Nachwehen der tschechischen Privatisierung

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßen Sie Martina Schneibergova und Rudi Hermann. Der tschechische Weg der Industrieprivatisierung - dies ist eine Bezeichnung, die mittlerweile für ein wenig geglücktes Experiment der Entstaatlichung steht. Der tschechische Weg war der Versuch, das industrielle Familiensilber in eigenen Händen zu halten, sprich mit tschechischem Kapital und tschechischem Management wieder auf die Beine zu bringen. Der Versuch ist, wie heute allgemein bekannt ist, missglückt. Und nicht nur das: frühere Industriekapitäne wie Vladimir Stehlik von den Stahlwerken Poldi Kladno, Lubomir Soudek vom Industriegiganten Skoda Pilsen und Jiri Marousek vom Maschinenbaukonzern CKD Praha warten auf Anklagen oder Gerichtsverfahren. Ein Blick auf diese Fälle ist Thema der folgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.

Nach der Schlacht, so meint das Sprichwort, ist jeder ein General. Zweifellos ist es richtig, dass es im Rückblick viel einfacher ist, zu sehen, wo in den vergangenen zehn Jahren bei der Privatisierung Fehler passierten, was hätte besser gemacht werden können. Und ausser Zweifel steht ebenfalls, dass bei einem so gigantischen Vorhaben wie der Umorientierung einer ganzen Volkswirtschaft vom Plan- auf das Marktsystem innerhalb von nur wenigen Jahren und, damit einhergehend, der Privatisierung von enormen Vermögenswerten Fehler unvermeidlich, ja wohl vorprogrammiert waren.

Wichtig ist die Vergangenheit dennoch, und sei es nur darum, daraus die Lehren zu ziehen. Eine davon lautet, dass der sogenannte tschechische Weg bei der Privatisierung ein Holzweg war, weil letzten Endes weder das Know-How noch das Kapital dafür in ausreichendem Masse vorhanden waren. Das Paradebeispiel, das diese These untermauert, heisst Skoda Mlada Boleslav. Beim bedeutendsten tschechischen PKW-Hersteller bedeutete die strategische Partnerschaft mit dem Volkswagen-Konzern, allen Unkenrufen von Ausverkauf der industriellen Juwelen ans Ausland zum Trotz, dass Skoda in den letzten Jahren zum tschechischen Industrie-Vorzeigeunternehmen schlechthin herangewachsen ist. Es handelt sich um das umsatzstärkste tschechische Unternehmen, das allein rund 10 % zu den tschechischen Ausfuhren beiträgt, für zahlreiche Zulieferbetrieben eine gesicherte Zukunft darstellt und dabei, trotz der Eingliederung in einen multinationalen Konzern, seine tschechische Identität keineswegs verloren hat.

Im Gegensatz dazu warn Unternehmen wie Poldi Kladno, Skoda Pilsen oder CKD Praha in den letzten Jahren überwiegend in den negativen Schlagzeilen zu finden. Letztes Glied in der Kette ist der frühere CKD-Chef Jiri Marousek, der unlängst in Polizeigewahrsam genommen wurde wegen des Verdachts auf unlautere Machenschaften mit CKD-Aktien. Auch der frühere Kapitän der Stahlwerke Poldi Kladno, Vladimir Stehlik, verbrachte einige Zeit in Untersuchungshaft und wartet jetzt auf den Prozess, und gegen den langjährigen Steuermann von Skoda Pilsen, Lubomir Soudek, ist Anklage erhoben worden. Was allen drei gemeinsam scheint, ist das, dass sie sich im aufkeimenden tschechischen Gründerzeit-Kapitalismus und der mit ihm verbundenen löchrigen Legislative sehr schnell sehr gut orientierten. Eine weitere Parallelität besteht darin, dass Skoda Pilsen, Poldi Kladno und CKD Praha alle unter den drei genannten Industriellen an den Rand des finanziellen Kollapses gerieten.


Nach fünf Jahren Ermittlungstätigkeit soll, wie die Tageszeitung Mlada Fronta dnes unlängst berichtete, der Gerichtsprozess gegen Vladimir Stehlik demnächst eröffnet werden. Die Anklage basiert auf zwei Hauptpunkten: Durch Transaktionen mit einer von der Familie Stehlik privat besessenen Firma soll Poldi Kladno 67 Millionen Kronen, umgerechnet rund 4 Millionen D-Mark, verloren haben. Und zweitens wird Stehlik vorgeworfen, dem Staat Arbeitgeberbeiträge für Kranken- und Sozialversicherungen der Angestellten in der Höhe von 25 Millionen Kronen vorenthalten zu haben. Stehlik gibt sich allerdings zuversichtlich, unbestraft aus dem Prozess hervorzugehen. Zum Anklagepunkt der Arbeitgeberbeiträge meinte er laut Mlada Fronta dnes, diese Gelder seien nicht einfach verschwunden, sondern zu Zahlungen an Lieferanten benützt worden. Dies sei zum Zeitpunkt des Geschehens kein Straftatbestand gewesen. Überhaupt glaube er nicht, dass ihm ein vorsätzlich begangenes Delikt nachgewiesen werden könne. Und ein nachgewiesener Vorsatz ist für eine Verurteilung notwendig. Deshalb ist auch die Polizei skeptisch, wie der Prozess enden wird. Und Wirtschaftsanalytiker fügen bei, dass das Hauptproblem in der unvollständigen Legislative der Zeit, die zur Diskussion stehe, liege. So hätten die damaligen Gesetze finanzielle Operationen ermöglicht, die in anderen Ländern als ungesetzlich gegolten hätten.

Auch im Falle des Pilsner Industriekapitäns sind es Verquickungen zwischen dem privatisierten Stammhaus und einer in Soudeks Besitz befindlichen Privatifirma, die die Aufmerksamkeit der Ermittler erregten. Die Anklage lautet, dass Soudek über langfristige Kredite Mittel von Skoda Pilsen zugunsten seiner Privatfirma abzog. Im Falle Soudeks verstrichen zwischen Aufnahme der Ermittlungen und der Anklageerhebung nur wenige Monate, im Vergleich zu den langen Jahren, die die Polizei am Fall Stehlik arbeitete. Bei CKD-Chef Marousek geht es wie im Fall Stehlik um Geld, das dem Staat vorenthalten worden sein soll. Als Marousek 1994 mit seiner Gesellschaft INPRO den Zuschlag für den Kauf einer Aktienmehrheit an CKD Praha erhielt, musste er sich verpflichten, bei einem Wiederverkauf von Aktien zu einem höheren als dem von ihm bezahlten Kurs innerhalb von fünf Jahren dem Staat den Unterschied zu vergüten. 1997 wechselte ein Paket von 12.75 % der CKD-Aktien zu einem ausländischen Käufer, und zwar für rund das zweieinhalbfache dessen, was Inpro bezahlt hatte. Der Staat allerdings sah kein Geld. Angeblich soll die Transaktion so abgelaufen sei, dass der Gewinn nicht bei Inpro landete, sondern bei einer Drittfirma, und deshalb für Inpro keine Verpflichtung bestand, dem Staat den entstandenen Unterschied abzuliefern. Die Frage stellt sich allerdings auch hier, ob die Ermittler nicht letztlich eine Spur zu einer kriminellen Handlung, sondern zu einer damaligen Gesetzeslücke finden.


Es soll hier nun allerdings nicht der Eindruck geweckt werden, die tschechische Privatisierung sei ausschliesslich mit Wirtschaftskriminalität oder zumindest dem Verdacht auf Wirtschaftskriminalität verbunden. Anzeichen zwischen einer unheiligen Verflechtung von Wirtschaft und Politik liegen zwar vor, doch wie auch bei Bankenzusammenbrüchen stellt sich bei den missglückten Industrieprivatisierungen die Frage, wieviel der Probleme durch kriminelles Aushöhlen von Firmen und wieviel durch Inkompetenz oder Überforderung der neuen Manager entstanden.

Gleiches gilt für die Politik: Waren die massgeblichen politischen Parteien an einer unvollständigen Legislative interessiert, die gewissen Industriekapitänen Machenschaften am Rande der Legalität ermöglichte und eine finanzstarke Klientel der Politischen Klasse entstehen liessen - ein Vorwurf, der allenthalben zu hören ist - oder war das Tempo der Wirtschaftsreform schlicht zu hoch, als dass der Legislativprozess damit hätte Schritt halten können? Eine Beantwortung solcher Fragen ist kaum einfach. Namentlich was die Industrieprivatisierung betrifft, neigen Fachleute heute aber der Ansicht zu, dass die erste Generation tschechischer Supermanager nach der Wende von der Grösse der Aufgaben überfordert war. Ein Hinweis darauf sei nicht zuletzt die Tatsache, dass die Unternehmen, die wegen möglicher Wirtschaftkriminalität ihrer Privatisierer im Gerede sind, keinen nachhaltigen Weg zur Prosperität gefunden hätten. Hier hätten allerdings auch die Banken und die Aktionäre inklusive des Staats ihren Teil der Schuld daran, weil sie zu spät auf die wachsende Verschuldung industrieller Grossunternehmen reagiert hätten.

Autoren: Martina Schneibergová , Rudi Hermann
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