Nicht nur eine Frage für Experten: Deutsch-tschechisches Frauenforum lädt zu öffentlicher Diskussion über Benes-Dekrete
Um die seit einem halben Jahr wieder entfachte Debatte um die Benes-Dekrete nicht nur Politikern und Experten zu überlassen, hatte das Deutsch-tschechische Frauenforum am Donnerstag die Öffentlichkeit zu einer Diskussion zu diesem Thema geladen. Ort des Geschehens: die Bibliothek der Versöhnung in Liberec/Reichenberg. Silja Schultheis hat sich für Radio Prag dorthin begeben.
"Verhindern die Benes-Dekrete den tschechischen EU-Beitritt?" - Zu dieser Frage nahmen aus unterschiedlicher Perspektive vor ca. 70 Zuhörern 3 Experten Stellung: der Historiker Jan Pauer von der Bremer Forschungsstelle Osteuropas, der Rechtswissenschaftler Christian Tomuschat von der Berliner Humboldt-Universität sowie der Prager Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Karl-Peter Schwarz. Zugrunde gelegt wurden dabei v.a. Fragen, die die Bevölkerung bereits im Vorfeld an die beiden Veranstalterinnen vom Deutsch-tschechischen Frauenforum, Vera Vohlidalova und Ingrid Lottenburger, gerichtet hatte. Schwarz betonte gleich zu Beginn, dass die Diskussion um die Dekrete für ihn in erster Linie weder eine rechtliche, noch eine historische Frage sei:
"Für mich ist das eine ganz ursprüngliche moralische Frage, was richtiges Verhalten ist und was falsches Verhalten ist und was die Werte sind, auf denen eine Gesellschaft beruhen muss."
Diese moralische Frage, so die Meinung des Historikers Jan Pauer, solle jedoch gesondert behandelt und nicht mit historischen wie rechtlichen Fragen in einen Topf geworfen werden:
"Es kann keinen Schlussstrich unter moralischen Fragen geben, in der Bewertung der Geschichte. Die nimmt jede Generation für sich von neuem vor. Dort gibt es eine permanente Umbewertung. Einen Schlussstrich gibt es aber wohl in der Frage von Rechtsansprüche. Besonders wenn eine Seite daraus eine politische Kampagne macht, wie es in den letzten Jahren der Fall war."
Eben jene Angst vor Rechtsansprüchen seitens der Sudetendeutschen, so erinnerte Moderator Jaroslav Sonka von der Europäischen Akademie in Berlin, sei eines der Themen, das viele Tschechen am meisten beschäftigte.
Zu Unrecht, wie Professor Tomuschat von der Berliner Humbold-Universität in seiner Stellungnahme zu den Dekreten feststellte:
"Ich habe diese Frage so eingehend wie möglich untersucht in meiner Stellungnahme und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Vermögensfragen in keiner Weise eine Bedrohung der heutigen tschechischen Eigentümer darstellen. Das sind alles Fragen, die nicht in die Zuständigkeit der Europäischen Union."
Als die Diskussion ins Auditorium verlagert wurde, meldete sich u.a. die Bürgermeisterin einer Gemeinde im Grenzgebiet zu Wort, aus der nach dem Krieg die Sudetendeutschen vertrieben wurden. Von Angst vor den Deutschen wollte sie nichts wissen:
"Auf der Ebene der Kommunalpolitik im gesamten Grenzgebiet kam es seit 1990 zu zahlreichen zwischenmenschlichen Kontakten. Hier gibt es keine Probleme, miteinander zu kommunizieren. Und uns stört es wahnsinnig, zu was für einer unnötigen Verhärtung es in letzter Zeit gekommen ist. Und ich erlaube mir zu sagen: die größten Probleme mit der sudetendeutschen Frage gibt es in Prag."
Dies nur einige wenige Auszüge aus der etwa dreistündigen intensiven Diskussion, bei der naturgemäß viele Fragen unbeantwortet bleiben mussten. Als Anregung für die weitere Beschäftigung konnten Interessierte am Büchertisch Einblick in zahlreiche Publikationen zum Thema nehmen - eine Bibliographie kann beim Deutsch-tschechischen Frauenforum bestellt werden - und Dokumente wie z.B. die unterschiedlichen Rechtsgutachten zu den Benes-Dekreten mit nach Hause nehmen.
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