„Nationalstolze sind die größten Narren“ – Mit Herder gegen Hitler 1937

Johann Gottfried Herder

In den Grenzgebieten der Tschechoslowakei mit überwiegend sudetendeutscher Bevölkerung brodelte es 1937 bereits heftig. Immer mehr deutschsprachige Einwohner sympathisierten mit dem Nationalsozialismus. Der damalige Direktor der Hochschulbibliothek in Prag, Antonín Moucha, richtete sich deshalb zu jener Zeit im Tschechoslowakischen Rundfunk an die deutschen Hörer. Mit Argumenten des Dichters und Philosophen Johann Gottfried Herder bezog er Stellung gegen die nationalsozialistische Ideologie. Hören Sie nun Antonín Mouchas Rede aus unserem Tonarchiv.

Johann Gottfried Herder, das ist jener, der neben Wieland, Goethe und Schiller zum klassischen „Viergestirn“ von Weimar gehört. Besondere Bedeutung erlangte er in der Geschichts- und Kulturphilosophie. Auf Herders Gedanken in diesem Bereich stützte sich der damalige Direktor der Hochschulbibliothek in Prag, Antonín Moucha, im Mai 1937 bei einem anti-nationalsozialistischen Appell an die sudetendeutsche Bevölkerung. In seiner Rede im Tschechoslowakischen Rundfunk klärte er seine deutschsprachigen Hörer deshalb zuerst einmal über Herder auf:

„Er hat die Wissenschaft von der Sprache ins Leben gerufen. Völkerkunde, Erdkunde, Religionsforschung und die Deutschkunde sind Kinder Herderschen Geistes. Dabei hat er, der so viel deutsches Geistesleben geweckt und in uns das Gefühl unserer Abstammung und des Zusammenhalts genährt hat, die Grenzen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit anderen Völkern gegenüber nie überschritten.“

Die Gerechtigkeit und Menschlichkeit gegenüber anderen Völkern gehört zu Herders zentralen Forderungen. Denn die Mächte der Geschichte – zum Beispiel Nationen – tragen ihren eigenen Wert jeweils in sich, so Herder. Er wandte somit die in der Aufklärung entstandene Idee der Toleranz auch auf andere Völker und Geschichtsepochen an. Kein Wunder also, das Antonín Moucha gerade mit Herders Schriften versuchte, die Ideologie der Nationalsozialisten zu widerlegen. Er begann mit einem Zitat Herders, das in seiner Aussage kaum deutlicher sein könnte:

„Unter allen Stolzen, halte ich die Nationalstolzen sowie die Geburts- und Adelsstolzen für die größten Narren. Was ist eine Nation? Ein großer ungejäteter Garten voll Kraut und Unkraut.“

Moucha wollte klarstellen, dass eine Nation zuerst einmal nichts ist, was verehrenswert wäre. Zwar sollten sich die Menschen für ihr Land einsetzen und es auch verteidigen, eine vorschnelle Verherrlichung sei aber nicht angebracht. Sie berge sogar die Gefahr, überheblich zu werden und sich als Folge daraus von anderen Nationen zu isolieren. Dies dürfe auf keinen Fall sein, wie Moucha betonte:

„So darf sich kein Volk Europas vom anderen abschließen und töricht sagen: Bei mir allein, bei mir wohnt alle Weisheit.“

So wenig, wie man verschiedene Früchte miteinander vergleichen könne, so wenig könne man Nationen miteinander vergleichen, sagte Moucha. Nur jemand, der die Weisheit der ganzen Welt hätte, dürfe sich als Richter über die Völker erheben. Dies könne aber weder ein Mensch, noch eine Nation sein:

„Der Weltweise ist allein Gott. Er überblickt die farbenreiche Karte des menschlichen Herzens und Geistes. Wir sammeln Fragmente dazu, die noch immer auf Berichtigung, Vermehrung und den vorurteilsfreien, hellen, beugsamen Geist warten, der jeder Nation ihren Himmel von Erkenntnis über ihrem duftenden Erdstrich von Empfindungen findet.“