Lebensgefährlich: Radfahren in Prag
Vergangene Woche hat sich erneut auf tragische Weise bestätigt, was für Vorkämpfer einer sicheren Verkehrspolitik seit Jahren traurige Gewissheit ist: Radfahren in Prag ist im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich.
Die Kreuzung Dukelskych hrdinu/ nabrezi Kapitana Jarose am Fuße der Letna im siebten Prager Stadtbezirk - wie auf eine Schnellstraße biegt ein PKW nach dem anderen auf die Uferstraße an der Moldau, die in unmittelbarer Nähe des Prager Stadtzentrums auf der gegenüberliegenden Flussseite verläuft. Für eventuelle Fußgänger oder Radler haben die meisten Autofahrer hier keinen Blick. Viele Jahre lang hat Jan Bouchal den Prager Magistrat auf diese Gefahr hingewiesen und aufgefordert, die Kreuzung so umzubauen, dass nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmer weniger gefährdet sind. Ohne Erfolg. Am 6. Januar wurde Jan Bouchal auf dem Fahrrad an genau dieser Kreuzung von einem Auto erfasst und starb eine Woche später an den tödlichen Verletzungen. Er lässt eine Frau und einen dreijährigen Sohn zurück. Jan Bouchal war einer der engagiertesten Verfechter für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und für eine bessere Fahrrad-Infrastruktur - zwei Visionen, die noch meilenweit vom Ist-Zustand in Prag entfernt sind. Daniel Mourek, verantwortlich für das Projekt Greenways - Radwege in Prag und anderen Regionen - bei der Stiftung Partnerstvi (Partnerschaft) und ein guter Kollege von Jan Bouchal:
"Ich persönlich hab permanent Angst, jetzt besonders nachdem was Jan Bouchal passiert ist. Man muss ständig befürchten, dass jede Sekunde etwas passieren kann und dass man sich dagegen nicht wehren kann. Viele meiner Kollegen haben eine ähnliche Erfahrung, die wollen Prag verlassen, weil sie sich nicht wohl fühlen, auch nicht mit den Kindern. Und damit muss die Stadtverwaltung etwas tun - und zwar längerfristig."
Daniel Mourek ist selbst auf verschiedenen Ebenen in der Prager Lokalpolitik aktiv. Seine Erfahrung ist, dass sich Veränderungen in der Verkehrsinfrastruktur nur äußerst schleppend erreichen lassen, auch wenn sie vielfach dringend geboten wären:
i"Vor einem knappen halben Jahr haben wir einen ähnlichen Fall in Prag 4 gehabt, ein Radfahrer wurde getötet. Und erst jetzt sollen dort Verkehrsampeln installiert werden. Aber es dauert einfach viel zu lange, es dauert fast ein Jahr, bis dort etwas passiert, dass sich etwas ändert."
Daniel Mourek ist in einer Kleinstadt an der Elbe aufgewachsen, für deren Bewohner Radfahren zum Alltag gehört. Als er mit 18 nach Prag umzog, konnte er nicht begreifen, dass die Menschen hier das Rad so selten nutzen. Ähnlich ging es Stephan von Pohl, einem Deutsch-Amerikaner, der seit vier Jahren in Prag lebt und hier für das internationale world carfree network arbeitet:
"Als ich nach Prag gekommen bin, hab ich mir sofort ein Fahrrad gekauft. Denn ich war gewöhnt, Fahrrad zu fahren. Und viele meiner Freunde und Bekannte haben gesagt: Spinnst du, hier fährt man doch kein Fahrrad. Es existiert in Prag keine Fahrradkultur."Zwar zählt Radfahren zu den liebsten Freizeitbeschäftigungen der Tschechen, doch als tägliches Verkehrsmittel nutzen es nur etwa zwei Prozent der Prager - wesentlich weniger also als in anderen europäischen Großstädten. Daniel Mourek:
"Viele Leute haben den Eindruck, dass Radfahrer und Fußgänger einfach von der Straße weg müssen und dass der Raum völlig den Autos gehört. Das sagen z.B. auch meine Eltern."
Radfahren stärker im Bewusstsein der Prager zu verankern und zur selbstverständlichen Erscheinung im Straßenverkehr zu machen, war eines der Hauptanliegen von Jan Bouchal, der dafür vergangene Woche mit dem Leben bezahlen musste. Durch das Projekt Automat wollte er gemeinsam mit Daniel Mourek und Petra Kolinska den Tschechen ihre große Abhängigkeit vom Auto ins Bewusstsein rufen - auch die tschechische Wirtschaft basiert ja in hohem Maße auf der Autoproduktion - und zu einem überlegteren Umgang mit dem Auto aufrufen. Da andererseits aber in Prag zum Radfahren nahezu jegliche Infrastruktur fehle, sei dieser Appell einem Teufelskreis gleichgekommen, so Petra Kolinska:
"Es gibt wenig Radfahrer und das bedeutet auch wenig Druck auf die Stadtverwaltung, Radwege zu bauen. Und wenig Radfahrer gibt es wiederum deswegen, weil es keine entsprechende Infrastruktur gibt. Ich denke, der Hauptgrund, warum es bislang nicht gelingt, ihn zu durchbrechen, ist der, dass unsere Politiker immer noch beteuern, dass Autofahren in der Stadt ein natürliches Fortbewegungsmittel ist und sich nicht bemühen, die Bürger zu einem bedachteren Umgang mit dem Auto anzuspornen. Unsere Gesellschaft befindet sich immer noch in einer Phase, wo sich Prestige und Reichtum im Besitz eines Autos ausdrücken. Ich sehe darin in erster Linie mangelnden politischen Willen."
Sichtbarster Ausdruck dieses mangelnden Willens sei eine völlig verfehlte Verkehrspolitik in Prag, meint Daniel Mourek:
"Die Politiker haben einfach Angst, Maßnahmen durchzuführen, die im Moment bei den Bürgern nicht populär sind. Langfristig wird sich das sicherlich auszahlen. Wien verdient pro Jahr 50 Millionen Euro durch Parkgebühren. In Prag hingegen wird für's Parken nur im Stadtzentrum, in Prag 1, bezahlt. Aber sonst, in den nahe am Zentrum gelegenen Bezirken, ist es kostenlos. Das gibt es in fast keiner anderen Stadt Westeuropas. Das motiviert die Leute einfach Auto zu fahren."
Dass Autofahren in Tschechien vielfach auch gleichbedeutend mit tödlichen Unfällen ist, sieht Daniel Mourek in einer generellen Rücksichtslosigkeit begründet:
"Für mich ist das Problem, dass die Leute einfach viel zu wenig auf das wohl von den anderen achten - im allgemeinen in der Gesellschaft, wie sich die Menschen einander gegenüber verhalten. Das ist immer noch ein großes Problem im Vergleich zu anderen Ländern, nicht nur westlich von unseren Grenzen. Das ist meine Erfahrung. Und das spiegelt sich natürlich auch auf der Straße wider."
Unterstützt werden die Tschechen dabei aus vollen Kräften von den Politikern ihres Landes. Denn auch bei ihnen herrsche weitgehend Konsens in dieser Frage, beobachtet der Deutsch-Amerikaner Stephan Pohl vom world carfree network:
"Wir wollen den den Autoverkehr nicht einschränken, denn Auto ist Freiheit und irgendwelche Maßnahmen dagegen zu ergreifen, das wäre kommunistisch - das hat z.B. mal ein Politiker von der ODS in einer öffentlichen Diskussion über Autoverkehr in Prag gesagt."
Die Hoffnung, dass Radfahrer in Prag irgendwann einmal von Lebensqualität sprechen können, geben Stephan von Pohl, Daniel Mourek und Petra Kolinska trotz des schweren Verlusts, den der Tod ihres Freundes und Kollegen für sie bedeutet, nicht auf. Im Gegenteil - dass es sich bei Jan Bouchal im Gegensatz zu vielen anderen Opfern nicht um ein namenloses Opfer handelte, gibt Anlass zur Hoffnung:
"Das ist für uns ein Antrieb, noch viel aktiver zu werden, um die Bedingungen für Fußgänger und Radfahrer zu verbessern. Ganz sicherlich werden wir jetzt nicht die Räder zuhause stehen lassen, weil wir Angst auf der Straße haben. Fahrräder gehören in die Stadt und wir wollen noch mehr darauf hinarbeiten, dass die Stadtverwaltung gefährliche Straßen sicherer gestaltet und sich verantwortlich fühlt für die Situation."
Und das bedeute zunächst einmal umgehende Veränderungen an der Kreuzung Dukelskych hrdinu/ nabrezi Kapitana Jarose, so Daniel Mourek:
"Wir möchten besonders an der Kreuzung, wo der Unfall passiert ist, konkrete Schritte sehen, wie diese Kreuzung geändert wird, dass es nie mehr zu solchen Unfällen kommen kann."