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Premier Spidla tritt zurück
Tschechiens Premier Vladimir Spidla hat am Samstag seinen Rücktritt erklärt. Das Vertrauen in die sozial-liberale Regierung sei bei den verlorenen Europa-Wahlen erschüttert worden, sagte er. Als möglicher Nachfolger gilt Innenminister Stanislav Gross. Der Rücktritt Spidlas bedeutet das Aus für die Koalitionsregierung. Gross wurde vom sozialdemokratischen Exekutivausschuss mit der Regierungsneubildung beauftragt. Der scheidende Premier Spidla will am Mittwoch seinen Rücktritt offiziell bei Präsident Václav Klaus einreichen und zuvor sein Land noch beim NATO-Gipfel in Istanbul vertreten. Politische Beobachter gehen davon aus, dass Gross eine Minderheitenregierung seiner Sozialdemokraten mit den Christdemokraten anstrebt. Gross sagte, er rechne damit, dass Präsident Václav Klaus ihn mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Er will spätestens am Dienstag mit den bisherigen Koalitionspartnern der Sozialdemokraten, den Christdemokraten (KDU-CSL) und der liberalen Freiheitsunion (US-DEU), über eine mögliche weitere Zusammenarbeit sprechen. Spidla hatte als Vorsitzender der Sozialdemokraten am Samstagmittag eine parteiinterne Vertrauensabstimmung zur Abwahl als Parteichef nur mit sechs Stimmen Mehrheit überstanden. 103 Delegierte hatten bei der Krisensitzung gegen Spidla gestimmt, 109 wären für seine Abwahl erforderlich gewesen. Spidla hatte sein Amt als Regierungschef vor der Vertrauensabstimmung an seinen Posten als Parteichef geknüpft. Vor der Abstimmung hatte Spidla einen Rücktritt als Parteivorsitzender abgelehnt. Er stand in der Kritik, weil die Sozialdemokraten bei der Europa-Wahl nur 2 der 24 tschechischen Mandate gewinnen konnte. Spidla hat den CSSD-Vorsitz 2001 übernommen und war seit 2002 Ministerpräsident.
Präsident Klaus kündigt Regierungsverhandlungen an
Präsident Václav Klaus hat am Sonntag angekündigt mit Sozialdemokraten, Christdemokraten und der oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei die Verhandlungen über eine Regierungsneubildung zu beginnen. Zu den Gesprächen, die Klaus für kommenden Donnerstag angekündigt hat, hat er die oppositionellen Kommunisten nicht eingeladen. Klaus geht davon aus, dass Premier Vladimír Spidla am Mittwoch sein offizielles Rücktrittsgesuch einreichen wird. Auf dem außerplanmäßigen Treffen mit Journalisten in Prag sagte Klaus, dass er die drei Parteien für die relevanten Akteure der gegenwärtigen Politszene hält. Über das geplante Treffen sagte Klaus: "Ich werde mit diesen Politikvertretern über ihre Vorstellungen einer Regierungszusammensetzung sprechen, die in der Lage wäre das Vertrauen des Abgeordnetenhauses zu gewinnen und die überlebensfähig wäre." Neuwahlen wären erst "eine Lösung, wenn die Gespräche zu nichts führen", sagte das Staatsoberhaupt. Tschechiens Verfassung nennt beim Sturz einer Regierung keine Frist für die Bildung eines neuen Kabinetts. Vor seinem Abflug zum NATO-Gipfel in Istanbul wollte Klaus nicht bestätigen, dass er Innenminister Stanislav Gross mit der Regierungsbildung betrauen wird.
Gross will sich für Spidlas politisches Überleben einsetzen
Einen Tag nach dem Rücktritt des tschechischen Premiers Vladimir Spidla hat der kommissarische Vorsitzende der Sozialdemokraten, Stanislav Gross, Spidla Unterstützung zugesagt. Im Tschechischen Fernsehen sagte Gross, er wolle sich dafür einsetzen, dass Spidla nach seinem Rücktritt als Partei- und als Regierungschef in der Sozialdemokratischen Partei und in der tschechischen Politik weiter Gehör finde. Gross wolle zudem mit Ex-Premier Milos Zeman sprechen, der ihn und Spidla in den vergangenen Monaten scharf kritisiert hatte. Weiter sagte Gross, er wolle an der Reform der öffentlichen Finanzen festhalten. Auf dem Weg zum NATO-Gipfel sagte Spidla, es erwarte ihn in Zukunft einen normalen politischen Alltag und er wolle sich am Aufbau eines modernen tschechischen Sozialstaats beteiligen, wie die Nachrichtenagentur CTK berichtet.
Freiheitsunion: Opposition oder Koalition
Die liberale Freiheitsunion ist bereit als Oppositionspartei zu arbeiten. Mit diesen Worten reagierte der scheidende Parteichef Petr Mares auf die Rücktrittserklärung von Regierungschef Vladimír Spidla. Die Nachricht vom Fall der tschechischen Regierungskoalition hatte den kleinsten Koalitionspartner am Samstag auf einem Sonderparteitag in Hradec Králové/Königsgrätz ereilt. Als Mares' Nachfolger wurde am Sonntag Pavel Nemec gewählt. Der neue Parteichef war in Spidlas scheidender Regierung Minister für regionale Entwicklung. Nemec konnte 102 von 189 Stimmen auf sich vereinen. Mares war vom Parteivorsitz abgetreten, weil die kleinste Partei der gescheiterten Regierungskoalition, bei den Europa-Wahlen starke Verluste hatte hinnehmen müssen. Nemec sagte nach seiner Wahl, die Freiheitsunion müsse auf nach dem Fall der Regierung darauf vorbereitet sein, als Oppositionspartei zu arbeiten oder sich wieder an einer Koalitionsregierung beteiligen.
Christdemokraten zu Koalitionsverhandlungen bereit
Die Christdemokraten haben sich zu Koalitionsverhandlungen bereit erklärt. Eine erneute Regierungskoalition mit den Sozialdemokarten wollen sie jedoch nur eingehen, wenn diese nicht auf die Unterstützung der Kommunistischen Partei angewiesen wäre. Das sagte am Samstagabend der stellvertretende Parteichef der Christdemokraten, Jan Kasal, gegenüber der Nachrichtenagentur CTK kurz nachdem er von Spidlas Rücktritt erfahren hatte. Parteichef Miroslav Kalousek sagte, er könne sich auch eine erneute Koalitiosnbeteiligung der Freiheitsunion vorstellen. Auch eine Zusammenarbeit mit der oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei schließe er nicht aus. Bei der Stimmenverteilung im tschechischen Abgeordnetenhaus könnte eine Koalition aus Sozial- und Christdemokraten nur eine Minderheitenregierung stellen.
Kommunistische Partei: Wir unterstützen eine Minderheitenregierung
Nach Angaben des Parteichefs der oppositionellen Kommunistischen Partei, Miroslav Grebenícek, würde seine Partei eine Minderheitenregierung unter Führung der Sozialdemokraten unterstützen. Eine Unterstützung einer neuen Regierung mit dem Christdemokraten Miroslav Kalousek als Regierungschef, könne sich Grebenícek jedoch nicht vorstellen. Er begrüßte Spidlas Rücktritt als Erfolg. Wörtlich sagte Grebenícek: "Es ist gut, dass diese Figur die politische Szene verlässt".
ODS: Forderung nach Neuwahlen als erste Reaktion
Die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei (ODS) fordert nach Angaben ihres Parteichefs, Mirek Topolánek, in einer ersten Reaktion auf Spidlas Rücktritt Neuwahlen. Der Rücktritt habe die ODS nicht überrascht, er habe diese Entwicklung erwartet. Wörtlich sagte Topolánek am Samstagabend: "Für uns bedeutet dies keine bedeutende Veränderung unseres Standpunktes." Die ODS hatte nach dem schlechten Abschneiden der Sozialdemokraten bei den Europa-Wahlen eine Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus angestrebt. Gegenwärtig erhält die ODS bei Wahlumfragen den stärksten Zuspruch. Topolánek betonte, die Sozialdemokraten könnten nicht mit einer Unterstützung der ODS rechnen, sollte Innenminister Stanislav Gross mit der Regierungsneubildung beauftragt werde.