"Gute Adresse" in Prag
Von Martina Schneibergova.
Wenn man in Prag von einer guten Adresse spricht, fallen einem Prager gleich die Villenviertel im sechsten Prager Stadtbezirk - wie Hanspaulka oder Orechovka - oder vielleicht auch die touristisch attraktive Kleinseite ein. Die Immobilienbüros bestätigen diese allgemein verbreitete Meinung - denn Häuser im erwähnten Villenviertel sind ca. viermal teurer als ähnliche Gebäude im anderen Prager Stadtviertel und ein Quadratmeter in einer Wohnung auf der Kleinseite kostet oft mehr als 100.000 Kronen - umgerechnet also ca. 5.500 DM.
Es gibt heutzutage jedoch auch andere Prager Stadtteile, die sich inzwischen zu Luxusvierteln entwickelten und deren Bewohner, wenn nicht gleich zu den "oberen Zehntausend", dann zu den erfolgreichen Unternehmern gerechnet werden können. In einen ähnlichen vornehmen Stadtteil verwandelte sich in den letzten Jahren beispielsweise das einst selbständige, und inzwischen eingemeindete Dorf Nebusice im Nordwesten der tschechischen Hauptstadt. Bis auf einige Ausnahmen - wie z. B. die Prager Burg samt Umgebung, die schon immer zu begehrten Adressen gehörten - hat sich der Geschmack der reichen Bewohner der Moldaumetropole während der Jahrhunderte doch entwickelt und geändert.
Im Mittelalter bemühte sich die herrschende Schicht möglichst nahe der Prager Burg zu wohnen - wenn möglich direkt auf dem Burggelände. Dort lebte der Fürst mit seinem Gefolge, Adelige und der Bischof. Prager Archivar Vaclav Ledvinka zufolge war die Burg fast während seiner ganzen Geschichte verhältnismäßig dicht bebaut. Neben dem Herrscher hatten dort auch die einflussreichsten Adeligenfamilien ihren Sitz. Die reichsten Patrizier ließen ihre vornehmen Steinhäuser nahe der wichtigen Verkehrsadern der Prager Altstadt errichten - vor allem um den Altstädter Ring herum und in der Umgebung der Märkte. Arme Leute wohnten in der damaligen Vorstadt - z. B. am rechten Moldauufer im Stadtteil "Na Frantisku" oder auch in der Neustadt in Podskali unweit des Vysehrad.
Der Geschmack der wohlhabenden Prager hat sich in der frühen Neuzeit geändert. Im 16. Jahrhundert versuchten sie schon, wenigstens vorübergehend vor dem Stadtlärm in grüne Oasen außerhalb der Stadt zu flüchten um sich dort zu entspannen. Neben ihren Häusern in der Stadt ließen sie sich Lustschlösser - vor allem in den Weinbergen errichten, die sich seit den Zeiten Karl IV. um die Stadt herum erstreckten. Ähnliche Lustschlösser gab es beispielsweise in den heutigen Stadtteilen Kosire oder Jinonice sowie in Vinohrady - den Königlichen Weinbergen.
Im 19. Jahrhundert hat sich der Geschmack wieder geändert. Wohlhabende Schichten suchten nach ruhigeren Stadtteilen, wo man damals noch bauen konnte. Neue Häuser entstanden in der Zeit sowohl am rechten Moldauufer beim Nationaltheater, als auch am linken Ufer im Stadtteil Smichov. Ihren Prestige-Stadtteil hat auch die einflussreiche Prager deutsch-jüdische Bevölkerung gefunden. Vaclav Ledvinka zufolge stellte die Straße Na Prikope/Am Graben das Zentrum der wohlhabenden deutschsprachigen Prager dar.
Für den Schwerpunkt des tschechischen Gesellschaftslebens werden zu der Zeit eher die Straße Narodni/die Nationalstraße und ihre Umgebung gehalten. Namhafte sowie reiche Prager wohnten in den heutigen Straßen Spalena, Jungmannova oder Karoliny Svetle. In der Zeit zogen arme Menschen eher in die Prager Vorstädte um, wo sich inzwischen die Industrieproduktion rasant entwickelte. Zu diesen Vorstädten gehören die heutigen Stadtviertel Smichov, Liben oder auch Zizkov.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts begannen vornehme Stadtbewohner das Wohnen in Luxusvillen zu bevorzugen. Diese Tendenz setzte sich vollständig nach dem Ersten Weltkrieg durch. Damals entstanden viele Villen im bereits erwähnten heutigen sechsten Stadtbezirk - in Orechovka, Baba - aber auch im heutigen vierten und dritten Stadtbezirk. Oft wurden diese Villen von namhaften Architekten entworfen - wie z. B. Adolf Loos, Pavel Janak und Jan Kotera.
Seit dem Anfang des Zweiten Weltkriegs kann man eine negative Tendenz, was den Zustand des Prager Wohnbaus betrifft, verzeichnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden hauptsächlich massenweise Plattenbausiedlungen erbaut. Obwohl Vaclav Ledvinka zufolge auch während des kommunistischen Regimes eine reiche Elite entstanden sei, die in Villen residierte. Zusammenhängende Villenviertel seien damals - so der Archivar - in Prag jedoch nicht entstanden.
Zu einem richtigen Boom im luxuriösen Wohnbau kam es erneut erst nach der Wende von 1989. Am stillen Stadtrand entstehen eine Art Prestigedörfer. Mit diesen luxuriösen Siedlungen ist der Begriff des sogenannten "unternehmerischen Barock" verbunden, der deren Kitschigkeit verspottet.
Wie bereits gesagt, haben sich die wohlhabendsten Bevölkerungsschichten Prags während der Jahrhunderte in verschiedenen Stadtteilen konzentriert. Heute scheint es, dass die Reichsten in Villenvierteln oder am Stadtrand, bzw. außerhalb der Hauptstadt in den neuentstandenen sogenannten "Satellitenstädtchen" wohnen. Diese bilden eine Art Luxusghettos in den Prager Vorstädten.
Prager Immobilienbüros bestätigen zugleich, dass die Villenviertel aus der Zeit der Ersten Republik ständig lukrativ und hochgefragt sind. Neben dem Anfangs erwähnten Hanspaulka, wo ein Haus auch viermal mehr als ein ähnliches Haus in der Vorstadt kosten kann, ist auch der Stadtteil Bubenec höchst beliebt und damit entsprechend teuer. Die in Bubenec untergebrachten zahlreichen Botschaften und andere Vertretungen tragen jedoch dazu bei, dass das ganze Stadtviertel nur wenig lebendig scheint.
In Hanspaulka, bzw. Orechovka wohnen viele bekannte Persönlichkeiten, die ihre Villen entweder geerbt oder sie in den sechziger Jahren gekauft haben, als diese Häuser allmählich baufällig wurden. Zu den Bewohnern des Villenviertels gehören beispielsweise der namhafte Dirigent Libor Pesek oder der Maler Jiri Anderle. Nach Meinung von Ivo Gavlas, dem Chef eines der bekanntesten Immobilienbüros in Prag, gibt es jedoch reiche Leute, die Luxuswohnungen einer Villa bevorzugen. Hoch geschätzt werden deswegen renovierte Wohnungen auf der Kleinseite.
Archivar Karel Ledvinka, der sich mit dem Thema des Wohnens in Prag beschäftigt, behauptet in diesem Zusammenhang, es sei vor allem unter wohlhabenden Künstlern und Intellektuellen modisch, historische Wohnungen im Stadtzentrum zu bewohnen. In Prag lebende reiche Unternehmer und Ausländer wohnen jedoch vor allem in den Satellitenstädtchen am Stadtrand. Für eine der besten Adressen gilt das bereits erwähnte, einstige Dorf Nebusice.
Im Volksmund werden die Hunderte von Villen eine "amerikanische Stadt" genannt. Sie sind nämlich in der Nähe einer internationalen Schule erbaut worden, und ihre Bewohner sind vor allem Ausländer. Auch wenn es keinen Zaun um die Gemeinde herum gibt, erinnert sie trotzdem an ein Ghetto. Inmitten der Villen hat eine Sicherheitsagentur ihren Sitz. Unbekannte Besucher des Villenareals werden kontrolliert.
Auch für Nebusice ist - wie für die Mehrheit ähnlicher neuer Luxussiedlungen - der Baustil typisch, den man als den sogenannten"Unternehmer-Barock" bezeichnet. An den kitschigen Bauten vermischen sich die verschiedensten Baustile mit dem einzigen Ziel, dem Gebäude ein möglichst vornehmes Aussehen zu verleihen. Man tauschte die graue Farbe der Plattenbauten gegen übertriebene Üppigkeit, erläutert Pavel Svacha vom Institut für Kunstgeschichte den Trend der letzten Jahre. Was für Elemente sind also für den "Unternehmer-Barock" typisch?
Man findet da Häuser a la "Almenhütte" - es handelt sich dabei um einen Import aus bayrischen Katalogen. In den Luxusstädtchen am Prager Stadtrand wirken diese Häuser doch als ein fremdes Element.
Ein sogenannter "magischer Bogen" kommt sehr oft vor. Denn Bögen aller Art sind sehr beliebt und werden hauptsächlich über den Fenstern hochgespannt.
Türmchen aller Art sind auch beliebt und verbreitet. Die Nachfrage nach Türmen geht von der Überzeugung aus, dass ein turmloses Dach allzu arm wirken dürfte.
Und nicht zuletzt sind wieder all mögliche Balustraden wieder modisch. Meistens werden sie zwecklos benutzt - nur um dem Gebäude mehr pompösen Charakter zu verleihen.
Was treibt oder besser gesagt lockt die wohlhabenden Menschen in diese künstlichen Trabantstädtchen? Nach Meinung der Vertreter der Immobilienbüros spielt bei deren Entscheidung das Gefühl der Sicherheit eine wichtige Rolle. Ivo Gavlas stellte fest, dass man in diesen Städtchen beispielsweise keine Anzeichen von Rassismus erlebt, weil dort viele Nationalitäten und Rassen leben.