Die Geschichte von Radio Prag
Im folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte können Sie den zweiten Teil über die 65jährige Geschichte von Radio Prag hören. Katrin Bock berichtet heute über die Jahre nach 1948.
Radio Prag kann in der Tat auf ein bewegtes Leben zurückblicken. 1936 als Sprachrohr der demokratischen tschechoslowakischen Republik entstanden, war es bereits zweieinhalb Jahre später, nach der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren am 15. März 1939, wieder aus dem Äther verschwunden. Nach sechs Jahren erzwungenen Schweigens meldete sich Radio Prag nach der Befreiung der Tschechoslowakei im Mai 1945 meldete wieder zu Wort - als Sender eines demokratischen Landes, das seinen Standpunkt zwischen Ost und West suchte. Doch diese Periode war erneut von kurzer Dauer. Mit der Machtergreifung der Kommunisten im Februar 1948 verkam Radio Prag zu einem Propagandasender des Sozialismus. Die frühen 50er Jahre gehören hierzulande zu den dunklen Kapiteln der Geschichte. Von den politischen Säuberungen innerhalb der Kommunistischen Partei und der Gesellschaft blieb auch Radio Prag nicht verschont. Sein damaliger Chef, Bedrich Gminder gehörte zu den 14 Hingerichteten im sog. Slansky-Prozess, dem grössten politischen Prozess der 50er Jahre. Auch andere Mitarbeiter von Radio Prag waren von den Säuberungen betroffen. So berichtet Lenka Reinerova, die damals bei Radio Prag arbeitete:
"Eines Tages teilte man mir also mit, dass ich in einigen Tagen nicht mehr zu kommen brauche. Warum, das wurde in den 50er Jahren nie gesagt, warum. Ich konnte mir das aber irgendwie erklären, denn einige Tage zuvor ist der Direktor der Auslandssendungen, ein Mann namens Gminder, nachdem er aus dem Rundfunk nach Hause kam, verhaftet worden. Ich kannte diesen Mann noch vor dem Krieg irgendwie, das war ein alter Kamarad von mir. So hatte ich das Gefühl, da muss irgendwie ein Zusammenhang bestehen. Und in der Tat, ich wurde vom Rundfunk entlassen und bin ein paar Wochen später selbst verhaftet worden. Daswaren die 50er Jahre und das Ende meiner Rundkfunkkarriere."
Eine Reihe von Redakteuren erging es wie Lenka Reinerova. Neue Mitarbeiter kamen, die im Sinne der neuen Machthaber dachten. Zu ihnen gehörte auch der Schriftsteller Arnost Lustig, der später in die USA emigrierte und heute mit genügend Abstand auf jene nicht gerade rühmlichen Jahre blickt:
"Die guten haben sie alle rausgeschmissen, die waren zehn Mal besser als wir. Wir waren jung und haben an den Kommunismus geglaubt. Es dauerte 10 Jahre bis wir herausgefunden haben, dass nicht alles so war, wie wir annahmen. Wir dachten, alles ist in Ordnung, es war unsere Welt als junge Kommunisten, die wir von Nazis und dem Verrat von England und Frankreich 1938 genug hatten. Wir dachten, dass wir am richtigen Ort das Richtige tun. Aaber wir taten es nicht, und hatten keine Ahnung davon."
Es war die Zeit des Kalten Krieges, während der sich die Medien des Ostens und Westns heftige Presseschlachten lieferten - auch Radio Prag war ein Kalter Krieger und das in 12 Sprachen und rund 20 Stunden täglich. In eigens eingerichteten Redaktionen für Sendungen in das kapitalistische Ausland und in Entwicklungsländer wurden die Vorteile des Sozialismus gepriesen. Dennoch erfreute sich Radio Prag in aller Welt einer grossen Zuhörerschaft, insbesondere in den 60er Jahren, als sich der beginnende Prager Frühling auch in den Sendungen von Radio Prag widerspiegelte. Die Veränderungen in der Tschechoslowakei verfolgten auch im Westen viele mit einigen Hoffnungen. Richard Seemann, damals Mitarbeiter der österreichischen Redaktion, erinnert sich;
"Gerade die 60er Jahre waren, kann man sagen, eine Blütezeit offener Rundfunksendungen nach aussen hin. Das war ein Ergebnis der allgemein gelockerten politischen Lage, die dann in den bekannten Prager Frühling im Jahre 1968 ausmündete. eigentlich waren es vor allem die Journalissten, also auch wir im Rundfunk, die den Prager Frühling einleiteten und mitgestalteten."
Den 21. August 1968, den Tag an dem russische Panzer durch Prager Strassen rollten, erlebten die meisten Mitarbeiter von Radio Prag im Rundfunkgebäude in der Vinohradska, in unmittelbarer Nähe des Wnezelsplatzes. Um das Gebäude wurde ein regelrechter Kampf geführt, bei dem 20 Menschen starben. Nach einer kurzen Sendepause gelang es den Mitarbeitern von Radio Prag am 22. August wieder auf der gewohnten Frequenz 6055 auf Sendung zu gehen. Für rund 2 Wochen sendete man aus einer Villa im Prager Stadtteil Nussle, Richard Seemann war einer von Redakteuren:
"Wir berichteten in allen Weltsprachen und immer das Aktuellste - über den Verlauf der Okkupation, über verschiedene Initiativen, Widerstandsaktionen, Reaktioenn der Bevölkerung, Hinweise für Ausländer, die sich auf tschechoslowakischen Gebiet befanden, Informationen für ihre Familienangehärigen und ähnliches mehr. Die Umstände waren natürlich sehr erschwert, aber Hauptsache es wurde gesendet."
Allerdings wurden die Sendungen immer wieder von Moskau gestört. Nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings setzte die Normalisierung ein. Zahlreiche Mitarbeiter von Radio Prag, die sich zuvor engagiert hatten, wurden entlasen. Radio Prag diente erneut als Propagandainstrument der Kommunistischen Partei. In den einzelnen Redaktionen wurden von einer Zentralredaktion verfasste Berichte übersetzt. Jaroslava Majerova, die 22 Jahre lang zur Touristensprechstunde eingeladen hat, erinnert sich an die tristen Jahre der Normalisierung: "Für uns, die nicht Parteigenossen waren, hiess es in einer Atmosphäre ständiger Verdächtigungen, Misstrauens, Unfreiheit und Erniedrigung zu arbeiten. Die kleinste Revolte bedeutete auf einem Arbeitsplatz als manueller Hilfsarbeiter zu landen."
Die einzigen Nischen existierten in Kultur- und Touristiksendungen. Hier fand Radio Prag eine treue Zuhörerschaft, die vor allen Dingen den guten Kontakt zu den Hörern lobte. Damals gab es Abteilungen, die nur mit dem Beantworten von Hörerpost beschäftigt waren, rund 50 Briefe pro Tag trafen für Radio Prag ein. In den 70er und 80er Jahren arbeiteten über 200 Menschen für Radio Prag, heute sind es rund 60. 1972 ging das Interprogramm auf Sendung. Zunächst auf Kurzwelle, bald auch auf Mittelwelle und sogar auf einigen UKW-Frequenzen im Inland fanden Musik- und Nachrichtensendungen eine grosse Zuhörerschaft. Brigitta Lacinova war über 10 Jahre lang eine der Moderatorinnen des Interprogramms:
"Das Interprogramm war eine ganz moderne Form der Sendung. Wir waren eine Truppe von Franzosen, Engländern, Deutschen und zuerst auch Tschechen und Slowaken, die später durch Russen abgelöst wurden. Wir haben im Viertel Stunden Rhythmus gesendet, jeweils eine Sprachversion. Da wurden fünf Minuten Nachrichten gesendet, die wir selbst übersetzt haben und der Rest war Musik."
Immer wieder erfüllte Radio Prag spezielle Propaganda-Aufgaben. So wurde eine Zeitlang in italienisch für Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland gesendet, während des polnischen Standrechts Anfang der 80er Jahre wurde eine polnische Redaktion eingerichtet, die die nördlichen Nachbarn wieder auf den richtigen Kurs bringen sollte. Doch auch diese lange Epoche als Sprachrohr des Sozialismus ging zu Ende.
Am 17. November 1989 demonstrierten tausende von Studenten im Prager Zentrum. Ursprünglich fand die Studentendemonstration zum Gedenken an den Studenten Jan Opletal statt, der 1939 von den deutschen Besatzern erschossen worden war. Doch die blutige Niederschlagung der friedlichen Demonstration wurde zum Auslöser der Samtenen Revolution, die das Ende des Sozialismus in der Tschechoslowakei brachte. An jene bewegenden Tage im November 1989 erinnert sich Martina Schneibergova: "In den ersten Tagen nach der berühmten Studentenrdemonstration durfte man darüber nicht senden, obwohl wir alle wussten, was los ist. Also die Leiterin der Auslandssendungen hat damals persönlich kontrolliert, was gesendet wurde und ob keine Erwähnung vorkam. Die ersten Meldungen, die neutral sein sollten, also weder positiv noch negativ, wurden erst nach 4,5 Tagen im Rahmen der Nachrichten gebracht. Es gab keine Nachrichten, keine Komentare, als ob nichts passiert wäre."
Nach dem Ende des Sozialismus in der Tschechoslowakei wusste niemand so genau was mit jenem einstigen Propagandasender für das Ausland geschehen sollte. Für einige Wochen verschwand Radio Prag sogar aus dem Äther, dann aber besannen sich die neuen Regierenden in Prag und Radio Prag konnte ein weiteres Kapitel seiner langen Geschichte aufschlagen: es durfte wieder frei und ohne jegliche Zensur über die Geschehnisse im Lande berichten. Doch dieses Land veränderte sich am 1. Januar 1993: Die Tschechoslowakei hörte auf zu existieren - es entstand die Tschechische Republik und die Slowakische Republik. Seit jenem Tag ist Radio Prag der Auslandssender der Tschechischen Republik. Im März 1993 ging dann Radio Slovakia international auf Sendung.
Immer wieder war nach 1990 von Redaktionsauflösungen ja sogar der Schliessung von Radio Prag die Rede. Inzwischen scheint die Lage entspannt zu sein, es gab sogar mehr Geld aus der Staatskasse, so dass im Herbst 2000 wieder eine russische Redaktion eingerichtet werden konnte. Allen Widrigkeiten zum Trotz kann Radio Prag mit seinen nun sechs Sprachredaktionen seinen 65. Geburtstag als freier Sender eines demokratischen Landes feiern. Wenn das kein Grund zur Freude ist! Und damit genug zur bewegten Geschichte von Radio Prag. Auf Wiederhören sagt Katrin Bock.