Noch immer ambivalent: Der Zerfall der Tschechoslowakei vor 10 Jahren

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Bereits vor kurzem haben wir im Programm von Radio Prag eine Beitragsserie zur Teilung der Tschechoslowakischen Republik vor zehn Jahren gesendet. Am bevorstehenden Neujahrstag ist es nun so weit: Sowohl die Tschechische als auch die Slowakische Republik werden ihren 10 Geburtstag feiern. Aus diesem Anlass wenden wir uns nochmals diesem Thema zu und stellen uns die Frage: Wie wurde damals - und wie wird heute - dieser Teilungsprozess von Bevölkerung und Experten gesehen? Hören Sie mehr im folgenden Beitrag von Gerald Schubert:

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Die Teilung der Tschechoslowakei vor zehn Jahren ist dieser Tage eines der beherrschenden Themen in der tschechischen Medienlandschaft. Sicher mag dies zum Teil daran liegen, dass die aktuelle Politik zwischen Weihnachten und Neujahr traditionell wenig neues zu bieten hat. Und natürlich auch daran, dass beide Staaten, also die Tschechische und die Slowakische Republik, am 1. Januar immerhin das zehnjährige Jubiläum ihres Bestehens und damit ihren ersten runden Geburtstag feiern. Doch es wäre falsch, nur diese Äußerlichkeiten zu sehen. Denn tatsächlich ist jene Teilung noch heute ein Thema in der Definition nationalen Selbstbewusstseins. Zwar beurteilt die Mehrheit der Bürger beider Staaten diese heute positiv, doch gibt es im Hinblick auf die ehemalige Föderation immer wieder auch nostalgische Töne. Aufgrund des friedlichen Verlaufs der Trennung und dank der Tatsache, dass aus ihr zwei unabhängige, demokratische Staaten hervorgegangen sind, die heute an der Schwelle zum EU-Beitritt stehen, ist die Zahl der Befürworter im Laufe des vergangenen Jahrzehntes jedenfalls gestiegen. 1992/93 jedoch sah dies noch ganz anders aus, wie der Soziologe Jan Hartl erklärt:

"Ich glaube, die Unterstützung für eine Teilung der Tschechoslowakei betrug damals etwa 35 bis 40 Prozent. Es ging aber vor allem darum, dass die politischen Repräsentanten beider Teile der Republik miteinander unvereinbar waren. Und weil das den gesamten demokratischen Mechanismus lähmen, ja zum Stillstand hätte bringen können, gewann die Teilung des Staates immer mehr Befürworter."

Doch wie gesagt: Nicht nur vor und im Zuge der Teilung, sondern vor allem nachher ist die Zahl derer, die in der Entstehung zweier unabhängiger Staaten eher Vorteile sehen, eindeutig gestiegen. Dennoch aber, und hier liegt das eigentümliche an der Thematik, will heute niemand so recht die volle Verantwortung übernehmen für das, was vor zehn Jahren geschehen ist. Ex-Premier Vaclav Klaus, der damals mit seinem slowakischen Gegenüber Vladimir Meciar die Trennung vollzogen hat, schrieb anlässlich des nunmehrigen Jubiläums einen langen Artikel für die Tageszeitung Mlada Fronta Dnes. Das Fazit dort: Vor allem die Slowaken hätten die Teilung gewollt. Und außerdem sei diese durch wachsenden Nationalismus unvermeidlich gewesen. Abgesehen davon, dass letzteres das genaue Gegenteil von dem ist, was der Soziologe Hartl zu konstatieren glaubte, ist vor allem eine gewisse Scham im Umgang mit dem Thema spürbar. So, wie keiner besonders stolz auf eine Zweck-Ehe ist, so ist hier auch niemand stolz auf eine Zweck-Scheidung.

Wenn dereinst aber die EU-Erweiterung solche Fragen mehr oder weniger obsolet machen wird, dann könnte der Wert des europäischen Integrationsprozesses auch gerade daran messbar sein.