Was bedeutet das Brutto-Inlandprodukt?
Herzlich willkommen bei der letzten Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft im alten Jahr, alten Jahrzehnt, alten Jahrhundert und sogar alten Jahrtausend, am Mikrofon begrüssen Sie Martina Schneibergova und Rudi Hermann. Müsste man nach der Zahl des Jahres 2000 suchen, die für die tschechische Wirtschaft wohl am symbolträchtigsten war, so würde man unweigerlich beim Wert des realen Wachstums des Brutto-Inlandproduktes landen. Denn dieses ist nach einer dreijährigen Rezession heuer wieder in den schwarzen Zahlen. Wie hoch genau, das wird man erst wissen, wenn das statistische Amt die Werte für das vierte Quartal und damit das ganze Jahr bekannt gibt, und das wird erst gegen Frühling sein. Mit Sicherheit kann aber aus den Werten für die ersten drei Vierteljahre geschlossen werden, dass es ein positiver Wert sein wird. Mehr zu dieser für die Ökonomen magischen Zahl in den folgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.
Das Bruttoinlandprodukt gilt als ein massgeblicher Wert zur Bestimmung der Wirtschaftsleistung eines Landes und gehört zu den sogenannten makroökonomischen Indikatoren, die anzeigen, in welche Richtung sich die Wirtschaft eines Landes entwickelt. Weitere solche Indikatoren sind etwa die Arbeitslosenrate oder die Inflationsrate, und natürlich gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Zahlen, deren Bedeutung mit derjenigen dieser drei Grundwerte verflochten ist. Was genau drückt nun das Bruttoinlandprodukt, abgekürzt BIP, aus? Es besagt, was alles in einem Land über eine gewisse Periode, meist ein Jahr, produziert, verkauft, erworben und konsumiert wurde. Es enthält, mit anderen Worten, Angaben darüber, wieviel Geld die Regierung über die Staaseinnahmen eingenommen und wieviel und wie sie Geld ausgegeben hat, es enthält den Wert von Maschinen und Einrichtungen, in die die Unternehmen eines Landes ihre Gewinne investiert haben, es enthält die Waren und Dienstleistungen, die die Unternehmen eines Landes produziert und im Inland verkauft oder ins Ausland exportiert haben, und es wird vermindert durch das, was im Gegenteil aus dem Ausland eingekauft wurde. Auf eine Kurzformel gebracht, handelt es sich um die Gesamtsumme des Geldes, das dem öffentlichen und privaten Sektor eines Landes zu Konsum und Investitionen zur Verfügung steht.
Es gibt allerdings auch Bereiche, die das BIP nicht erfasst. Seine Berechnung basiert darauf, dass all das, was zu seiner Bestimmung gebraucht wird, sich in irgendwelchen Statistiken niederschlägt. Damit ist der sogenannte Grau- und der Schwarzmarkt von vornherein ausgeschlossen. Wenn jemand das Nachbarsmädchen zum Kinderhüten anstellt, ihm den Lohn bar auf die Hand zahlt und das Mädchen dieses Einkommen dann nicht versteuert, so wird diese Leistung statistisch nicht erfasst. Wer im Wald Pilze sammelt und diese seinen Bekannten verkauft, trägt ebenfalls nicht zum statistisch erfassten BIP bei. Solche Leistungen machen zwar wenig aus, doch gibt es ganze Bereiche, in denen es um viel Geld geht, etwa die Prostitution. In den Ländern Ostmittleuropas ist beispielsweise auch der Schwarz- und Graumarktanteil am Handel relativ gross. Liest man allenthalben furchterregende Zahlen über den wirtschaftlichen Niedergang etwa in der Ukraine oder Moldavien, so geben diese Zahlen meist nur unvollständig Auskunft darüber, wie es der Bevölkerung tatsächlich geht, weil Nebeneinkünfte meist nicht erfasst sind und der Anteil von Grau- und Schwarzwirtschaft bis 50 oder sogar noch mehr Prozent an der statistisch erfassten Wirtschaft ausmachen können. Und dann gibt es noch einen völlig legalen grossen Sektor, der ebenfalls keinen statistischen Niederschlag im Brutto-Inlandprodukt findet, nämlich der ganze Sektor der Hausarbeit. Kochen, Kinder erziehen, Waschen, Putzen - so lange dies eine Hausfrau oder ein Hausmann ohne offizielles und damit steuerbares Einkommen tut, ist dies zwar Teil der Lebensqualität, nicht aber des BIP.
Der Anspruch der Statistiker, mit dem BIP lasse sich der Wohlstand eines Volkes messen, wird aber auch noch durch weitere Einflüsse relativiert. Das BIP misst namentlich Produktion und Konsum, sagt aber wenig über die eigentliche Qualität aus. Eine Fabrik, die zwar fleissig produziert, dabei aber die Umwelt zerstört, leistet in den Statistiken einen Beitrag zum BIP-Wachstum, vermindert dabei aber die eigentliche Lebensqualität. Naturkatastrophen wie beispielsweise die grossen Überschwemmungen, die Tschechien im Sommer 1997 erlebte, können ebenfalls eine steigernde Wirkung auf das BIP haben, weil für die Reparaturen Leistungen erbracht werden und Geld ausgegeben wird. Mit der Steigerung der Lebensqualität hat aber auch das eigentlich nichts zu tun. Betreffen Naturkatastrophen allerdings grosse Produktionsunternehmen, die deswegen Produktionsausfälle verzeichnen oder gar zusammenbrechen, so wirkt sich dies wiederum negativ auf das BIP aus. Der Einfluss von Naturereignissen ist damit nicht eindeutig fördernd oder bremsend für das BIP-Wachstum, jeder Fall muss individuelle beurteilt werden.
Bei allen Relativierungen ist das Brutto-Inlandprodukt in der Meinung von Ökonomen dennoch nach wie vor der beste Wert, um die Entwicklung eines Landes auszudrücken, vor allem, weil es eine einzige und damit einfache Zahl ist. Der Ökonomieprofessor Vojtech Spevacek sagte dazu der Tageszeitung Mlada Fronta dnes in einem Interview:
Natürlich werden bessere Indikatoren für den Lebensstandard gesucht. Doch sind diese generell sehr viel komplizierter, beinhalten die Qualität der Bildung, den Gesundheitszustand der Bevölkerung, den Zustand der Umwelt in einem Land. Solche kombinierte Indikatoren haben einen grossen Nachteil - vorläufig gibt es keinen international anerkannten Standard, nach dem sie in einer einzigen Zahl ausgedrückt werden können. Das ist der grosse Vorteil des Brutto-Inlandproduktes. Es wird in allen Ländern gleich gemessen, das heisst, es lässt Vergleiche zu, in welchem Zustand dieses oder jenes Land ist.
Soweit die Äusserung von Professor Spevacek. Nachdem nun viele Einschränkungen über den Aussagewert des Brutto-Inlandproduktes gesagt sind, doch noch ein kurzer Blick auf die tschechische Entwicklung der letzten Monate. Wenn von Quartalswerten die Rede ist, gilt es dabei immer im Hinterkopf zu halten, dass die Vergleichsbasis das gleiche Quartal des Vorjahres ist, dass es sich also immer über den Zuwachs oder die Schrumpfung während eines Jahres handelt. Den Tiefstwert erreichte die Rezession im 1. Quartal 1999 mit minus 3.7 %, nachdem die Wirtschaftsleistung seit Anfang 1998 kontinuierlich abgenommen hatte. Im zweiten Quartal des vergangenen Jahres zeigte die Kurve schon wieder nach oben, wenn auch noch ein Minuswert von 0.8% verzeichnet wurde. Im dritten Vierteljahr rutschte die Wirtschaft dann mit plus 0.4 % leicht in die Schwarzen Zahlen, die seither nicht mehr verlassen wurden. 1.0, 4.1, 3.3, 2.1 und 2.2 heissen die Zuwachswerte in den folgenden Quartalen bis zum 3. Quartal 2000. Das ist wenn auch kein allzu berauschendes, so doch ein solides Wachstum, das anzeigt, dass die Rezession überwunden scheint. Um näher an die Länder der Europäischen Union zu gelangen, muss das Wachstum allerdings beschleunigt werden.
Wird mit anderen Ländern direkt verglichen, so wird dazu meist das Brutto-Inlandprodukt pro Kopf nach Kaufkraftparität verwendet. Das bedeutet, dass errechnet wird, was für Waren in einem Land für wieviel Geld gekauft werden können. Wenn also jemand im Land A in Dollars gemessen doppelt so viel verdient wie jemand anders in Land B, allerdings für Brot und Milch im Laden auch doppelt so viel bezahlt, so wiegt sich das für diese Berechnungsmethode auf. Nach Kaufkraftparität verzeichnete die Tschechische Republik 1999 ein BIP von 12289 Dollar pro Kopf und lag damit weltweit an 30. Stelle. Zum Vergleich: beim Spitzenreiter Luxemburg betrug der Wert 38247 Dollar, bei den zweitplazierten USA 30600, beim zehntplazierten Österreich 23808 Dollar. In der Nachbarschaft Tschechiens befindet sich etwa auf Platz 27 Slowenien mit 15062 Dollar oder auf Platz 31 Argentinien mit 11324 Dollar.