Morphium, Haschisch, Kokain: Drogen in den böhmischen Ländern

Opiumhöhle

Die 1920er Jahre gelten als eine Zeit des leichten Lebens. Kinos, Tanzlokale, Kabaretts und Theater hatten Hochkonjunktur, und Menschen mit genügend Geld konnten das Leben in vollen Zügen genießen. Feiern in den Goldenen Zwanzigern war aber auch immer mit dem Konsum von Drogen verbunden. Wie aber hielten es die Tschechen mit dem Drogenkonsum? In unserer Sendereihe „Kapitel aus der Tschechischen Geschichte“ gehen wir dem Drogenkonsum in den Böhmischen Ländern und in der Ersten Tschechoslowakischen Republik nach.

Kokain  (Foto: DEA Drug Enforcement Agency,  Free Domain)
Tschechien ist ein modernes Land und dazu gehören auch Schattenseiten, zum Beispiel der Drogenkonsum und Drogenhandel. Allerdings geht die Geschichte der Rauschmittel in Mitteleuropa auf andere Wurzeln zurück. Jindřich Marek ist Historiker am militärhistorischen Institut in Prag:

„Im mitteleuropäischen Raum hat sich mit der Entwicklung des Christentums früh eine Kultur des Trinkens durchgesetzt. Wenn man in einen zeitgenössischen Roman oder ein Groschenheft schaut, wo über Opiumhöhlen geschrieben wird, dann erkannt man: jeder Konsument ist einsam, auch wenn er mit einer Gruppe von Abhängigen zusammen ist. Die Trinkkultur hingegen hat in Europa und im tschechischen Kulturraum gesiegt, weil sie gesellschaftlich ist.“

Jindřich Marek  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Trotzdem aber kamen auch andere Drogen nach Mitteleuropa, wie Historiker Marek erklärt:

„An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand die moderne Gesellschaft in den Großstädten und viele Menschen gerieten durch neue Arbeitsprozesse in die Isolation. Es war eine gesellschaftliche Entwicklung, die zum Interesse an neuen individuellen Drogen führte, also an Kokain, Heroin und anderen Stoffen.“

Opium war bereits lange bekannt: Im Römischen Reich hatte der Schlafmohn, die Pflanze, aus der Opium gewonnen wird, den Ruf einer Droge. Das Christentum verbot seine Anwendung als Schmerzmittel dann im 4. Jahrhundert. Erst mit der arabischen Medizin kam das Opium wieder vermehrt nach Europa zurück. Aus Opium wurde das Schmerzmittel Morphium gewonnen, von dem bereits im 19. Jahrhundert bekannt war, dass es süchtig machte.

Kokablatt  (Foto: Marcello Casal,  Wikimedia CC BY 3.0)
Kokain dagegen wurde erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland aus der Koka-Pflanze hergestellt. Es wurde als lokales Anästhetikum verwendet, war legal und wurde im Gegensatz zu Opium lange Zeit nicht als Rauschmittel betrachtet. Miroslav Nožina vom Institut für internationale Beziehungen ist Experte für Drogen und Drogenhandel, er hat das Buch „Die Welt der Drogen in Tschechien“ verfasst. Zu Beginn kam die Faszination an den neuen Drogen über die Literatur:

‚Der Graf von Monte Christo’
„In Österreich-Ungarn gab es hauptsächlich zwei bekannte Drogen: Haschisch und Morphium. Es sind Rauschgifte, die mit einem besonderen Phänomen des 19. Jahrhunderts verbunden sind und zwar dem Orientalismus. Dieses Interesse wurde durch kulturelle Einflüsse ausgelöst, die aus dem Osten kamen und hier in Mitteleuropa sehr populär waren. Dazu gehörte das Buch ‚Im Schatten der Kirschblüte’ und viele andere Romane dieses Typs, wie zum Beispiel ‚Der Graf von Monte Christo’ von Alexander Dumas. In diesen Romanen wird in der unzensierten Version heftig gefeiert. Diese Bewunderung des Rauschs findet man damals überall, in der Kunst, in der Dekoration von Wohnungen, in der Bildhauerei, Malerei und in der Musik. Und der Orient war ein Gebiet, in dem andere Drogen als in Europa kursierten und wo anders damit umgegangen wurde. Dies führte zu einem großen Interesse an diesen ungewöhnlichen Mitteln und Erlebnissen.“

Opiumhöhle
Es waren aber nicht nur die Künstler und Intellektuellen, die solche Stoffe kannten. Die europäischen Interessen in China brachten auch für österreichisch-ungarische Seefahrer öfter einmal Besuche in Asien mit sich. Historiker Marek:

„Die österreichisch-ungarische Marine schickte seit 1900 jedes Jahr einen Kreuzer nach China, mit mehreren Hundert Matrosen an Bord, unter ihnen auch Dutzende Tschechen. Die höhere Gesellschaft besorgte sich über die Kultur Informationen über Rauschmittel. Über die Matrosen, die ins Zivilleben zurückkehrten, gelangten Informationen über das, was sie im Fernen Osten erlebt hatten, also auch vom Opium, in die breite Öffentlichkeit und in ihr Gedächtnis. Die Gesellschaft wusste also, das so etwas existierte.“

Eines der ersten Balletts des Nationaltheaters in Prag trug den Titel „Haschisch“ und in der zeitgenössischen Presse finden sich jede Menge Artikel über „Kokainismus“, „Morphinismus“ und weiter Erscheinungen des Drogenmissbrauchs. So gab es bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg Versuche, den Drogenhandel einzudämmen und international zu ächten. Allerdings zunächst ohne Österreich-Ungarn. Jindřich Marek:

„Offensichtlich betrachteten viele entwickelte Staaten Drogen als gesellschaftliche Gefahr. Daher wird bereits im Jahr 1909 eine internationale Opiumkommission gegründet. Im Jahr 1912, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, einigten sich 13 Staaten dann auf die erste internationale Opium-Konvention. Im Laufe der Zeit wurde sie von weiteren 25 Staaten unterschrieben. Paradoxerweise gehörte Österreich-Ungarn bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht zu den Unterzeichnern. Interessant ist, dass die neue Tschechoslowakei dadurch, dass sie den Versailler Vertrag unterschrieb, zu Mitgliedern dieser Konvention wurde.“

Foto: Tschechisches Fernsehen
Die Konvention richtete sich hauptsächlich gegen Opium. Die Droge wurde international „geächtet“. Alle Unterzeichnerstaaten sollten Personen und Produktionsstätten, die Morphium oder Kokain produzierten, verkauften oder exportierten streng kontrollieren.

Nach dem Krieg setzte sich in Mitteleuropa das Kokain gegenüber dem Opium beziehungsweise Morphium durch. Obwohl Kokain heute als Droge der Unterhaltungsindustrie oder der oberen Schichten wahrgenommen wird, gab es in Tschechien durchaus auch andere Abnehmer. Salonfähig gemacht haben es aber Immigranten aus Russland, wie Drogenexperte Nožina erklärt:

„Die erste Welle der Konsumenten kam direkt aus Berlin und aus Wien. Es waren Kokain-Konsumenten. Ein bedeutendes Phänomen in Tschechien, aber auch in Berlin war die zaristische russische Emigration. Das waren entwurzelte Leute mit nicht genug Geld. In Russland war Kokain vor dem Ersten Weltkrieg sehr verbreitet und als sie nach Tschechien kamen, nahmen sie weiter Kokain. Dadurch begannen auch die Tschechen, es auszuprobieren und aus Berlin zu importieren - der Hauptstadt des Kokains in Europa. Sie verbreiteten es dann weiter in der tschechischen Gesellschaft. Auffällig wurden nicht nur Künstler, sondern auch Menschen mit absolut gewöhnlichen Berufen, Monteure und ähnliche.“

Miroslav Nožina  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Die Drogen kamen hauptsächlich aus Deutschland in die Tschechoslowakei. Deutschland war der wichtigste Umschlagplatz für Kokain in den Osten, aus Sachsen wurde der Stoff über die Böhmische Schweiz und das Erzgebirge nach Prag geschmuggelt und dann weiter in die Slowakei oder Ungarn. Die Schmuggler waren zunächst aber gar nicht auf Drogen spezialisiert. Miroslav Nožina:

„Das waren keine Drogenhändlerringe im heutigen Sinne. Eher organisierte Gruppen, die sich dem Schmuggel verschiedener Rohstoffe aus dem Ausland widmeten, zum Beispiel Sacharin. Man schmuggelte also gerade Sacharin, und das machte eine bestimmte Schmugglergruppe. Und diese Gruppe begann dann in der Zeit der Ersten Republik sich auch auf Kokain zu spezialisieren. Diese Gruppen waren also schon da, aber es waren keine ‚Gangs’ im klassichen Sinne.“

Drogenschmuggel  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Der tschechoslowakische Staat machte es den Schmugglern aber auch leicht. Bis 1928 wurde nämlich der Drogenschmuggel nur als ein Vergehen gegen die Steuergesetze behandelt und fiel in die Zuständigkeit der Finanzwache. Die Höchststrafe betrug 20.000 Kronen. Nur wenn der Täter diese Summe nicht aufbringen konnte, musste er für mehrere Monate hinter Gitter.

Erst 1928 kam auf Initiative der Vereinigten Staaten von Amerika eine internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen Drogen zustande. In Prag wurde eine Zentralstelle für den Kampf gegen den illegalen Handel mit Rauschmitteln gegründet. Es war hierzulande die erste zentrale Polizeistelle mit gesamtstaatlicher Zuständigkeit, die sich um das Drogenproblem kümmern sollte. Ermittelt wurde allerdings nur wenig, die vier Polizisten widmeten sich hauptsächlich der Sammlung und Weiterleitung von Informationen nach Genf, wo der Völkerbund seinen Sitz hatte. Miloš Vaněček ist Oberkommissar bei der Anti-Drogen-Zentrale der Tschechischen Polizei:

Miloš Vaněček  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Wenigsten im Austausch von Berichten war diese Zentrale sehr aktiv. Sie tauschte Informationen mit dem Ausland aus und beobachtete auf dieser Basis die Bewegungen der Schmugglergruppen. Für die internationalen Schmuggler war die Tschechoslowakei also ein Paradies, auch weil es mit vielen Staaten keine Auslieferungsabkommen gab.“

Erst auf einem internationalen Kriminalkongress in Genf konnten sich Deutschland und die Tschechoslowakei auf einen Auslieferungsvertrag einigen. Auch wenn das Schmuggeln in der Tschechoslowakei nur ein Verstoß blieb, konnte der Täter dann nach Deutschland ausgewiesen werden. Dort galt Drogenschmuggel als Straftat und wurde entsprechend bestraft.

Pervitin  (Foto: ČT24)
Der letzte Bericht über eine Strafverfolgung in Zusammenhang mit Drogenkonsum stammt aus dem Jahr 1940. Bereits in der Protektoratszeit, also während der deutschen Besatzung, wurde ein Mann wegen des illegalen Handels mit Rauschmitteln festgenommen. Danach finden sich keine Akten mehr, wahrscheinlich weil der Krieg und das verschärfte Besatzungsregime den Nachschub erschwerten. Übrigens verhinderte auch der Eiserne Vorhang den Konsum von Kokain, erst mit der politischen Wende 1989 kann sich dieses Rauschgift wieder in Tschechien etablieren. Dafür aber kursierten Drogen, die sich mit heimischen Mitteln produzieren ließen, zum Beispiel Pervitin.


Dieser Beitrag wurde am 4. August 2012 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.