1939 – Tschechische Arbeiter „heim ins Reich“
Arbeiter-Migranten von Tschechien nach Deutschland gab es schon immer. 1938 fragt das Deutsche Reichsarbeitsministerium allerdings erstmals bei der Prager Regierung an, ob in der Tschechoslowakei Arbeitskräfte geworben werden dürfen. Die Behörden in Prag reagieren reserviert. Doch die deutschen Werbebüros verzeichnen Zulauf. Gute Löhne und angenehme Arbeitsbedingungen werden versprochen. Die Abfahrt eines Sonderzuges mit tschechischen Arbeitern nach Deutschland wurde vom Rundfunk begleitet.
Tschechische Arbeiter machen sich hier am 5. Juni 1939 auf den Weg nach Deutschland, ins Großdeutsche Reich. Im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren sind die Arbeitsplätze knapp. Etwa 100.000 Arbeitslose werden schon 1938 zu Beginn des Protektorats verzeichnet. Nach der Unterzeichung des Münchner Abkommens im November 1938 und dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Prag im März 1939, nutzen die Nationalsozialisten die Notlage der Menschen schamlos aus. Geld und angeblich gute Arbeitsbedingungen sollten möglichst viele Arbeitslose nach Deutschland locken.
„Viele hunderte von Männern und Frauen sind hier in der Bahnhofshalle versammelt. In kleinen Gruppen stehen die Arbeiter mit ihren Angehörigen und Freunden beisammen, um noch einmal die wichtigsten Dinge zu besprechen und in herzlichen ernsten Worten Abschied zu nehmen. Und eben hat jeder der Fahrtteilnehmer von unseren braven Schwestern der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) Prag noch ein Paketchen mit der notwendigsten Wegzehrung, mit Zigaretten und allen möglichen guten Dingen für die lange Fahrt mitbekommen.“
Ein Beauftragter des Reichsarbeitsministeriums wird ans Mikrofon gebeten. Er soll über – so wörtlich – „dieses Ereignis der Arbeitsverschaffung und Arbeitsvermittlung für viele hunderte tschechische Arbeiter aus dem Protektoratsgebiet“ einige Worte sagen.
„Die Verwirklichung der Erfassung der Tschechen für den Arbeitseinsatz im Reich hat am 23. März begonnen und wird seitdem mit etwa 35 besonders geeigneten Arbeitsvermittlern des Deutschen Reiches im ganzen Gebiet Böhmen und Mähren in engster Verbindung mit dem tschechischen Sozialministerium durchgeführt. Bisher wurden bereits rund elftausend tschechische Arbeitskräfte eingesetzt. Und so fahren augenblicklich täglich etwa zwei Sonderzüge.“
Anfangs meldeten sich die Arbeitswilligen noch aus freien Stücken. Ab Juni 1939 aber war jeder Erwerbslose dazu verpflichtet sich in deutschen Werbebüros zu melden. Wer sich weigerte, bekam keine Arbeitslosenunterstützung mehr gezahlt. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stieg der Bedarf nach Arbeitskräften in der sogenannten kriegswichtigen Industrie stark an. Ab sofort konnte jeder zur „Arbeit im Reich“ herangezogen werden. Über eine halbe Million tschechischer Arbeiter wurden bis Mitte 1944 eingezogen. Nach dem Überfall auf Polen wurden weitere hunderttausende Kriegsgefangene und Zivilisten zum Arbeitseinsatz ins „Reich“ verschleppt. Die Unterbringung der Zwangsarbeiter verschlechterte sich im Verlauf des Krieges. Harte Arbeitsbedingungen und schlechte hygienische Verhältnisse kosteten Tausenden von ihnen das Leben.