Mit einem Fuß im Untergrund: Jazz-Sektion in der Tschechoslowakei
Auf einem schmalen Grat zwischen Legalität und Illegalität bewegte sich in der kommunistischen Tschechoslowakei die Jazzová sekce (Jazz-Sektion). Sie hat in den 1970er und 1980er Jahren die alternative Kultur hierzulande geprägt. Die von der Jazz-Sektion veranstalteten Prager Jazz-Tage waren ein Treffpunkt von Jazz-Fans, aber auch von Oppositionellen. In ihrem halboffiziellen Verlag wurden Editionen über moderne Kunst herauszugeben. Der Rolle und der Geschichte der Jazz-Sektion ist eine Ausstellung in der Galerie der Nationalen Gedenkstätte auf dem Vítkov-Hügel in Prag gewidmet. Der Historiker Rüdiger Ritter von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität in Bremen hat die Ausstellung kuratiert.
Lassen Sie uns jetzt gemeinsam durch die Ausstellung …
„Wenn man hier hereinkommt, ist es so, dass man sich aus dem nationalschwülstigen Stil, in dem dieses Gebäude gehalten ist, in eine ganz andere Welt bewegt. Jeder hat mich gefragt, warum ich die Ausstellung ausgerechnet an diesem Ort machen will, eine Ausstellung über Jazz, der mit dem Pathos der 1920er Jahre gar nichts zu tun hat. Und dann kommt man hier rein, sieht das erste Panel und begreift bereits, dass sich hier eine Tür zu einer ganz neuen Welt öffnet. Nämlich zu einer Welt, in der man ganz anders auf Kultur und auf Musik schauen kann, als man es bisher gewohnt ist. Und das ist der Grundgedanke dieser Ausstellung. Und auch das, was die Jazz-Sektion sehr geprägt hat.“
Können Sie zusammenfassen, was die Ausstellung dokumentiert?„In der Ausstellung geht es um die Geschichte der Jazz-Sektion. Und zwar als Beispiel dafür, wie man Kunst und Kultur im Staatssozialismus verwendet hat, um, von der Seite der Jazz-Sektion aus, Unabhängigkeit und kulturelle Moderne zu zeigen. Aber auch, von der Seite des Regimes aus, Kunst und Kultur zu bekämpfen, weil man sich vor deren Potential gefürchtet hat. Also diese doppelte Funktion von Kunst und Kultur, das ist das Grundthema der Ausstellung.“
Die Ausstellung gliedert sich in vier Themenbereiche…
„Der erste Themenbereich ist der Eintritt in eine neue Welt. Die Funktion von Kunst und Kultur, als Alternative zum normalen, alltäglichen Grau des Staatssozialismus zu gelten. Der zweite Teil ist dann der editorische Teil der Jazz-Sektion, das heißt die Jazz-Sektion nicht nur als Konzertorganisation, sondern als breites Kulturforum für Musik, Theater, Literatur, Film und alle anderen Formen von Kunst.“Vielleicht können wir uns einige der Bücher anschauen, die die Jazz-Sektion als Verlag herausgegeben hat…
„Das hier sind einige Ausgaben aus der Edition Jazz petit, die eigentlich die wichtigste Edition gewesen ist. Sie hat ganz unterschiedliche Themen aufgegriffen. Wir sehen hier Musik: Emil František Burian ist ein ganz früher Jazzmusik-Komponist der 1920er und 1930er Jahre in der Tschechoslowakei. Wichtig ist auch das Buch von Bohumil Hrabal „Obsluhoval jsem anglického krále“ (Ich diente dem englischen König). Hier ist es zu einem Streit der Jazz-Sektion mit den Offiziellen gekommen. Eigentlich wollte der Staat dieses Buch auch herausgeben. Er hat der Jazz-Sektion vorgeworfen: ‚Warum gebt ihr dieses Buch heraus, es hat ja mit dem Jazz nichts zu tun‘. Karel Srp und Joska Skalník haben dazu aber gesagt: ‚Nein, das stimmt nicht, Hrabals Schreibweise selbst ist Jazz, das muss so komponiert werden wie eine Jazz-Komposition. Und deswegen geben wir das heraus.‘“
Wenn wir jetzt von den Vitrinen zu den Panels weitergehen…
Die Ausstellung ist in der Nationalen Gedenkstätte auf dem Vítkov-Hügel in Prag bis 8. Januar zu sehen. Sie ist von Mittwoch bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Im März 2017 kommt die Ausstellung nach Bremen und im Sommer nächsten Jahres nach Bratislava.
„Der dritte Teil ist das Schwanken der Jazz-Sektion zwischen Legalität und Illegalität. Deswegen heißt die Ausstellung auch ‚Ein schmaler Grat‘. Wir verweisen auf den Witz und der Scharm, mit dem man versucht hat, Alternativität und Originalität zu demonstrieren, ohne sich dabei eine Blöße zu geben, indem man illegale und offen provokative Handlungen unternommen hat. Und der vierte Teil ist dann schließlich die offizielle Reaktion gegen die Jazz-Sektion. Der Versuch, die Jazz-Sektion durch einen Schauprozess kaltzustellen, und der Versuch, sich dabei als liberaler Staat zu zeigen. Das ging aber eigentlich nach hinten los und die Armseligkeit des offiziellen Kulturbegriffs trat umso deutlicher hervor.“