Alternative Musikszene in der Vor- und Nachwendezeit

Die mannigfaltige Alternativszene, wie man sie heute in Tschechien in verschiedensten Kunstbereichen kennt, konnte sich erst nach der politischen Wende vor 20 Jahren entfalten. Bis dahin war es für alle, die sich nicht auf dem vom Staat streng kontrollierten und ideologische lizenzierten Mainstream-Weg bewegen wollten, extrem kompliziert. Wir bringen einen Rückblick in die Vor- und Nachwendezeit.

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 stand hierzulande alles unter strenger Kontrolle der Behörden. Wenn man als Musiker ein Konzert geben wollte, war das mit absurden Pflichten verbunden. Man musste einen Antrag stellen, anschließend die so genannte Qualifizierungsprüfung vor einer Kommission bestehen. Dabei stand auch die Einstellung zur marxistisch-leninistischen Ideologie auf dem Prüfstand. Außerdem musste man Liedertexte von einem Beamten der damaligen Konzertagentur überprüfen lassen. Von vornherein ausgeschlossen waren Liedtexte auf Englisch. Auch Künstler mit langen Haaren wurden nicht geduldet.

In dieser nach 1968 entstandenen Situation passierte eine Art Wunder. Nach zweijährigen Verhandlungen mit dem Innenministerium gelang es, 1971 die so genannte Jazz-Sektion beim Musikerverband zu gründen. Die Zahl ihrer Mitglieder nahm schnell zu. Mit der Jazz-Sektion arbeiteten immer mehr bildende Künstler, Fotografen, Theaterschaffende und Musiker aus der Alternativszene zusammen. Čestmír Huňát:

„Wir wollten uns der Musik und dem Theater widmen, Ausstellungen organisieren, jedoch ohne Zensur. Wir haben ganz bestimmt nichts Schlimmes gemacht.“

Das sah die Staatsmacht anders: Denn der Verein gab Bücher über Jazz, Rock, Philosophie, moderne Kunst oder zeitgenössisches Theater heraus – und die entsprachen nicht den Zensurvorschriften. Die Jazz-Sektion rückte bald in den Blickpunkt der Geheimpolizei StB. Repressionen ließen nicht lange auf sich warten. 1984 wurde die Jazzsektion als eine staatsfeindliche und antisozialistische Organisation verboten. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt über 4.000 Mitglieder. Zwei Jahre später wurden die Hauptaktivisten der Prager Zentrale, unter ihnen auch Čestmír Huňát, zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt.

„In Wirklichkeit war es ein politischer Prozess, verurteilt wurden wir allerdings wegen eines Wirtschaftsdeliktes. Offiziell hieß das ´nicht genehmigte Wirtschaftstätigkeit´. Auf dem Spiel standen ein paar zehntausend Kronen, lächerlich. Aber auch das Gericht konnte nicht nachweisen, dass wir uns bereichert haben. Als dann unsere Leute 1987 nach und nach wieder aus dem Knast freigelassen wurden, haben wir darüber nachgedacht, was wir weiter machen wollen und unter welchem Namen. Die Tätigkeit der Jazz-Sektion war damals schon paralysiert. Im selben Jahr haben wir uns als Vorbereitungsausschuss der Organisation Unijazz deklariert. Wir haben versucht, alle Möglichkeiten der gültigen Gesetze auszunutzen, um unsere frühere Tätigkeit fortsetzen zu können.“

Mit dem Wort „Jazz“ in dem neuen Namen „Unijazz“ wollte man zielbewusst auf die Verbundenheit mit der Internationalen Jazzföderation hinweisen, auch wenn die Tätigkeit von Unijazz weit über die Grenzen dieses Musikgenres hinaus ging. Bis zur Wende 1989 ist es aber nicht gelungen, die Existenz der neuen Organisation zu legalisieren. Čestmír Huňát:

„Vor dem November 1989 war das Regime bemüht, unsere Tätigkeit zu torpedieren. Teilweise war sie auch illegal. Wir waren bemüht, mit Hilfe unserer Mitglieder ein landesweites Vertriebsnetz aufzubauen, das unabhängig von den Telefon- und Korrespondenzkontrollen funktionierte. An verschiedenen Orten des Landes entstanden kleine Gruppen, wir nannten sie Klubs, die von uns Informationen bekamen, aber autonom arbeiteten konnten. Es waren in der Regel jeweils ein paar Unijazz-Enthusiasten, die aber Kontakte zu weiteren Sympathisanten hatten. Es war ein gut organisiertes Netz. Beim Aufbau seiner Struktur konnten wir unsere Erfahrungen aus der Zeit der Jazz-Sektion verwerten und damit gleichzeitig auch das Risiko für unsere Mitglieder vermindern. Dieses haben eher wir im Zentrum der Organisation auf uns genommen.“

Erst 1993, als das Gesetz zum Vereinswesen in Tschechien verabschiedet wurde, konnte Unijazz offiziell als Bürgerinitiative bestätigt werden. Schon seit 1990 veranstaltete sie das erste alternative Musikfestival mit dem Namen „Altweibersommer-Festival“. In diesem Jahr fand in Prag sein zwanzigster und letzter Jahrgang statt. 1993 aber kamen noch zwei weitere Festivals hinzu, die auch in Zukunft jedes Jahr stattfinden sollen.

Unijazz kümmert sich nicht nur um Jazz, sagt die Mitarbeiterin des Vereins, Jana Černá:

„Uns geht es um interessante Musik, die im Vordergrund keine kommerziellen Ziele verfolgt. Wir gehen ihren Wurzeln nach und beleuchten sie auch im Kontext von anderen Kunstbereichen. Ebenso suchen auch die Künstler, die wir ansprechen, etwas anderes als die standardmäßigen Wege“.

Mit anderen Worten: Alternative Musik, Konzerte und Festivals. Eines davon findet in Boskovice statt. Jana Černá:

„In Boskovice gibt es ein phantastisches altes jüdisches Stadtviertel, das am Anfang der 1990er Jahre schon zu verfallen drohte. Die Unijazz-Mitglieder aus Boskovice wollten den historisch einmaligen Stadtteil retten und baten uns um Hilfe.“

So ist 1993 in Boskovice das viertägige Festival entstanden – mit Konzertbühnen für ein breites Spektrum von Musikgenres, Ausstellungen, Theatervorstellungen oder Filmprojektionen und mehr. Der Vorsatz, die Baudenkmäler zu retten, ist geglückt. Dabei könnte Unijazz selbst gut Hilfe gebrauchen. Denn das Angebot der Veranstaltungen wird immer kleiner. Grund dafür sind mangelnde Gelder. Jana Černá:

„Es gibt immer mehr Arbeit für die Kräfte, aber immer weniger Geld, und das reicht eben nur für zwei Festivals.“

Dafür sind sie aber besondere Schmankerl. Das „Festival für Feinschmecker“ nennt Jana das internationale „Alternativa“-Festival, das jedes Jahr im November in Prag stattfindet. Zu dem Festival kommen Musiker klangvoller Namen wie etwa der Saxofonist John Zorn, David Thomas, der Begründer der Gruppe Pere Ubu, die slowenische Gruppe Laibach oder der Musikavantgardist Hector Zazou. Kurzum, dort findet alles seinen Platz, was zu alternativer Musik passt.