Okkupation - die Zukunft Europas – eine affärengeschüttelte Regierung
Herzlich willkommen zum Medienspiegel am Ende dieser Woche. Es war gerade in den letzten Tagen viel los in der Politik. Unruhige Zeiten vor allem für die Regierung – und das hängt unmittelbar mit den Neuigkeiten in der tschechischen Medienlandschaft zusammen. Patrick Gschwend sprach mit Christian Rühmkorf, der in dieser Woche seine Nase wieder ganz tief in die tschechischen Zeitungen gesteckt hat.
Ch. R.: Daran erinnerten natürlich viele Zeitungen. Der Kommentator Karel Steigerwald von der „Mladá fronta Dnes“ blickt dabei ziemlich düster nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft.
„Vor 70 Jahren sind Horden von Menschenfressern in die böhmischen Landen eingefallen und zwar aus dem gebildetsten und zivilisiertesten Land der Welt, aus Deutschland. Hitler kam vor allem deshalb an die Macht, weil ihn die Bürger unterstützen (…). Den Tschechen erging es später nicht besser: Wie leicht und mit welchem Jubel tauschten sie die Demokratie gegen Stalins Unwesen aus. Bisher genügte immer wenig und ein geordneter, freier Staat brach ein in die Hölle des Totalitarismus. Mit Verachtung auf den Wahn der islamistischen Extremisten zu schauen, ist nicht angebracht: Es ist nicht lange her, da sah es im größten Teil Europas ähnlich aus(…).“
Abschließend heißt es im Kommentar: „Die Nationalsozialistische Okkupation (…) war nichts so Ungewöhnliches, dass sich so etwas in Zukunft, vielleicht anders oder woanders oder mit anderen Leitbildern nicht noch einmal abspielen könnte.“Moderator: In der Tat düster, was Karel Steigerwald von der „Mladá fronta Dnes“ da prophezeit.
Ch. R.: Und wenn wir nun schon leicht negativ angehaucht sind: Mein Blick fiel gleich auf die nächste Seite der Montagsausgabe der Zeitung auf einen interessanten Essay. Petr Robejšek schreibt unter dem Titel „Die neue Teilung Europas“: „Der Kontinent wird nicht durch die Europäische Kommission geführt, sondern wieder durch Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Russland.“
Moderator: Solche Artikel stoßen natürlich gerade zur tschechischen Ratspräsidentschaft auf Interesse. Petr Robejšek ist doch aber auch in Deutschland kein Unbekannter, oder?
Ch. R.: Nein. Er dürfte dort sogar bekannter sein als hier in Tschechien. Petr Robejšek ist Soziologe und Wirtschaftsexperte und hat die längste Zeit seines Lebens in Deutschland verbracht. Er war bis vor wenigen Jahren Leiter des Hauses Rissen, des renommierten Hamburger Instituts für Politik und Wirtschaft. Als schreibende Person also recht interessant, allein weil er mit einem Bein in Deutschland und mit dem anderen in Tschechien steht. Robejšek wirft fünf, sechs pessimistische Thesen in die Diskussion um Europa. Die Wichtigsten seien hier nur in aller Kürze wiedergegeben:1. Europa hat sein Einigungspotenzial verbraucht. Mit der Sowjetunion ist ein gemeinsamer Feind verloren gegangen; die Nationalinteressen schlagen wieder durch.
2. Die Handlungsfähigkeit der EU kann nur noch durch politischen und wirtschaftlichen Druck aufrecht erhalten werden.
3. Die unvollendete Einheitsvision hat dazu geführt, dass Deutschland abermals seine dominante Rolle in Europa einnimmt. Und zwar als einsamer Integrationsmotor.
4. Jeder richtet sich nach seinem eigenen Glück aus: Deutschland nach Osten, Frankreich – als Gegengewicht zu Deutschland – Richtung Mittelmeerregion und England. Und England hält Distanz zum Kontinent und enge Kontakte zu den USA. Und die Russen verstärken wieder ihren Einfluss auf die ehemaligen kommunistischen Länder.
5. Aus den politischen Schutthaufen des Kalten Krieges und der unfertigen Artefakte der Vereinigten Staaten von Europa taucht langsam die traditionelle europäische Machtarchitektur wieder auf.
Moderator: Klingt wie aus einem Geschichtsbuch. Aber des Negativen nicht genug: Ein großes Thema in dieser Woche war auch der Fall Fritzl aus Österreich. Der Prozess gegen den Mann hatte begonnen, der seine eigene Tochter fast ein Viertel Jahrhundert im eigenen Keller eingesperrt und fast täglich vergewaltigt hat. Daraus sind sieben weitere Kinder entstanden. Haben sich die tschechischen Zeitungen dafür interessiert?
Ch. R.: Ja, haben sie. Österreich ist ein Nachbarland. Da schaut man gern über den Zaun. Und so haben eigentlich alle Zeitungen ganzseitig oder sogar auf mehreren Seiten darüber berichtet, egal ob „Lidove noviny“, „Právo“ oder „Hospodářské noviny“. Der Fall Fritzl ist natürlich schockierend und zugleich interessant aus tausend verschiedenen Blickwinkeln. Aber er ist auch – muss man eigentlich sagen – so etwas wie ein Indikator. Dafür nämlich, wie stark manche Zeitungen hier bereit sind, in Richtung Boulevard zu driften. In der Ausführlichkeit, auch was Skizzen von Fritzls Haus und Phantombilder der anonym gebliebenen Tochter von Fritzl betrifft, da stach wieder einmal die „Mladá fronta Dnes“ hervor. Also: Es war und ist auch noch ein großes Thema. Aber sicher keines, an dem sich die Geister scheiden.
Moderator: Die Geister - zumindest der Politiker - scheiden sich aber an dem größten Medienspektakel dieser Woche: Nämlich an der Affäre Wolf. Diejenigen Hörer, die regelmäßig unsere Berichterstattung verfolgen, können damit etwas anfangen. Wir müssen aber vielleicht trotzdem den etwas komplizierten Fall noch mal in Erinnerung rufen:Ch. R.: Ja, die Affäre Wolf. Petr Wolf war bis zu seinem Parteiaustritt Sozialdemokrat und ein Abgeordneter der hinteren Bänke. Seit dem unterstützt er oft die Mitte-Rechtsregierung und ist für von Topoláneks politisches Überleben unverzichtbar. Wolfs Treiben außerhalb des Parlaments hat aber nun dazu geführt, dass die Regierung Topolánek am kommenden Dienstag durch ein Misstrauensvotum möglicherweise zu Fall gebracht wird. Mitten in der Ratspräsidentschaft. Wolf steht im Verdacht, schon vor einigen Jahren Fördergelder des Umweltministeriums veruntreut zu haben. Die Polizei ermittelt schon seit längerem gegen ihn. Aber nicht nur die, sondern auch das Tschechische Fernsehen. Am Montag sollte nun eine Reportage Licht ins Dunkel bringen. Das Material war heiß und erhärtete den Veruntreuungsverdacht. Eine Gefahr für Topolánek, denn er ist auf Wolfs Stimme angewiesen. Kurz vor der Ausstrahlung sandte er also seinen bekannten Lobbyisten-Freund Dalík aus, der Wolf medial unter die Arme greifen sollte. Dalík versuchte also bei einem Treffen mit dem Journalisten die Ausstrahlung der Reportage zu verhindern. Beeinflussung der Medien also. Das musste der Premier dann auch teilweise im Parlament einräumen. Unmoralisch, unannehmbar, wie die Opposition findet. Daher das Misstrauensvotum.
Moderator: Wie haben denn die Medien diesen Medienfall bewertet? Alle verurteilen sicher die Einflussnahme von Topolánek.Ch. R.: Ja, auf´s Schärfste. Aber die Opposition kommt dadurch auch nicht besser weg: Daniel Kaiser von der Tageszeitung „Lidové noviny“ kauft den Sozialdemokraten ihr Moralisieren nicht ab und schreibt: „Der einzige wahre Grund für das Misstrauensvotum ist: PAROUBEK rechnet damit, dass TOPOLANEK nicht mehr genügend Abgeordnete hat, die ihn stützen.“
Der Journalist Petr Kamberský meint in der Tageszeitung „Hospodářske Noviny“, Paroubek käme durch einen Sturz der Regierung nicht automatisch an die Macht. Neuwahlen seien jetzt kaum durchsetzbar. Kamberský schreibt:
„Das primäre Ziel für den Sturz der Regierung ist, Topolánek aus dem Rampenlicht der EU herauszuholen, das ihm Glanz verleiht.“Moderator: Die Affäre Wolf und der Druck auf die Medien. Aus deutscher Perspektive sicher ein Skandal, den eine Bundeskanzlerin Merkel politisch nicht überleben würde. Aber wir sind ja in Tschechien. Andere Länder, andere Sitten.
Ch. R.: So ist es. Vor dem Misstrauensvotum werden jetzt natürlich die fraktionslosen Abgeordneten wie auf einem Rechenschieber von links nach rechts und von rechts nach links gezerrt. Also, sicher ist: Der Stoff wird den Medienmachern auch in der kommenden Woche nicht ausgehen.
Moderator: Das war es für heute im Medienspiegel. Einblicke in das aktuelle Mediengeschehen dieser Woche präsentierte Ihnen Christian Rühmkorf.