer entdeckt. In den 50er Jahren ist Emil Zátopek der weltbeste Langstreckenläufer und galt als unschlagbar. Und das trotz seines eigenwilligen Laufstils, den Echenoz sehr blumig beschreibt.“
Kannst du eine Kostprobe geben?
„Gerne. Hier also ein kurzes Zitat:
Fern allen theoretischen Vorgaben, fern jedem Gedanken an so etwas wie Eleganz, kämpft Emil sich voran, schwer, zerquält, gemartert, ruckartig. Seine Züge sind entstellt, wie von einem grässlichen Leid zerrissen, stoßweise schnellt die Zunge hervor, als säßen in seinen beiden Schuhen Skorpione. Er wirkt abwesend beim Laufen, auf schreckliche Weise woanders, so konzentriert, dass er nicht da ist, dabei ist er mehr da als sonst wer, und sein Kopf, zwischen die Schultern gezwängt, den Hals immer zur selben Seite geneigt, schaukelt unablässig, baumelt und schlenkert von rechts nach links.
Mit diesem Stil wurde Emil Zátopek in den 1950er Jahren mehrfacher Olympiasieger und Weltmeister auf fast allen Langstrecken.
„Ja, aber es steckte dahinter auch extrem hartes Training und eine ausgetüftelte Taktik. Zátopek gilt zum Beispiel als der Erfinder des Endspurts.“
Mit Echenoz’ Buch von kommen also vor allem Sportfans auf ihre Kosten?
„Die ganz bestimmt, aber nicht nur die. Die Geschichte ist eingebettet in zwei historische Ereignisse, den Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowakei 1939 und den Prager Frühling 1968. Besonders der Prager Frühling bedeutete für Emil Zátopek einen Wendepunkt. Er unterstützte aktiv die Reformbemühungen von Alexander Dubček und musste dafür später jahrelang in Uranminen schuften oder als Müllmann arbeiten. So gewinnt die Geschichte – und damit auch Echenoz’ – Buch eine tragische politische Komponente.“
Wie lautet also dein Fazit? Lohnt sich das Buch?
„Ja. Wie gesagt: Alleine Zátopeks Geschichte bietet schon Dramatik genug. Und Jean Echenoz nähert sich seinem Helden sehr einfühlsam aber ohne falsches Pathos. ‚Laufen’ ist ein relativ dünnes Buch, hat 125 Seiten und lässt sich gut an einem, höchstens zwei entspannten Nachmittagen lesen.“
- - - „Laufen“ von Jean Echenoz Erschienen 2009 im Berlin Verlag Preis: 18 Euro. ISBN 978-3-8270-0863-3