Liebes Christkind, zu Weihnachten wünsche ich mir...

Ruhe und Friedlichkeit, Fröhlichkeit, Familientreffen, feierlicher Gottesdienst, Tannenbaum, Weihnachtslieder... Kaum kann man sich das Weihnachtsfest ohne diese Attribute vorstellen? Doch - so muss man wohl leider bemerken - vor allen diesen Dingen kommen in unserer Zeit die Weihnachtsgeschenke. Man findet sie - landesspezifisch - entweder unter dem Weihnachtsbaum, im Strumpf oder aber etwa im Kamin. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass wir etwas gegen die Bescherung hätten: an sich selbst ist es natürlich eine schöne Gewohnheit, die Liebe zu nahe stehenden Personen durch ein Geschenk zum Ausdruck zu bringen, nur sollte gerade dieser Aspekt den eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes nicht verdrängen. Die Bescherung des Jesuskindes in Bethlehem, von der die Bibel erzählt, die Gaben für die Dienstleute in der früheren Geschichte, später dann Geschenke für Kinder und schließlich die allgemeine Schenkwut von heute. Schauen wir nun gemeinsam, wie sich die Tradition der Weihnachtsbeschenkung entwickelt hat und wodurch sie in den tschechischen Ländern geprägt wurde. Am Mikrophon begrüßen Sie zu unserem Weihnachtsprogramm jetzt Markéta Maurová und Silja Schultheis.

"In diesem Jahr haben angeblich die Weihnachtseinkäufe einmal nicht "alle Rekorde" gebrochen, weil "Konsumrausch" und "Schenkwut" nur im gewohnten Rahmen geblieben sein sollen, weil einige Branchen sogar ein paar Prozente "minus" melden mussten. Woher das Erstaunen? Die Erklärung ist so einfach wie die Nationalökonomie an und für sich. Die Leute, die genug Geld haben, haben keinen Platz mehr. Die Leute, die noch Platz haben, haben zu wenig Geld. Von der dritten Gruppe derer, die weder Platz noch Geld haben, sprechen wir nicht, sie sind für die Bilanzen des Christfestes nicht so relevant."

Auch auf diese Weise kann man - so wie es der österreichische Autor Werner Schneyder in seiner Erzählung "Theorie des Weihnachtsgeschäfts" getan hat, Weihnachten bilanzieren. Auch wir möchten nun über Weihnachtsgeschenke erzählen: nur aus einer anderen Perspektive. Die Wurzeln dieser Sitte liegen tief in der Vergangenheit. Die Bescherung sah damals allerdings ein bisschen anders als heute aus. Dies bestätigt auch die Ethnographin Ilona Vojancova:

"Wir müssen dies mit andern Augen sehen, als es heute üblich ist. Solche Geschenke, an die wir gewöhnt sind und die wir unter dem Weihnachtsbaum finden, sind eine junge Angelegenheit. Die Tradition solcher Geschenke geht nur etwa in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück."

Die Bescherung gehörte jedoch seit jeher zu Weihnachten. In früheren Zeiten bekamen Dienstleute und Gesindel Geschenke - Bekleidung, Essen und kleinere Geldsummen. Beschenkt wurden auch Landstreicher und Bettler, die am Christfest reiche Haushalte besuchten und beglückwünschten. Erwähnungen über diese Gewohnheit finden wir bereits im Mittelalter - wie etwa in der "Abhandlung über den Heiligabend", einem Werk des gelehrten Benediktinermönches Jan von Holesov vom Ende des 14. Jahrhunderts. Man pflege nicht zehn, sondern tausend Bräuche an diesem Festtag, schreibt der böhmische Benediktiner. Unter den sieben beliebtesten nennt er dann Freigebigkeit, Gastfreundschaft und gegenseitige Bescherung. Der Mönch kritisierte aber gleichzeitig die Doppelzüngigkeit der Geschenke: nicht immer waren sie Äußerung der Freude, Liebe und Freundlichkeit. Dahinter stehe noch etwas anderes: Man glaubte nämlich, selber arm zu werden, wenn man am Heiligabend niemand anders beschenkte.

Im Laufe der Geschichte entwickelte sich der Brauch, Kinder zu bescheren. Erst im 19. Jahrhundert wurde er jedoch zum festen Bestandteil des Weihnachtsfestes. Auch in den ärmsten Familien fanden die Kleinen am Heiligen Abend etwas Kleines und Nettes vor. Man darf sich darunter jedoch nicht die Haufen bunter Pakete in Seidenpapier und mit glitzernden Schleifen vorstellen, die heutzutage unter den Tannenbaum gelegt werden.

"Unsere Ahnen waren bescheidener, und auch ihre Feste sahen ein bisschen anders aus als unsere heute. Bereits die Tatsache, dass sich die ganze Familie am Heiligen Abend an einem festlich gedeckten Tisch zusammen setzte, betrachteten sie als Gabe und Bescherung. Das Treiben ließ nach und es gab genug Zeit zu erzählen und Weihnachtsbräuche zu pflegen. Unsere Ahnen versuchten dabei, in die Zukunft zu schauen, die Bräuche dienten aber natürlich auch zur Vergnügung aller Beteiligten. Das eigentliche Geschenk war das feierliche Abendessen, das reicher als das alltägliche war."

Doch Kleinigkeiten wurden schon damals verschenkt:

"Ein Geschenk für die Kinder war etwa eine Handvoll Dörrobst, Nüsse, oder verschiedene kleine Bauten aus Obst - z.B. Häuschen oder Türmchen - die ihre Eltern oder älteren Geschwister für sie machten. Diese Geschenke hatten zauberhafte Namen: sie hießen etwa "Die Welt", "Der Igel", "Der Garten". Und jedes Geschenk trug, dem Namen entsprechend, seine eigene Bedeutung."

Ein poetisches Zeugnis darüber, wie der Heiligabend in Böhmen im 19. Jahrhundert aussah, hat uns die Schriftstellerin Bozena Nemcova in ihrem berühmtesten Buch "Die Großmutter" hinterlassen. Wir möchten Ihnen einen kleinen Auszug daraus vorlesen:

"Am Heiligen Abend wurde jeder reich beschenkt, selbst das Geflügel und das Vieh bekamen ihren Weihnachtsstollen, und nach dem Abendessen nahm die Großmutter je ein Stück von allen Speisen, die auf den Tisch gekommen waren, warf die Hälfte davon in den Bach, damit das Wasser rein und gesund bleibe, die andere Hälfte aber vergrub sie im Garten unter einem Baum, damit die Erde fruchtbar sei. Alle Brosamen sammelte sie sorgfältig und warf sie ins Feuer, "damit es keinen Schaden anrichte"."

Mit der Zeit vermehrten sich die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Der Vater fand dort meistens eine Pfeife, Hosenträger oder Pantoffeln, die Mutter wiederum Stoff für ein neues Kleid. Auf die jungen Mädchen warteten Tücher oder Bettwäsche für ihre Brautaussteuer, und Knaben freuten sich an einer neuen Hose oder neuen Zinnsoldaten. Bücher waren eine Kostbarkeit, ebenso wie Südfrüchte. Aber auch ganz spezifische Geschenke konnte man am Heiligabend finden: in den Prager Familien, in denen eine Hochzeit bevorstand, war es bis zum Ersten Weltkrieg Sitte, Eheringe unter den Weihnachtsbaum zu legen. Die Brautleute durften sich in dieser gesegneten Zeit zum ersten Mal öffentlich küssen. Die wertvollste Weihnachtsgabe sollte für sie ihr glückliches gemeinsames Leben werden.

Pere Noel in Frankreich, Santa Claus in Amerika, Sinter Klaas in den Niederlanden oder aber der Weihnachtsmann in Deutschland. Überall in der Welt freuen sich kleine Kinder auf die Ankunft eines mysteriösen Wesens, das sie beschenkt. Bei uns spielt kein Greis mit langem Bart und einer roten Mütze, sondern ein Kind diese Rolle: das Christkind - auf Tschechisch der Jezisek. Der Ursprung dieses guten Weihnachtsgeistes geht in die Reformationszeit zurück. Wir verdanken ihn eigentlich dem deutschen Kirchenreformator Martin Luther, der sich bemühte, den Kult des populären Heiligen, des St. Nikolaus zu verdrängen. Im Unterschied zu einigen anderen Ländern Europas, bringt das Christkind bereits am Vorabend der Geburt Christi, am 24. Dezember, seine Geschenke. Bereits Anfang Dezember schicken die Kinder einen Brief an das Christkind und dann warten sie, ob ihre darin beschriebenen Wünsche erfüllt werden. Die Einkunft des Christkinds wird selbstverständlich von großer Spannung und einer geheimnisvollen Atmosphäre begleitet. So wie es auch Bozena Nemcova in einer literarischen Erinnerung an ihre Kindheit geschildert hat:

"Die kleineren Kinder stellten sich zum Fenster, da sie meinten, das Christkind müsse draußen vorbeikommen; da würden sie es sehen. "Wisst ihr denn nicht, dass das Christkind weder zu sehen noch zu hören ist?" sagte die Großmutter. "Es sitzt im Himmel auf einem lichten Thron und sendet den braven Kindern seine Gaben durch die Engel, die sie auf goldenen Wolken zur Erde bringen. Ihr könnt nichts anderes hören als das Klingen von Glöckchen." Die Kinder schauten zum Fenster hinaus und lauschten andächtig den Worten der Großmutter. Da huschte an den Fenstern ein heller Lichtstrahl vorbei, und von draußen ertönte der Klang eines Glöckleins. Die Kinder falteten die Hände... Da trat auch schon die Mutter ins Zimmer und sagte zu den Kindern, das Christkind habe seine Gaben in Großmutters Stube gebracht. War das ein Rennen, war das eine Freude, als sie den strahlenden, geschmückten Christbaum und darunter die schönen Geschenke sahen!"