Naiver Obama – untertänige Tschechen – echte Kerle

Barack Obama und Dmitri Medwedew (Foto: Štěpánka Budková)

Es gab kein Thema, das auch nur annähernd so wichtig war für die Kommentatoren wie die Unterzeichnung des Start-II-Vertrags durch US-Präsident Obama und den russischen Präsidenten Medwedew. Es ging zum Einen um den Vertrag selbst, zum Anderen um die Wahl von Prag als Unterzeichnungsort, und schließlich auch speziell um den tschechischen Umgang mit diesem weltpolitischen Großereignis.

Moderator: Patrick, zur Sache muss man wohl nicht mehr viel sagen. US-Präsident Obama und der russische Präsident Medwedew haben am Donnerstag in Prag einen nuklearen Abrüstungsvertrag unterzeichnet. Sie verpflichten ihre Länder damit zu einer deutlichen Reduzierung ihrer Atomwaffenarsenale in den kommenden sieben Jahren. Was halten die tschechischen Kommentatoren von dem Vertrag?

Patrick Gschwend: Ich beginne mal mit einem Kommentar aus dem eigenen Haus. Er kommt von Jan Bednář vom sechsten Programm des Tschechischen Inlandsrundfunks. Bednář wirft Obama ein „Ja-Aber“ vor:

Barack Obama und Dmitri Medwedew  (Foto: Štěpánka Budková)
„Es scheint, dass Präsident Obama das überflüssige Atomarsenal loswerden will, das er aus der Zeit des Kalten Krieges geerbt hat. Gleichzeitig aber will und kann er nicht auf das Prinzip der atomaren Abschreckung selbst verzichten. Es ist also ein Kompromiss, auch wenn es zugleich ein wesentlicher Schritt zur Umsetzung seiner Vision von einer atomwaffenfreien Welt ist, über die er vor einem Jahr in Prag gesprochen hat. Obama will die ‚Denkweise des Kalten Krieges’ überwinden. Das ist aber, wie auch seine größten Anhänger eingestehen, eine Aufgabe für eine sehr lange Zeit. Wahrscheinlich für mehrere Generationen.“

Auch Adam Černý von der Hospodářské noviny hält den neuen Abrüstungsvertrag nur für einen ersten Schritt. Auf Obama warten noch weitaus schwierigere Aufgaben, schreibt Černý:

Dmitri Medwedew und Václav Klaus  (Foto: ČTK)
„Auf das Meisterstück Obamas in der internationalen Politik müssen wir noch warten. Es könnte Länder wie den Iran oder Nordkorea betreffen oder den Nahen Osten. Erst wenn ihm in diesen Fällen etwas gelingt, wird man sagen können, dass er den Friedensnobelpreis im vergangenen Jahr nachträglich abgearbeitet hat.“

Moderator: Das scheinen alles eher Obama-lastige Kommentare zu sein.

P.G.: Ja, denn Obama machen alle als die treibende Kraft hinter dem neuen Abrüstungsvertrag aus. Das halten ihm viele zu Gute. Einige aber greifen Obama auch offen an. Teodor Marjanovič gibt in der Mladá fronta dnes ein Beispiel für die tschechische Art konservativen Denkens. Für ihn geht die eigentliche Gefahr von Obama aus. Marjanovič hat die neue Nukleardoktrin der USA im Visier, die Obama vor wenigen Tagen formuliert hat. Die legt nämlich strengere Regeln für den Einsatz von Atomwaffen fest. Marjanovič schreibt:

Václav Klaus und Barack Obama  (Foto: Štěpánka Budková)
„Ein jeder mit terroristischen Absichten beginnt sich nun für biologische und chemische Waffen zu interessieren. Bei ihrem Gebrauch droht ja keine atomare Vergeltung, sagt man sich. Klar, die Welt war schon mehrmals am Rand verschiedener Apokalypsen. Aber erstmals ist nun der treibende Hebel Obamas offensichtliche Naivität. Halten wir uns fest, er hat noch mindestens drei Jahre Regierungszeit vor sich. Es sieht nach einer sehr gefährlichen Reise aus.“


Moderator: Das waren nun Kommentare gehört zu dem neuen Start-Vertrag an sich. Für Tschechien und für Prag war das ein außergewöhnliches Ereignis, dass der Vertrag gerade hier unterschrieben wurde. Wie haben die Kommentatoren denn das bewertet?

P.G.: Mit gemischten Gefühlen. Klar, die Augen der Welt waren auf Prag gerichtet. Prestige hat die Sache also sicher gebracht. Vom politischen Standpunkt her gesehen, wurde die Wahl Prags aber nicht so positiv kommentiert. Beispielhaft dafür steht der Kommentar von Jiří Franěk in der Právo. Er nennt zwei Gründe, warum der Vertrag in Prag unterzeichnet wurde:

Donald Tusk und Barack Obama  (Foto: ČTK)
„Erstens: Obama hat Prag ausgesucht, um uns anzudeuten, dass wir in seinen Augen irgendwo zwischen Amerika und Russland liegen. Kurz gesagt, irgendein kleines pupsiges neutrales Ländchen. Zweitens: Medwedew hat Prag ausgesucht, um uns anzudeuten, dass wir in seinen Augen immer noch zur russischen Einflusssphäre gehören. Kurz gesagt, irgendeine kleine, pupsige Statthalterei.“

Moderator: Da kommt mal wieder der typisch tschechische Minderwertigkeitskomplex durch.

P.G.: Klingt fast so, ja. Andere Kommentatoren weisen darauf hin, dass Tschechien bei der Vertragsunterzeichnung - genau wie schon bei Obamas Besuch vor einem Jahr - trotz seiner Gastgeberrolle eher Statist war. Und das, obwohl sowohl Obama als auch Medwedew ihren Pragbesuch auch zu bilateralen Gesprächen genutzt haben. Zudem kamen ja noch die Staats- oder Regierungschefs von zehn weiteren mittel- und osteuropäischen Ländern nach Prag. In der Hospodářské noviny schreibt dazu Daniel Anýž:

Unterzeichnung des Start-Vertrags  (Foto: Štěpánka Budková)
„Der Tisch ist verlockend gedeckt für diplomatische und politische Gespräche und informelle Vereinbarungen, aus denen irgendwann echte bindende Verträge werden könnten. Was also wollen wir mehr? Nur eine Kleinigkeit. Eine ordentliche funktionierende Regierung mit einem politischen Mandat, die große Gelegenheiten ausnutzen könnte. Tschechien bringt sich aus eigener Schuld schon eine längere Zeit um die Chance, als Gastgeber auch seine eigenen staatlichen Interessen klar zu definieren und möglicherweise auch durchzusetzen.“

Moderator: Eine nicht ganz unberechtigte Einschätzung.

P.G.: Sicher nicht. Eine andere Sache die kritisiert wurde, war die Berichterstattung in den tschechischen Medien. Darüber hat Jiří Hanák in der Právo einen bissigen Kommentar verfasst:

Barack Obama  (Foto: ČTK)
„Es ist ein Ereignis, dass sicher mehr als nur geringe Aufmerksamkeit verdient. Aber warum, verdammt, degradiert uns die Presse ausnahmslos und das Fernsehen vorzugsweise zu Untertanen, die mit großen Augen die Ankunft der fürstlichen Herren auf dem Landgut erwarten? Warum servieren sie uns in endlosem Geschwätz solch aufregende Informationen, wie die, dass das Flugzeug noch nicht auf dem Radarschirm ist, dass es schon näher kommt, dass der rote Teppich noch nicht ausgerollt ist, wo die durchlauchten Herren schlafen werden und ähnliche Wichtigkeiten. Da fällt mir ein: Haben die Präsidenten die Kugelschreiber, mit denen sie unterzeichnet haben, ausgetauscht? Und waren sie golden? Her mit dieser Information, sonst kann ich nicht einschlafen.“

Moderator: Vielleicht illustriert ja gerade auch diese Berichterstattung die gefühlte tschechische Statistenrolle, also das Gefühl, dass man ohnehin kaum Einfluss nehmen kann.

P.G.: Genau so sieht das Zbyněk Petráček in der Lidové noviny. Augenzwinkernd reduziert er den Einfluss der Tschechen darauf, die Laune von Präsident Obama zu heben. Aber auch hier haben die Gastgeber – mit Petráček geprochen - versagt:

Politiker beim Mittagessen auf der Prager Burg  (Foto: ČTK)
„Wenn Präsident Klaus und die anderen tschechischen Gastgeber echte Kerle wären, dann hätten sie Obama ein wirklich einmaliges Angebot unterbreitet und ihm gesagt: ‚Herr Präsident, es ist bekannt, dass Sie Raucher sind, obwohl das in Ihrer Heimat nicht besonders populär ist. Wissen Sie eigentlich, dass Sie sich in einem Land befinden, in welchem das flächendeckende Rauchverbot in Kneipen noch nicht Einzug gehalten hat? Wissen Sie, dass Sie in einem Land sind, in dem es kein Anti-Kuba-Embargo gibt?’“

Und wenn auch Obama ein echter Kerl wäre und sich das Angebot eines echten Prager Rauchvergnügens nicht entgehen lassen hätte, dann wäre Prag auf allen Titelseiten, so Kommentator Zbyněk Petráček.

Moderator: Die Havanna-Zigarre genehmigt sich Obama dann vielleicht bei seinem nächsten Prag-Besuch. Mittlerweile ist er ja – wie auch Medwedew – schon wieder abgeflogen.