„Mein Vater stand auf der Liste“ - die Prager Wurzeln von Michael Kunze

Michael Kunze (Foto: Archiv NDR)

Michael Kunze ist ein deutscher Liedertexter, Librettist und Schriftsteller. Er hat für viele deutsche und internationale Pop- und Schlagerstars Hits geschrieben – von Peter Maffay über Juliane Werding bis zu Karel Gott. Darüber hinaus hat Kunze die bekanntesten englischsprachigen Musicals ins Deutsche übersetzt und auch eigene Musicals kreiert. Für sein Werk hat der Künstler viele bedeutende Preise erhalten. Was aber vielleicht nicht so bekannt ist: Michael Kunze hat durch seine Eltern eine tiefe Beziehung zu Tschechien.

Michael Kunze  (Foto: Archiv NDR)
Herr Kunze, lassen Sie uns vor allem über Ihre familiären Wurzeln sprechen, denn Sie sind 1943 in Prag geboren. Ihr Vater war Journalist beim Prager Tagblatt und Ihre Mutter Schauspielerin. Wie hat Ihr Vater die tschechisch-deutschen Spannungen in den 1930er Jahren wahrgenommen? Hat er Ihnen später davon erzählt?

„Ja, er hat natürlich davon erzählt. Schon als Schüler - oder eigentlich Abiturient - ist er der KPTsch (Kommunistische Partei der Tschechoslowakei, Anm. d. Red.) beigetreten und hatte sich auch einer Gruppe angeschlossen, die sich ‚Die Antifaschisten‘ nannte. Das war aber schon vor 1933. Er ist dann erst nach Prag gegangen, nachdem er von der Provinz aus Artikel nach Prag geschickt hatte. Die Beiträge waren, soviel ich weiß, für die Zeitung der kommunistischen Partei, Rote Fahne, bestimmt. Von da ist mein Vater dann zum Feuilleton des Prager Tagblatts gekommen.“

Ihr Vater war also Kommunist…

Bürgerkrieg in Spanien  (Foto: Michail Koltsow,  Free Domain)
„Ja. Er war ein sehr idealistischer junger Mann, der vor allem gegen die Entwicklung des Faschismus war. Er war auch bereits gegen die Ereignisse in Spanien (gegen den Bürgerkrieg in Spanien 1936 bis 1939, Anm. d. Red.) und wollte sogar als Kämpfer dort hingehen, soweit ich weiß.“

Die Kommunisten waren Gegner Hitlers. War Ihre Familie dann später von den Nationalsozialisten verfolgt?

„Ja, genau. Das war das Problem für meine Mutter, die beim Prager Rundfunk in der deutschen Sendung arbeitete. Da hat sie Lieder gesungen, Gedichte vorgetragen und war dort als Sprecherin. Sie hat auch in einem Haus, das Urania hieß, Lieder gegen die Nazis gesungen - kabarettistische Lieder, würde ich sagen, Berthold Brecht Lieder und solche Sachen. Als die Nazis nach Prag kamen (1939 – Anm. der Red.) wurde dies natürlich zu einem Problem. Sie versuchten, diese Leute zu finden. Mein Vater war offensichtlich auch auf der Liste. Er hatte Jura studiert und darin auch promoviert. Er arbeitete, weil er eben zweisprachig war, bei der Prager Stadtverwaltung, in der ansonsten eigentlich nur Tschechen waren - wie meine Mutter auch. Mein Vater wurde aber von dem von den Deutschen eingesetzten Bürgermeister Josef Pfitzner gewarnt. Dieser sagte meinem Vater, dass er verschwinden solle und dass die einzige Möglichkeit, von der Gestapo nicht erwischt zu werden, zur Wehrmacht zu gehen sei. Es war auch tatsächlich so. Er meldete sich also zur Wehrmacht und wurde zur Ausbildung nach Norddeutschland. In diesem Moment wurde meine Mutter von der Gestapo verhaftet und drei Tage lang verhört, weil sie offenbar nicht an meinen Vater herankonnte. Die Wehrmacht hat ihre Soldaten nicht verhören lassen.“

Prag 1943
1943 sind Sie dann zur Welt gekommen…

„Als mein Vater kriegsverletzt war, wurde er in einem Lazarett in Graz behandelt. Meine Mutter fuhr dort hin, um ihn zu besuchen - und da wurde ich gezeugt. Im Herbst 1943 wurde ich in einer Prager Klinik geboren.“

Trotzdem mussten sie nach dem Krieg die Tschechoslowakei verlassen. War es für Ihre Eltern als Antifaschisten nicht möglich zu bleiben?

Wehrmacht
„Das war etwas, was sie sich gar nicht hatten vorstellen können, dass sie Prag verlassen müssten. Sie hatten ja das Gefühl, sie seien solidarisch mit den Befreiern und Befreiten. Das Problem aber war, dass mein Vater in der Wehrmacht war. Meine Mutter hätte ohne weiteres in Prag bleiben können, aber sie hätte ihren Mann nicht mehr treffen können. Deswegen gab es keine andere Möglichkeit, als dass sie auch ausreiste.“

Wie verlief diese Ausreise und inwieweit war der neue Anfang in Deutschland schwierig?

Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei  (Foto: Bundesarchiv)
„Das muss extrem schwierig gewesen sein. Sie hatten niemanden in Deutschland. Sie wussten ja überhaupt nicht wohin. Meine Mutter hat sich an die Eltern meines Vaters gewandt. Der so genannte Hauptmann Kunze war mein Großvater, er war noch österreichischer k.u.k. Offizier gewesen und hat sich dann nach dem Ende des ersten Weltkriegs entschieden, tschechoslowakischer Offizier zu werden. Er wurde dann pensioniert, aber er musste die Tschechoslowakei verlassen, weil er Deutscher war und alle Sudetendeutschen ausgewiesen wurden. Sie mussten innerhalb 24 Stunden mit einem einzigen Koffer das Land verlassen. Meine Eltern haben es nie als eine Ungerechtigkeit der Tschechen empfunden, sie haben das als Folge der Nazipolitik verstanden. Ich hatte also nie das Gefühl, dass wir zu Unrecht vertrieben wurden. Wir hatten auch nie irgendwie Sympathie für die sudetendeutschen Verbände. Aber ich wollte noch erwähnen, dass meine Mutter und die Großeltern mit den Kindern zu Fuß über Dresden bis in den Schwarzwald gelangt sind. In den Schwarzwald sind sie deshalb gelaufen, weil ein Bruder meines Vaters, der im Krieg gefallen war, eine Frau in Deutschland geheiratet hatte. Das war die einzige Adresse, die sie überhaupt hatten. Diese unbekannte Schwägerin nahm sie dann auf und sie waren eine Woche in ihrer Haus in Schwarzwald, als mein Vater vor der Tür stand, der nach seiner kurzen Kriegsgefangenschaft auch kein anderes Ziel wusste, denn er konnte ja nicht nach Prag zurück.“

Foto: Dmitry Poliansky,  Free Images
Wie hat ihr Vater als überzeugter Kommunist der Vorkriegszeit eigentlich die Entwicklung der Tschechoslowakei nach 1948 beurteilt, also das kommunistische Regime?

„Ich muss sagen, dass sich mein Vater nach dem Krieg schnell davon gelöst hat. Nach dem Krieg hatte er zwar in der französischen Besatzungszone auch mit den Kommunisten zu tun, weil er für ein kommunistisches Blatt geschrieben hat und dort hat er einen Brandartikel gegen Stalin veröffentlicht. Doch danach wurde er mit Schimpf und Schande aus der kommunistischen Partei ausgestoßen. Er hatte es aber auch schwer als Journalist in Westdeutschland, weil er weiterhin als Kommunist galt. Bei den Zeitungen gab es große Vorbehalte, ehemalige Kommunisten einzustellen.“

Karel Svoboda  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Lassen Sie uns jetzt ein paar Jahre überspringen. Als bekannter Liedertexter konnten sie die Kontakte mit der Tschechoslowakei wieder anknüpfen, und zwar durch Karel Gott, mit dem Sie bis heute zusammenarbeiten. Wie begann Ihre Zusammenarbeit?

„Eigentlich damit, dass ich in Deutschland schon relativ bekannt war und Karel jemanden gesucht hat, mit dem er gerne zusammenarbeitet und der ihm Texte schreibt, die man singen kann und nicht ganz so dumm wie andere Schlagertexte sind. Daraus hat sich sehr bald nicht nur eine berufliche Zusammenarbeit, sondern auch eine Freundschaft entwickelt. Ich war ja auch eng befreundet mit Karel Svoboda (Komponist, 2007 gestorben, Anm. d. Red.), der einer meiner engsten Freunde wurde und ich dachte manchmal, wenn ich in Prag aufgewachsen und denselben Weg gegangen wäre, hätte ich sicher mit Karel zusammenarbeitet.“

Karel Gott  (Foto: Sven-Sebastian Sajak,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Wenn wir über Karel Gott sprechen, wie erklären sie sich seinen phänomenalen Erfolg in Deutschland?

Also erstmal ist die Stimme von Karel wirklich einmalig. Ich habe jetzt wieder neue Aufnahmen gehört und muss sagen, es ist ganz selten, dass ein Tenor in seinem Alter noch diese Klarheit und Schönheit hat. Die hatte er immer und er hat eben nie diesen Nachteil der großen Tenöre, dieses übertriebene Pathos, gehabt. Dieser Platz war unter Sängern in Deutschland nicht besetzt. Es gab keinen Tenor, der nicht pathetisch war, mit dieser gleichzeitigen Qualität der Stimme.“

Kennen sie auch einen anderen ausländischen Sänger, der deutsch singt und dabei so erfolgreich ist?

„Es gab Julio Iglesias, der war auch sehr erfolgreich, hatte eine einmalige Stimme und hat seine Karriere in Deutschland genauso ernsthaft betrieben. Aber sonst kenne ich wirklich keinen.“

Musical „Mozart“  (Foto: YouTube)
Vor Jahren haben sie Ihr Musical „Mozart“ in Brünn aufgeführt. Planen Sie, auch weitere Musicals in Tschechien auf die Bühne zu bringen?

„Ja, das ist natürlich mein großer Traum. Wir verhandeln schon seit langem darüber ‚Tanz der Vampire‘ oder ‚Elisabeth‘, also andere Musicals von mir, nach Prag zu bringen. Aber das sind große Musicals, die einen enormen finanziellen Produktionsaufwand benötigen und deswegen ist es sehr schwer. Das Interesse ist da und es wäre natürlich auch im Interesse meiner verstorbenen Eltern. Das wäre die Krönung, ein Musical von mir in Prag zu haben. Das wäre wunderschön.“

Autor: Jakub Šiška
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