„Mühevoll aufgebaut“ – Historiker Zimmermann zum Verhältnis DDR-Tschechoslowakei

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In der Nachkriegszeit hat sich die deutsch-tschechische Freundschaft zuerst zwischen den beiden Ostblockstaaten DDR und ČS(S)R entwickelt. Doch war es eine rein taktische Angelegenheit oder gab es auch eine gemeinsame Basis, auf der aufgebaut werden konnte? Der Historiker Volker Zimmermann vom Collegium Carolinum, der Forschungsstelle für die böhmischen Länder in München, ist diesen und weiteren Fragen nachgegangen. Im vergangenen Jahr hat er seine Forschungsergebnisse unter anderem in einem Buch veröffentlicht, dessen Titel lautet: „Eine sozialistische Freundschaft im Wandel - die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei (1945-1969)“. Mit Volker Zimmermann nun ein Interview zum Thema.

Herr Zimmermann, im Gegensatz zur Bundesrepublik hat die DDR bereits in den 1950ern ganz offen die territorialen Verluste sowie die Vertreibung und Zwangsaussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei akzeptiert. Darauf weisen Sie in Ihren Veröffentlichungen hin. Ging die Meinung beider deutschen Staaten tatsächlich so weit auseinander oder hatte vielleicht die Führung in Ost-Berlin überhaupt keine Wahl sich anders zu entscheiden?

„Die Führung in Ost-Berlin hatte eine klare Vorstellung und war sehr realistisch: Sie musste schlicht und einfach die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges anerkennen, um innerhalb des eigenen Lagers eine stabile Position erringen zu können. Insofern war es für sie wesentlich einfacher, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges anzuerkennen. Anders ist es im Fall der Bundesrepublik gewesen, wo auch noch gleichzeitig eine zum Teil sehr kritische Öffentlichkeit, beispielsweise die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze nicht akzeptieren wollte.“

Viele Tschechen und Slowaken haben verständlicherweise auch noch Jahre nach Kriegsende bezweifelt, dass die Deutschen auf einmal Verbündete sein konnten. Sie gehen in Ihren Arbeiten von einem tief verwurzelten Misstrauen aus. Wie lässt sich dieses Misstrauen beschreiben?

„Dieses Misstrauen resultierte in erster Linie aus den Erfahrungen von Deutschen und Tschechen in der Ersten Republik. Vor allem aber in den dreißiger Jahren, insbesondere 1938 bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei durch das Münchner Abkommen. Aber natürlich spielt auch die Politik des Deutschen Reiches gegenüber den Tschechen während des Zweiten Weltkrieges eine tragende Rolle. Und verständlicherweise trug die Geschichte zu diesem tiefen Misstrauen bei.“

Fußballspiel zwischen der ČSSR und der DDR
Sie stellen die recht kontroverse These auf, dass die Tschechoslowakei zunächst nur deshalb ein so beliebter Partner für die DDR gewesen sein muss, da die Ostberliner Regierung das so in ihrer ersten Erklärung festgelegt hatte. Ist somit die Basis, die nach dem Zweiten Weltkrieg für die deutsch-tschechischen Beziehungen gelegt worden ist, überhaupt ehrlich gewesen? Wenn es nicht um Freundschaft ging, worum ging es dann?

„Die DDR-Regierung sah die Notwendigkeit die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges anzuerkennen, und in diesem Kontext waren die Freundschaftsbemühungen natürlich ernstgemeint. Es sollte klar werden, dass es keine Grenzstreitigkeiten zwischen der DDR und Polen und der DDR und der Tschechoslowakei gab. Polen und die Tschechoslowakei, die Nachbarstaaten der DDR, waren als solches natürlich besonders wichtig. Das unterstützte auch die Sowjetunion in der Rolle der Führungsmacht. Insofern ist hier zum einen eine taktische Überlegung zu sehen. Zum anderen muss man allerdings auch sagen, dass viele DDR-Funktionäre selbst unter der NS-Herrschaft und der Verfolgung gelitten hatten. Oft hatten sie dann in den Lagern polnische oder tschechische Genossen kennengelernt, und dabei sind auch Freundschaften entstanden. Rein taktisch kann man diese Form von Freundschaft also nicht bezeichnen. Mit Sicherheit spielten auch tief verwurzelte Überzeugungen eine Rolle. Aber eines ist ganz klar: Die DDR-Führung erkannte die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges nur an, um eine Basis für das spätere Verhältnis schaffen zu können.“

Sie sind kurz auf die deutsch-polnischen Beziehungen eingegangen. Können Sie den Unterschied zwischen der Entwicklung der deutsch-polnischen und der der deutsch-tschechischen Beziehungen erklären?

„Das ist vor allem eine Frage der Grenze. Deutschland hat an Polen nach dem Zweiten Weltkrieg umfangreiches Gebiet verloren. Das ist bei der Tschechoslowakei nicht der Fall. Diese Oder-Neiße-Grenze, die nun zwischen der DDR und Polen installiert wurde, war deutlich stärker umstritten. Innerhalb der deutschen Bevölkerung war also Polen ein wesentlich größeres Problem als beispielsweise die Tschechoslowakei. Aber selbst SED-Funktionäre wollten die Oder-Neiße-Grenze anfangs nicht anerkennen. Die Ausgangslage der deutsch-polnischen Beziehungen ist viel komplizierter gewesen als die der deutsch-tschechoslowakischen.“

Viele Tschechoslowaken vergleichen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968 mit der Besetzung ihres Landes durch die deutsche Wehrmacht 1938  (Foto: DHM)
Ich mache einen kleinen Zeitsprung: Der Prager Frühling ist ein Ereignis, dass auch das deutsch-tschechische Miteinander nachhaltig geprägt hat. Inwiefern veränderten sich die deutsch-tschechischen Beziehungen durch das Verhalten der Regierung in Ostberlin im Jahr 1968?

„Diese Beziehungen, wie sie mühevoll ab 1949 aufgebaut worden waren, wurden durch das Verhalten ostdeutscher Funktionäre im Zuge des Prager Frühlings stark erschüttert. Viele Tschechen, die nun auch mit Mühe und Not die Überzeugung gewonnen hatten, dass die DDR vielleicht doch ein Partner sei, waren nun skeptisch und erschüttert über das Verhalten. Insofern kann man sagen, dass der Prager Frühling für viele Tschechen ein sehr negatives Erlebnis bezüglich der angeblichen ostdeutschen Verbündeten gewesen ist. Dieses Erlebnis hat viele Jahre lang das Verhältnis geprägt.“

Tschechoslowakei war ein beliebtes Ziel auch für DDR-Touristen
Demnach lässt sich das Jahr 1968 als ein Bruch in der deutsch-tschechischen Beziehung beschreiben?

„Das war ein Bruch, aber nach einigen Jahren hat sich das Verhältnis auch schon wieder normalisiert. Im Jahr 1972 wurde der visafreie Reiseverkehr eingeführt. Die Beziehungen zwischen der DDR und der Tschechoslowakei intensivierten sich. Es gab wieder viele Besucher, zum Beispiel Ostdeutsche in der Tschechoslowakei. Man kann sagen: Es gab zwar einen Bruch 1968 und 1969, aber in den 70er Jahren haben sich die Verhältnisse dann auch wieder stabilisiert.“

Milouš Jakeš und Erich Honecker in einer Zeitung aus den 80er Jahren
Geht man von einer deutsch-tschechischen Freundschaft als Grundlage für die deutsch-tschechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg aus, wird eine emotionale Diskussion entfacht. Wie gehen Sie mit diesem Freundschaftsbegriff um?

„Der Freundschaftsbegriff, wie er 1949 und die folgenden Jahre formuliert worden war, ist tatsächlich ideologisch gebunden gewesen. Insofern kann man sich da nicht auf eine Tradition stützen. Allerdings hat sich tatsächlich auch unterhalb der offiziellen Ebene vieles entwickelt, was vorher nicht denkbar war - insbesondere nach den geschilderten Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges. Insofern muss man zwischen einer offiziellen Freundschaft und dem, was sich tatsächlich zwischen den Bürgern der verschiedenen Staaten entwickelt hat, unterscheiden. Diese inoffiziellen Freundschaften sind das eigentliche Fundament, auf das letztendlich aufgebaut werden konnte. Freundschaften zwischen Westdeutschen und Tschechen oder auch Slowaken intensivierten sich vor allem nach 1989. Insofern würde ich sagen, dass Freundschaft auf inoffizieller Ebene durchaus vorhanden ist, sich weiterhin verbreitet und entwickelt.“