140 Jahre Sokol
Mit einer Gedenkveranstaltung an den Gräbern führender Sokol-Mitglieder wurde am vergangenen Wochenende auf dem Prager Olsany-Friedhof des 140. Gründungsjubiläums der Tschechischen Sokol-Gemeinde gedacht - eines Sportvereins, der in Anlehnung an die deutsche Turnbewegung gegründet und bald zum tragenden Bestandteil der tschechisch-slowakischen Nationalbewegung gegen die Habsburger Monarchie wurde. Wie ist es gegenwärtig um die Bedeutung des Sokol bestellt? Handelt es sich wirklich um eine tote Organisation, wie der Ort der Gedenkenkveranstaltung nahe legen mag? Silja Schultheis ist dieser Frage nach gegangen.
Als der Prager Philosophielehrer Miroslav Tyrs Anfang der 1860er Jahre die Grundsätze des Sokol definierte, waren Tschechen wie auch Slowaken Teil des Habsburger Reiches und somit ein Volk ohne eigene Nation. Tyr, ein begeisterter Anhänger des deutschen Turnsystems, begriff die Einrichtung eines tschechischen Turnvereins als gezielten Schritt in Richtung nationale Selbständigkeit. Die während ihrer Geschichte mehrfach verbotene und letztlich durch das kommunistische Regime ab 1948 systematisch zerschlagenen Organisation wurde 1990 wiedergegründet und zählt heute rund 190.000 Mitglieder - knapp 2% der tschechischen Bevölkerung also.
Radio Prag fragte den Historiker Marek Waic von der Prager Karlsuniversität, inwiefern die Sokol-Traditionen für die Gegenwart überhaupt noch relevant sind?
"Hier gibt es zwei Momente, die man sich meiner Meinung nach bewusst machen sollte. Auf der einen Seite wird die Sokol-Gemeinde heute schwerlich ein Millionen-Verband sein, der wie früher in bedeutender Weise das gesellschaftliche, und in gewisser Weise auch das politische Leben beeinflusst. Auf der anderen Seite, denke ich, dass für die Gegenwart besonders die uneigennützige Tätigkeit des Sokols aktuell ist. Die Tätigkeit nicht für sich, sondern für seinen Verein."
Damit rufe er um Himmels willen nicht nach einer Rückkehr zum Kollektivismus, so Waic, aber:
"Diese Hinterlassenschaft ist für die Gegenwart umso aktueller, dass wir in einer sehr hektischen Zeit leben, die Erfolg zum Maßstab macht, der meistens an Geld gemessen wird - in einer Zeit, die sehr individualistisch ist. Ich halte daher vor allem diese Tradition für das Vermächtnis des Sokol: wenn mir etwas Spaß macht, mache ich es zu meinem Hobby und mache es auch umsonst, uneigennützig, in meiner Freizeit, und damit auch zum Nutzen der Gesellschaft."
Der Präsident der Tschechischen Sokol-Gemeinde, Miloslav Pleskac, wies im Gespräch mit Radio Prag jedoch auch darauf hin, dass durch die erzwungene Auflösung der Organisation vor mehr als 50 Jahren eine Generationenkluft entstanden sei, die erst allmählich und nur durch gezielte Veranstaltungen besonders für die jüngere Generation zu überwinden sei. Und nicht zuletzt um diesem Ziel näher zu kommen, veranstaltet die Tschechische Sokol-Gemeinde im Laufe dieses Jubiläums-Jahres an den unterschiedlichsten Orten der Tschechischen Republik Sportfeste, Seminare sowie diverse andere Feiern.