Neue Lebenspartnerschaften
Die Institution "Ehe" - das herkömmliche Familienbild nach dem Muster Vater - Mutter - Kinder inklusive - gilt für die überwiegende Mehrheit der Tschechen nach wie vor als Lebenspartnerschaft Nummer Eins. Zu deren Akzeptanz bekennen sich bei wiederholten Umfragen über 80 Prozent der Befragten. Gleichzeitig gibt es aber auch dort eindeutige Signale, dass dieses klassische Familienmodell für immer mehr Menschen, vor allem aber junge Paare, zum Auslaufmodell wird. Mehr zu diesem Thema von Jitka Mladkova.
Derzeit leben in Tschechien ca. 50 Tausend Paare in einer "wilden Ehe", "mit dem Hundebuch" oder "auf dem Häufchen", wie der Volksmund die Lebensgemeinschaft ohne Trauschein bezeichnet. Eine geringe Zahl im Vergleich zu den insgesamt 2,3 Mio traditionsgemäß vermählten Paaren, doch der Trend ist im Steigen. 1999 wurde die bisher niedrigste Zahl der Eheschließungen seit 1918 verzeichnet. Der letzte Babyboom, der sich in den 70-er Jahren in der damaligen Tschechoslowakei abgespielt hatte, wird offensichtlich nicht durch höhere Hochzeitsraten reflektiert.
Fast dreißig Jahre lang belegte die Ex-Tschechoslowakei mit ihren heiratswilligen 18-jährigen Bräuten die vorderen Plätze der europäischen Tabelle. Auch das hat sich in kurzer Zeit dramatisch verändert. Die Hochzeit wird altersmäßig auf einen wesentlich späteren Termin verschoben. Sehr oft wird sie erst dann aktuell, wenn ein Kind geplant oder bereits auf dem Wege ist. Der Trauschein gilt nicht immer als Voraussetzung für das Kinderkriegen, auch hier ist die Tendenz steigend. Gegenwärtig wird fast ein Fünftel aller Kinder unehelich geboren, was einem etwa 100-prozentigen Anstieg in den letzten acht Jahren entspricht. Nun, wo liegen die Ursachen dieser Entwicklung? Ist sie als bloße Nachahmung des Lebensstils zu deuten, der sich in Westeuropa längst durchgesetzt hat?
Zum Teil schon, räumen einheimische Soziologen, Psychologen sowie auch mancher Politiker ein. Diesbezüglich stützen sie sich in ihrer Meinung auf Ergebnisse verschiedener Umfragen bzw. auf fachlicher Basis durchgeführter Forschungen, die eine Trendwende, z.B. im Sexualverhalten junger Leute signalisieren. Nicht selten ist von einer Sexualrevolution die Rede. Die Hauptgründe sehen die Experten jedoch vorrangig in der neuen gesellschaftspolitischen Situation im Lande. Diese bietet einerseits neue Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung an, die es früher nicht gab - das Reisen, Studienaufenthalte im Ausland, auch zunehmende ökonomische Unabhängigkeit der Frauen usw., andererseits wirken sich negative Erscheinungen ebenfalls maßgeblich aus - wie der seit 10 Jahren erlahmte Wohnungsbau und die faktische Unerschwinglichkeit einer Wohnung für den Großteil potentieller heiratswilliger Ehepaare. Kurzum, es ist ein echtes Gemisch von Gründen, die die Menschen auf den Trauschein verzichten lassen. Die Tschechen sind immer noch nicht daran gewöhnt, jede Handelspartnerschaft vertraglich zu fixieren und, leicht übertrieben gesagt, für jeden Ziegelstein ein Dokument zu haben.
Im Gegensatz dazu ziehen sie in Sachen einer für das Leben substantiellen Verbindung zweier Menschen zunehmend einen - rechtlich gesehen - großen Freiraum vor, den für sie eine trauscheinfreie Lebensgemeinschaft darstellt. Von denjenigen, die sich für eine solche entschlossen haben, dürfte sie nach Meinung von Psychologen als eine Art des letzten Freiheitsraums wahrgenommen werden, in dem es noch gelingt, den Fesseln institutioneller Gepflogenheiten zu entkommen. Diese Erklärung müsste aber nicht unbedingt als spezifisch tschechisch gedeutet werden.